Schwedische Politik stützt die Monopole – gerade in der Krise

Das schwedische Modell ist zynisch

Schweden setzt bei Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie vor allem auf Freiwilligkeit. Ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen sollten die Öffentlichkeit meiden, Menschen sollten generell zuhause bleiben, von Reisen wird abgeraten, wer kann, sollte im Home-Office arbeiten.

Schulen, öffentliche Einrichtungen und Fabriken bleiben hingegen ohne Einschränkungen geöffnet. Das sogenannte „schwedische Modell“ wird auch hierzulande als Alternative angepriesen, obwohl es in Schweden mehr Covid-19-Tote gibt als in allen anderen nordischen Ländern zusammen.

UZ sprach mit Andreas Sörensen, Vorsitzender der Schwedischen Kommunistischen Partei, über die Rolle, die die schwedische Regierung und die Gewerkschaften in der momentanen Situation spielen.

UZ: In Deutschland wurden vorübergehend strenge Maßnahmen von Seiten der Regierung gegen die Ausbreitung von Covid-19 ergriffen, beim sogenannten Lockdown wurden Geschäfte geschlossen und Ausgangsbeschränkungen verhängt. Die Zahl der Neuinfektionen konnte innerhalb weniger Wochen stark reduziert werden. Wie stellt sich die Situation in Schweden dar? Gibt es zum Beispiel eine Maskenpflicht oder hat sich die Arbeitsweise verändert?

Andreas Sörensen: Die Situation in Schweden ist davon gekennzeichnet, dass die ganze Verantwortung zur Eindämmung des Virus von den einzelnen Menschen getragen wird. Das bedeutet, dass fast keine Regelungen wirksam sind, die zu großen Einschränkungen im Leben der Menschen führen. Restaurants und andere Orte, wo sich Menschen treffen, sind zwar entweder geschlossen oder haben ihre Kapazitäten eingeschränkt und Ansammlungen von mehr als 50 Personen sind verboten, doch das war es auch schon.

Die Menschen werden aufgefordert, Verantwortung zu tragen, ohne dass sie die Voraussetzungen dafür haben. Man soll zwei Meter Abstand halten, aber das ist unmöglich in den Grundschulen, die ja noch geöffnet sind, oder in Supermärkten, die keine Einschränkungen vorgeben. Das ist auch eine Unmöglichkeit für viele Arbeiter, die zum Beispiel die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen müssen. Viele Busse sind voll und die U-Bahn auch. Man soll, soweit es möglich ist, von zu Hause arbeiten, aber das ist für die Mehrheit der Arbeiter nicht möglich.

Die Maßnahmen, die dennoch durchgeführt werden, haben spontanen und dezentralisierten Charakter. Einige Regionen verweigern sich Dingen, die in anderen Regionen durchgeführt werden. Man hat zum Beispiel in vielen Orten den vorderen Teil der Busse gesperrt, um die Busfahrer zu schützen, in anderen Orten mussten die Gewerkschaften solche Maßnahmen erzwingen.

Insgesamt gibt es wenige nationale Maßnahmen und die Verantwortung wird an die Einzelnen übertragen.

UZ: In Deutschland wird das sogenannte schwedische Modell vielfach als Alternative dargestellt, ihr habt euch ja schon früh gegen dieses geäußert und offensichtlich Recht behalten. Kannst du uns etwas zu den aktuellen Entwicklungen sagen?

Andreas Sörensen: Das schwedische Modell ist im Endeffekt sehr zynisch. Mittlerweile sind mehr als 4.000 Menschen in Schweden an Covid-19 gestorben und wir haben die höchste Sterblichkeitsrate der Welt. Wir haben mehr Tote als die anderen nordischen Länder zusammen. Das sagt eigentlich alles, was über die Situation zu sagen ist.

Fehlende Maßnahmen in Kombination mit einem Mangel an Schutzausrüstung für diejenigen, die in den Krankenhäusern und Altersheimen arbeiten, haben dazu geführt, dass das Virus sich sehr leicht verbreitet hat. Man hat nicht die notwendigen Maßnahmen ergriffen, um den älteren Teil der Bevölkerung zu schützen.

Der Zynismus zeigt sich darin, dass es eine mehr oder weniger bewusste Entscheidung war, das Leben der Älteren zu opfern, um die Produktion am Laufen zu halten. Einige Fabriken waren gezwungen zu schließen, weil es nicht möglich war, notwendige Komponenten für die Produktion zu liefern, aber es gab keine Schließungen, um die Arbeiter zu schützen.

