Demagogie im Dienste des Monopolkapitals

Das „sozialistische“ Versprechen des Faschismus

Es gehört seit jeher zum programmatischen Kernbestand faschistischer Parteien, sich als „Partei der kleinen Leute“ zu inszenieren. Man spricht Arbeiter, kleine Selbstständige oder auch von Armut Betroffene an und empfiehlt sich ihnen als Unterstützer gegen „die da oben“. In dieser Pose „der Männer fürs Volk“ gehen diese Parteien zeitweise sogar so weit, den Begriff des Sozialismus für sich in Anspruch zu nehmen. Wenn wir mit Georgi Dimitroff den Faschismus an der Macht als die terroristische Diktatur der reaktionärsten Teile des Finanzkapitals betrachten, dann steht diese Selbstdarstellung der Faschisten dazu in krassem Missverhältnis. Wie erklärt sich dieser Widerspruch?

Verachtung des „Pöbels“

Im deutschen Kaiserreich war Politik von rechts vor allem monarchistisch ausgerichtet, wirkte staatstragend sowie als unverhohlener Fürsprecher von Kapital und Großgrundbesitz. Der rechte Mainstream konnte und wollte keinen Zugang zu den Volksmassen gewinnen. Eher herrschte in diesen Kreisen eine schwer übersehbare Verachtung des „Pöbels“.

Der Erste Weltkrieg stellte die herrschende Klasse vor die Herausforderung, im Interesse ihrer Großmachtpläne die Bevölkerung für den Krieg und für das millionenfache Sterben zu begeistern. An dieser Aufgabe scheiterte sie. Die anfangs noch teilweise herrschende Kriegsbegeisterung löste sich auf im Grauen des Stellungskriegs.

1918 wurde deutlich, dass die Monarchie ihren Rückhalt in der Bevölkerung verloren hatte. Zu Tausenden marschierten deutsche Arbeiter unter roten Fahnen durch die Straßen, verlangten die Republik oder sogar den Sozialismus. Sie hatten erlebt, welches Los die alte Ordnung ihnen zugedacht hatte: Arbeitstiere im Frieden, Kanonenfutter im Krieg. Damit waren die politischen Kräfte diskreditiert, welche dieses System mitgetragen hatten. Die politische Rechte war in der Krise.

Als der Versailler Vertrag unterzeichnet wurde, herrschte in den maßgebenden Kreisen des deutschen Monopolkapitals Einigkeit darüber, dass es nun gelte, dieses bedrückende Reparationsregime so bald wie möglich zu zerbrechen. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg konnte es nicht verkraften. Dem deutschen Imperialismus stehe schließlich naturgemäß ebenfalls ein „Platz an der Sonne“ zu. Dafür musste ein neuer, noch größerer Waffengang als 1914 vorbereitet werden.

Es stand außer Frage, dass dieser kommende Krieg die Arbeiterklasse erneut in das schlimmste Elend stürzen würde. Die moderne Kriegführung war aber nicht mehr denkbar ohne die totale Mobilisierung der gesamten Nation. Wie sollte also bei der Mehrzahl der Menschen die Bereitschaft zur freudigen Mitwirkung an einem Kurs geweckt werden, der ihren Lebensinteressen völlig widersprach?

„Nationalsozialisten“

Die Antwort auf diese Frage war der Faschismus. Fortan sollte Politik von rechts den Volksmassen nicht mehr mit elitärem Dünkel gegenübertreten, sondern sich ihnen als Fürsprecher andienen.

Derartige Gedanken machte man sich im Jahre 1918 auch in der in München ansässigen Thule-Gesellschaft. Hierbei handelte es sich um einen Zirkel völkisch-okkulter Antisemiten. Die Mitgliedschaft war vielfach vermögend und residierte bezeichnenderweise im Luxushotel „Vier Jahreszeiten“. Auch wenn der Realitätssinn in diesem Kreis unter allerlei esoterischen Wunderlichkeiten gelitten haben mochte, so sah man eines jedoch völlig klar: Die Gewinnung politischen Einflusses war nur denkbar durch Schaffung eines Zugangs zur bislang links dominierten Arbeiterschaft. Zu diesem Zweck wurde das Thule-Mitglied Karl Harrer aktiv bei der Gründung einer neuen Partei: der Deutschen Arbeiterpartei, Keimzelle der NSDAP, also einer „sozialistischen Arbeiterpartei“.

