Was muss getan werden, um die heraufziehende globale Nahrungsmittelkrise zu stoppen? UN-Generalsekretär António Guterres arbeitet sich schon seit Wochen daran ab. Die Lage ist dramatisch: Die Corona-Krise hat die Zahl der Menschen, die Hunger leiden, schon bis Herbst 2021 weltweit auf 811 Millionen in die Höhe schnellen lassen; der derzeitige Anstieg der Getreidepreise trifft vor allem die Ärmsten, und nun droht auch noch gravierender Getreidemangel. Abhilfe ist dringlicher denn je.
Die Ursachen für die Nahrungsmittelkrise liegen auf der Hand. Da ist zum einen der Krieg in der Ukraine, einer der größten Getreideexporteure der Welt. Der Krieg gefährdet Aussaat und Ernte, vor allem beim Weizen, der schwerpunktmäßig in der Ostukraine angebaut wird. Außerdem gibt es derzeit kaum Getreideexport, den die Ukraine traditionell zu mehr als 90 Prozent per Schiff abgewickelt hat. Derzeit sind die Häfen der Ukraine entweder von Russland besetzt oder sie sind blockiert – vor allem mit Seeminen –, wobei sich Moskau und Kiew gegenseitig die Schuld daran zuschieben. Tatsache ist jedenfalls: Über 20 Millionen Tonnen Getreide stecken in der Ukraine fest.
Das ist freilich nur die eine Seite der Münze. Die UN-Welternährungsorganisation FAO hat schon Ende März in einer detaillierten Untersuchung festgestellt: Der zweite Grund für die drohende Nahrungsmittelkrise sind neben den unmittelbaren Folgen des Ukrainekriegs die Sanktionen, die der Westen gegen Russland verhängt hat. Russland ist der weltgrößte Weizenexporteur; Russland und Belarus gehören zu den bedeutendsten Lieferanten von Düngemitteln, also von Grundstoffen, von denen die künftigen Ernten abhängen. Den Erwerb belorussischer Düngemittel hat der Westen mit Sanktionen belegt. Russische Getreide- und Düngemittelexporte wollen EU und USA von ihren Sanktionen ausgenommen haben. Dies trifft nur formal zu. Denn die Finanz- und Transportsanktionen gegen Russland bestehen fort, was das Bezahlen und das Liefern von Getreide und Düngemitteln massiv verkompliziert. Hinzu kommt: Das westliche Sanktionsregime ist derart undurchsichtig, dass viele lieber die Finger von Russlandgeschäften mit unklaren Folgen für ihren Absatz im Westen lassen.
Was tun? UN-Generalsekretär Guterres verhandelt seit Wochen, hat dazu auch Moskau und Kiew bereist. Seine Position hat er vergangene Woche bekräftigt: „Es gibt keine erfolgreiche Lösung für die Nahrungsmittelkrise, ohne die ukrainische Nahrungsmittelproduktion und ebenso die Nahrungs- und Düngemittel, die von Russland und Belarus hergestellt werden, in die Weltmärkte zu reintegrieren.“ Nicht eines von beiden, beides müsse geschehen. Freilich verlange dies „guten Willen auf allen Seiten“.
Gibt es ihn, diesen „guten Willen“? Bislang hat Guterres jedenfalls noch keinen Durchbruch erzielt. Moskau besteht auf Zugeständnissen beider Seiten; solle eine Lösung erreicht werden, erklärte Russlands Stellvertretender Außenminister Andrej Rudenko kürzlich, „dann müssen auch die Probleme gelöst werden, die mit einer Aufhebung jener Sanktionen verbunden sind, die auf den russischen Export gelegt wurden“.
Und der Westen? US-Außenminister Antony Blinken präsidierte vergangene Woche einem Treffen mit Amtskollegen aus rund 35 überwiegend westlichen Staaten, das der globalen Nahrungsmittelversorgung gewidmet war. Russland und China, aber auch Indien waren nicht dabei; die westlichen Sanktionen und ihre Folgen wurden nicht thematisiert. Stattdessen tat sich vor allem die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mit lautstarkem Getöse hervor: Moskau führe seinen Krieg gegen Kiew nicht bloß mit Panzern und Raketen, sondern auch mit einer „schrecklichen, aber stilleren Waffe: mit Hunger und Nahrungsentzug“. Die Bundesregierung zieht also weiter antirussische Hetze dem Bemühen um eine Problemlösung vor. Unter diesen Bedingungen stehen die Chancen, dass Guterres den so dringend nötigen Verhandlungsefolg erzielen kann, nicht gut.