Für die Monopole heißt das, die Produktion und damit die Profite aufrechtzuerhalten. Die Politik Schwedens ist einfach: die Arbeiter opfern, um die Profite zu retten.

UZ: Ab dem Zeitpunkt, als die Pandemie in Deutschland ernst genommen wurde, sind kritische Stimmen zu den Maßnahmen der Bundesregierung erst einmal verstummt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat sich eifrig daran beteiligt, die Corona-Gesetzgebung zu legitimieren und die Interessen des Monopolkapitals durchzusetzen, beispielsweise in Form des Kurzarbeitszeitmodells. Auch der 1. Mai wurde frühzeitig ins Internet verlegt, die IG Metall hat einen für die Arbeiterklasse sehr schlechten Tarifabschluss gemacht, es wird versucht, eine Linie durchzusetzen, die da heißt „Die Last der ‚Corona-Krise‘ müssen wir alle gemeinsam tragen“ – was ja bedeutet, dass die Arbeiterklasse sie allein trägt. Wie agieren die Gewerkschaften in Schweden?

Andreas Sörensen: Um es einfach auszudrücken: Die Gewerkschaften agieren, um die sozialdemokratische Regierung zu legitimieren. Weil die Sozialdemokraten die Regierung führen, ist es für die Gewerkschaftsleitung unmöglich, eine kritische Haltung einnehmen. Stattdessen hat die Gewerkschaftsführung das Agieren der Regierung gelobt. Wäre die Regierung aus den konservativen Parteien zusammengesetzt, wären die Gewerkschaften sicher kritischer, aber natürlich nur in der Theorie – in der Praxis würden sie die Politik der Monopole unterstützen.

Man muss jedoch einen Unterschied machen zwischen den höheren Funktionären in den Gewerkschaften und den einfachen Mitgliedern. An der Basis haben viele Gewerkschafter auf schlechte Zustände reagiert. Man hat die Arbeit in vielen Altersheimen wegen Mangels an Schutzausrüstung gestoppt und Busfahrer haben sich geweigert zu fahren, wenn der vordere Teil der Busse nicht abgesperrt war.

Wie immer gibt es einen großen Unterschied zwischen den verschiedenen Teilen der Gewerkschaften und wir betrachten es als gutes Zeichen, dass die Arbeiter eigene Aktionen durchführen und ihre eigenen Kräfte austesten.

UZ: Welche Maßnahmen fordert die Kommunistische Partei Schwedens zum Schutz der Arbeiterklasse und des Volkes?

Andreas Sörensen: Unsere hauptsächliche Forderung in Bezug auf die Gesundheit der Arbeiterklasse ist die Schließung aller nicht notwendigen Arbeitsplätze, um die Verbreitung des Virus zu begrenzen. Das bedeutet nichts anders als einen Kampf mit den Monopolen um die Profite, aber es zeigt auch deutlich, worum es geht.

Wir haben außerdem gefordert, dass die tausende Milliarden Kronen, die den Monopolen gegeben werden, an das Volk umgeleitet werden, das fast keine Unterstützung bekommt. Durch die Kurzarbeitsmodelle wird die Bezahlung der Gehälter sozialisiert, aber der Gewinn bleibt privat, und das, obwohl die Monopole genug Geld haben, um jahrelang Lohn zu bezahlen.

Wir fordern eine große Erweiterung der Kapazität der Pflege. Es mangelt sowohl an Ressourcen als auch an Personal. Die Pflege muss nach dem Bedürfnis der Menschen organisiert werden, nicht nach den Forderungen der Monopole.
In Schweden haben zehntausende Menschen ihre Arbeit verloren. Um der Kritik zu entgehen, hat die Regierung gewisse Verbesserungen beim Arbeitslosengeld beschlossen. Die Verbesserungen sind minimal, insbesondere im Vergleich zu der Unterstützung für die Monopole. Stattdessen fordern wir, dass die Massenkündigungen aufhören und dass alle Arbeiter aus dem aufgehäuften Profit der Monopole bezahlt werden.