1920 gelang Adolf Hitler die Übernahme der Partei. Mit der Umbenennung in „NSDAP“ gab er auch das aus 25 Punkten bestehende Parteiprogramm bekannt, mit dessen Inhalt man aber einen recht „pragmatischen“ Umgang pflegte. Dies galt auch für die unter Punkt 13 geforderte Verstaatlichung der Trusts. Der Großindustrielle Fritz Thyssen hatte mit diesem Punkt so wenig Probleme, dass er die NSDAP seit 1923 mit umfangreichen Zuwendungen förderte. Offenbar dachte er realistischer als der von der „sozialistischen“ Nazi-Rhetorik irritierte Fabrikbesitzer Fritsche, den der sächsische NSDAP-Gauleiter Martin Mutschmann beruhigen musste: „Lassen Sie sich doch nicht immer durch die Schlagworte ‚Nieder mit dem Kapitalismus‘, die wir auf unsere Plakate schreiben, verwirren. Diese Schlagworte sind notwendig. Sie müssen wissen, mit der Losung ‚deutschnational‘ oder ‚national‘ allein würde es nie möglich sein, unser Ziel zu erreichen. Wir müssen die Sprache der verbitterten sozialistischen Arbeiter sprechen, sonst werden sie sich bei uns nie zu Hause fühlen. Aus diplomatischen Gründen können wir nicht mit unserem wirklichen Programm herauskommen, ohne dessen Durchführung von vornherein unmöglich zu machen.“

Zu diesem offenherzigen Bekenntnis passte auch der Bericht des Reichswehrleutnants und NSDAP-Mitglieds Richard Scheringer von Gesprächen mit Hitler und Goebbels 1931. Goebbels tat Programmpunkte seiner Partei wie die „Brechung der Zinsknechtschaft“ als Phrasen ab und erklärte, er hätte es vorgezogen, die NSDAP hätte einfach darauf verzichtet, sich ein Programm zu geben. Hitler legte dar, er wolle „jedem das Seine geben, dem Unternehmer wie dem Arbeiter“. Scheringer gaben diese Gespräche den letzten Anstoß, zur KPD überzutreten.

Arbeiterfeinde

Auch die Praxis der Nazis stellte sich dementsprechend dar, etwa anlässlich des Volksbegehrens zur entschädigungslosen Fürstenenteignung 1926. Diese Forderung wurde vor allem von SPD und KPD getragen, aber auch Mitglieder der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und des katholischen Zentrums schlossen sich an. Die NSDAP gab eine eindrucksvolle Kostprobe ihres Sozialismus-Verständnisses, indem sie vorschlug, statt der Fürsten Juden zu enteignen, die aus Osteuropa nach Deutschland eingewandert waren.

8 - Das „sozialistische“ Versprechen des Faschismus - 80 Jahre Befreiung vom Faschismus, AfD, Demagogie, Kleinbürgertum, Monopolkapitalismus, NSDAP, rechte Propaganda - Hintergrund

Der Streik bei der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) 1932 wird bis heute angeführt, um eine angebliche Nähe zwischen NSDAP und KPD zu belegen. Es ist richtig, dass sich die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) zunächst ebenso wie die Kommunisten im Betrieb am Streik beteiligten. Dass dies aber nichts mit proletarischer Interessenvertretung zu tun hatte, zeigte sich schon kurz darauf, als die NSBO streikbrecherische Aktivitäten entwickelte und mit der BVG-Direktion darüber sprach, wie der Arbeitskampf beendet werden könnte. In Berlin führte das nicht nur zum fast vollständigen Zusammenbruch der NSBO, sondern auch zu großen Stimmenverlusten bei den Reichstagswahlen im November 1932.

Da die Nazipartei sich im Klassenkampf entzaubert hatte, musste es schnell gehen: Einflussreiche Kapitalkreise machten sich mit der „Industrielleneingabe“ bei Reichspräsident von Hindenburg für Hitler stark. Am 30. Januar 1933 wurde dieser zum Reichskanzler ernannt. Die im NSDAP-Programm geforderte Enteignung der Trusts fand nicht statt – stattdessen begann der Terror gegen die Arbeiterbewegung.

„Linke“ Nazis

Faschistische Kräfte, die den Mythos eines „Sozialismus von rechts“ am Leben erhalten wollen, verweisen bis heute auf die Brüder Strasser – von manchen als Exponenten des vermeintlich „linken Flügels“ der NSDAP bezeichnet. Allerdings wäre es verfehlt, in der Strömung der Strasser-Brüder eine Alternative zum Hitlerfaschismus zu sehen. Der Unterschied zur Mehrheitsrichtung der NSDAP bestand im Wesentlichen darin, dass sie das Spiel mit der pseudosozialistischen Demagogie noch weiter treiben wollten als Goebbels – ehrlicher wurde es dadurch nicht. Der „linke“ Gregor Strasser erklärte 1932 einem amerikanischen Journalisten: „Wir erkennen das Privateigentum an. Wir erkennen die private Initiative an. (…) Wir sind gegen die Verstaatlichung der Industrie. Wir sind gegen die Verstaatlichung des Handels.“ 1934 wurde er im Zuge des sogenannten „Röhm-Putsches“ ermordet. Kurt Gossweiler hat in seiner Arbeit zu diesem Ereignis dargelegt, dass er nicht als linker Opponent der Nazis starb, sondern als Gewährsmann des IG-Farben-Trusts, der im innermonopolistischen Machtkampf um Einflussnahme auf den künftigen Kurs der Reichsregierung gegen die Schwerindustrie eine Niederlage erlitten hatte.

