Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die drei Antiimperialisten Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Ihnen wurde die Mitgliedschaft in der in der BRD verbotenen DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) vorgeworfen. Emre soll für fünf Jahre ins Gefängnis gehen, Cibelik wurde zu vier Jahren und drei Monaten und Küpeli zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. UZ sprach mit der Bonner Rechtsanwältin Anna Magdalena Busl, die Serkan Küpeli vor Gericht vertreten hat, über das Urteil und das Verfahren.
UZ: Der Prozess gegen Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli endete am 25. November mit mehrjährigen Haftstrafen. Wie bewerten Sie das Urteil?
Anna Magdalena Busl: Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Schon die Anklage hätte aus Sicht der Verteidigung gar nicht erhoben werden dürfen, geschweige denn hätte es ein Ermittlungsverfahren geben dürfen. Denn was wird an „Taten“ hier angeklagt? Das Organisieren von Konzerten, das Organisieren von antifaschistischen, sozialistischen Seminaren und Freizeiten, und, wie es die Bundesanwaltschaft nicht nur einmal sagte: die marxistisch-leninistische Ideologie. Das soll eine Straftat sein? Handelt es sich da nicht tatsächlich um Gesinnungsjustiz? Und was ist Terrorismus überhaupt und wer definiert es? Im Falle des Paragraf 129b des Strafgesetzbuches bedarf es einer Ermächtigung durch das Bundesjustizministerium, gerichtlich überprüfbar soll das nicht sein – ist das bürgerlich-demokratisch? Wir meinen, nein. Und hinzu kommt: Die Mitgliedschaft soll in einer „terroristischen“ Vereinigung bestehen, die im Ausland existiert. Nur, ist es Terror, sich gegen einen faschistischen Staat – und das ist die Türkei – zur Wehr zu setzen? Das Urteil des Strafsenats sagt ja, Widerstand dürfe nur gewaltfrei ausgeübt werden, und bezieht sich dabei auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, mit der Folge: Jahrelange Haft für die drei Angeklagten.
UZ: Werden die Verurteilten in Revision gehen?
Anna Magdalena Busl: Ja, das werden wir.
UZ: Ihr Mandant kam nach der Urteilsverkündung erstmal frei, bis das Urteil rechtskräftig wird. Der Haftbefehl wurde unter Auflagen außer Vollzug gesetzt. Das ist in Prozessen gegen migrantische linke Organisationen ungewöhnlich. Wie kam es dazu?
Anna Magdalena Busl: Andersherum: Wie kann es überhaupt sein, dass eine Person inhaftiert werden muss wegen Fluchtgefahr, die gerade Vater wurde, gesettled in Hamburg wohnt, studiert und arbeitet? Diese Person soll fliehen? Dem sind wir von Beginn an entgegengetreten. Nun, endlich, nach viel zu vielen Monaten, und vergleichsweise nicht mehr vielen Monaten Haft, die verbleiben, wenn das Urteil rechtskräftig wird, und nachdem die Hauptverhandlung erst einmal beendet ist, ist es in jedem Fall nicht mehr verhältnismäßig, unseren Mandanten weiter zu inhaftieren. Aber es kommt viel zu selten vor, dass gilt: Im Zweifel für die Freiheit!
UZ: Die vorgeworfenen Organisationsdelikte im Zusammenhang mit der DHKP-C sind teilweise über zehn Jahre her. Warum die späte Strafverfolgung?
Anna Magdalena Busl: Das passiert in Organisationsdelikten gar nicht so selten. Über Jahre wird ermittelt, auch mit den entsprechenden Instrumentarien – Ausschreibung zur Beobachtung, Observationen, Telekommunikationsüberwachung und so weiter – und ausgewertet, bis dann schließlich, oft Jahre später, erst inhaftiert und Anklage erhoben wird. Das ist schon absurd: Offensichtlich gibt es vorher keinen Grund für die Behörden, schnell einzugreifen. Besteht also doch keine Gefahr aus Sicht des Staates, wenn kein schnelles Eingreifen erforderlich ist? Diese Frage muss sich die Justiz gefallen lassen! Letztlich geht es also doch wieder darum: Vereinigungen, die politisch als „Feind“ wahrgenommen werden, werden staatlich verfolgt. Und ja, deswegen ist es auch richtig, hier von „Feindstrafrecht“ zu sprechen, ein Strafrecht als „Maßnahmenrecht bei drohenden Gefahren“ – mit bürgerlicher Demokratie hat das nichts zu tun!
UZ: Konnten Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen die drei Angeklagten adäquat verteidigen oder gab es Schwierigkeiten mit dem Gericht, wie in vielen anderen politisch motivierten Prozessen?
Anna Magdalena Busl: Die Rechte der Verteidigung und vor allem das Recht der Angeklagten auf effektive Verteidigung, auf Waffengleichheit, sind bei derartigen Verfahren natürlich beschränkt. Das beginnt schon damit, dass letztlich durch die Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium ein klares Statement im Raum steht – gegen die Unschuldsvermutung: Diese Vereinigung ist terroristisch. Punkt. Das zieht sich fort bei der Beschneidung von Rechten. Besuche, auch der Verteidigung, dürfen zum Beispiel nur mit Trennscheibe erfolgen, und Briefe, auch der Verteidigung, werden durch einen Leserichter kontrolliert. Oder dabei, dass uns nicht alle Aktenteile zur Verfügung stehen, die der Bundesanwaltschaft zur Verfügung stehen.
UZ: Dem nun verurteilten Grup-Yorum-Mitglied Ihsan Cibelik wurde in der Untersuchungshaft über eine lange Zeit die notwendigen Krebsbehandlung verweigert. Wie ist sein Gesundheitszustand und hat so etwas Folgen für Gerichte und Justizvollzugsanstalten?
Anna Magdalena Busl: Die notwendige Operation erfolgte viel zu spät und seine Erkrankung wurde lange Zeit heruntergespielt. Gegenwärtig hat er keine akuten Beschwerden. Ob die verspätete Behandlung dazu geführt hat, dass es bereits zu einer Streuung von Krebszellen gekommen ist, wird sich jedoch erst im Laufe der nächsten Jahre herausstellen. Das Versagen der Verantwortlichen bei seiner Behandlung hat sich in dem gegen ihn ergangenen Urteil nicht widergespiegelt. Hinzu kommt, dass seitens des Verfassungsschutzes und der Ausländerbehörde in Bochum aktiv die Abschiebung seiner Lebensgefährtin Yasemin Pilaf betrieben wird, weil sie ihn bei Grup-Yorum-Konzerten begleitet und sich aktiv für seine Behandlung und seine Freilassung eingesetzt hat.
UZ: Rechnen Sie mit weiteren Anklagen nach diesem Urteil?
Anna Magdalena Busl: Wir haben es, nicht nur in Bezug auf sogenannte „terroristische Vereinigungen im Ausland“, sondern insgesamt bezogen auf politische, fortschrittliche Vereinigungen und Aktivisten mit einer massiven Verschärfung staatlicher Repression zu tun. Daher ja: Es wird weitere Anklagen geben – und das nicht zu knapp.
Die Fragen stellte Henning von Stoltzenberg