Otto Strasser hatte 1930 mit seinen Anhängern die NSDAP verlassen und die „Kampfgemeinschaft revolutionärer Nationalsozialisten“ (KGRNS) gegründet. Auch bei dieser vermeintlichen „Linksabspaltung“ hält der propagierte „Sozialismus“ einer ernsthaften Prüfung nicht stand. Strasser entwickelte ein „Mitbestimmungssystem“ für Industrieunternehmen, in das Unternehmer, Arbeiter und Staat einbezogen sein sollten. Die Mehrheit der zu verteilenden Aktien sollte dabei – wenig verwunderlich – auf der Unternehmerseite verbleiben. Ausdrücklich würdigte er auch den Volksgenossen, „dessen persönlicher Anteil an Besitz, Gewinn und Leitung durch erhöhte Leistung, vergrößerte Verantwortung erworben oder bedingt ist“. Im Klartext: Der Unternehmer ist der eigentliche „Leistungsträger“ und genießt seine Klassenprivilegien zu Recht.

Kleine Männer

Die aktuell führende rechte Kraft in Deutschland, die AfD, präsentiert sich ebenfalls als „Partei des kleinen Mannes“, nimmt dabei aber vorerst eher Bezug auf Denkmuster des Neoliberalismus, der auch in Teilen der Arbeiterklasse hegemonial werden konnte. Im Mittelpunkt der Demagogie steht die Ablehnung staatlicher Eingriffe zur Regulierung. Dabei bezieht man sich auf repressive Maßnahmen bürgerlicher Regierungen, wie etwa die Corona-Maßnahmen. Daneben steht das Umlenken der Kritik an staatlichen Ausgaben: weg von der Kritik an der Bevorzugung von Reichen und Konzernen und hin zur Kritik an den Ausgaben für Geflüchtete. Allgemein werden Steuersenkungen und Beschränkungen staatlicher Ausgaben gefordert. Es wird eine vermeintliche Gleichheit versprochen, verbunden mit der Aufforderung, nach unten zu treten: Dem Armen bleibt dabei der Hass auf den ganz Armen.

Wenn die hier skizzierte explizit „sozialistische“ Demagogie bei der heutigen Rechten in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle spielt, so ist das damit zu erklären, dass es zurzeit keine sozialistische Massenstimmung gibt, an die zu appellieren Erfolg versprechend wäre. Das war Anfang der 1990er Jahre anders. Damals bezog sich etwa die NPD bei ihrem Auftreten in den ostdeutschen Bundesländern durchaus positiv auf sozialistische Vorstellungen. Ein ähnliches Herangehen zeigt sich bis heute im Falle der Friedensdemagogie der AfD im Osten.

Wie sich die rechte Propaganda entwickelt, bleibt abzuwarten. Es kann angenommen werden, dass der Faschismus auf jeden Umschwung in der Massenstimmung reagieren würde mit einer Anpassung seiner „Ideologie“ – denn zu dieser hat er ein von Nützlichkeitserwägungen geprägtes Verhältnis und kein prinzipienorientiertes.

Quellen des faschistischen Einflusses

Es gelingt dem Faschismus, die Massen zu gewinnen, weil er in demagogischer Weise an ihre brennendsten Nöte und Bedürfnisse appelliert. Der Faschismus entfacht nicht nur die in den Massen tief verwurzelten Vorurteile, sondern er spekuliert auch mit den besten Empfindungen der Massen, ihrem Gerechtigkeitsgefühl und mitunter sogar ihren revolutionären Traditionen. Warum spielen sich die deutschen Faschisten, diese Lakaien der Großbourgeoisie und Todfeinde des Sozialismus, vor den Massen als „Sozialisten“ auf und stellen ihren Machtantritt als „Revolution“ hin? Weil sie bestrebt sind, den Glauben an die Revolution, den Drang zum Sozialismus auszunutzen, der in den Herzen der breiten werktätigen Massen Deutschlands lebt. (…)

Durch seinen Zynismus und seine Verlogenheit alle anderen Spielarten der bürgerlichen Reaktion in den Schatten stellend, passt der Faschismus seine Demagogie den nationalen Besonderheiten jedes Landes an, sogar den Besonderheiten der verschiedenen sozialen Schichten in ein und demselben Lande. Und die Massen des Kleinbürgertums, selbst ein Teil der Arbeiter, durch die Not, die Arbeitslosigkeit und die Unsicherheit ihrer Existenz zur Verzweiflung getrieben, werden zu Opfern der sozialen und chauvinistischen Demagogie des Faschismus.

Georgi Dimitroff: „Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale“

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"Das „sozialistische“ Versprechen des Faschismus", UZ vom 21. März 2025



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