UZ: Die Welt ist zunehmend mit einer Wirtschaftskrise konfrontiert, die durch die Maßnahmen gegen eine Ausbreitung von Covid-19 wohl verschärft wurde. Die Krisenkosten werden von Kapital und Regierung in Komplizenschaft mit der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführung der Arbeiterklasse und dem Volk aufgebürdet – in Form von Kurzarbeit und weiteren Maßnahmen, die wohl folgen werden. Welche wirtschaftlichen Maßnahmen hat die schwedische Regierung zur Krisenbewältigung ergriffen? Wo versucht die Regierung, die Krisenlasten auf die Arbeiterklasse abzuwälzen?

Andreas Sörensen: Man muss zuerst konstatieren, dass die Krise eine riesige Möglichkeit für die Monopole darstellt. Die Krise ist fast wie ein Aderlass des Kapitalismus: Kleinere und unprofitable Betriebe und Unternehmen gehen unter, was mehr Marktanteile für die großen Monopole sichert. Dazu kommt auch die Möglichkeit, Angriffe gegen die Arbeiter zu richten. Die Gehälter zu senken und die Verhältnisse zu verschlechtern sind die Krisenmaßnahmen des Kapitals.

Die Politik der schwedischen Regierung ist zum großen Teil eine Politik, die diese Tendenz verschärft. Die Banken haben hunderte Milliarden Kronen bekommen, fast ohne Zinsen, die sie als Kredite an Unternehmen ausgeben sollen. Wenn sie das Geld ausleihen, können sie ihre eigenen Zinsen hinzufügen.

Gleichzeitig hat die Regierung kleinen Betrieben die Möglichkeit eröffnet, Steuern zu einem späteren Zeitpunkt zu zahlen. Für die spätere Bezahlung haben sie Zinsen von über 6 Prozent gefordert! Deutlich ist, dass die Regierung eine weitere Konzentration des Kapitals anstrebt.

Die Kündigung zehntausender Arbeiter wurde akzeptiert, durch die Kurzarbeit die Bezahlung von Gehältern übertragen. Der Profit bleibt privat, aber die Verluste werden sozialisiert.

Interessant ist die Haltung der Schwedischen Reichsbank gegenüber den Monopolen. Sie hat sehr früh Obligationen in Milliardenhöhe gekauft, um die schwedischen Monopole zu stärken. In einer Situation, wo sich die Widersprüche zwischen den kapitalistischen Staaten verschärfen und die Konkurrenz immer schärfer wird, ist es eine wichtige Maßnahme, die eigenen Monopole zu stärken. So eine Tendenz wird nicht nur in Schweden deutlich, auch in Japan zum Beispiel ist diese Entwicklung sehr weit fortgeschritten. Die sich verschärfende Situation fordert einen noch aktiveren Staat.

UZ: In Deutschland gibt es inzwischen sogenannte „Hygienedemos“, statt der berechtigten Sorge um den Abbau der Grundrechte stehen dort oft Verschwörungstheorien im Vordergrund, viele der Demonstrationen sind von rechten Kräften dominiert. Wie verhält sich die Rechte in Schweden? Wie ist zum Beispiel die Position der Schwedendemokraten?

Andreas Sörensen: Ein wenig vereinfacht könnte man sagen, dass das Verhalten der Rechten nur ein Teil des politischen Spiels ist. Egal, was die sozialdemokratische Regierung tut, die rechten Parteien müssen Kritik üben, obwohl sie mit der Politik sehr zufrieden sind. Wenn die Regierung tausende Milliarden für die Monopole freistellt, fordern die Rechten mehr.

Von diesem Verhalten sind die Schwedendemokraten nicht frei. Seit dem Anfang der Krise haben sie an Unterstützung verloren und die sozialdemokratische Regierung ist populärer als zuvor. Es geht zwar nur um wenige Prozent, aber zeigt auch deutlich: Gegenüber der sozialdemokratischen Politik müssen sie sich kritisch verhalten.

Das machen sie durch populistische Forderungen, vor allem an kleinere Betriebe gerichtet – sie versuchen, ihre Unterstützung unter der Kleinbourgeoisie auszubauen. In Bezug auf sie wollen sie zum Beispiel, dass der Staat die Fixkosten der kleineren Betriebe übernimmt. Ebenso wollen sie Massentests durchführen, um das Virus aufzuspüren. Es geht natürlich nicht um eine Versorgung der Bevölkerung, sondern um ein Bedürfnis, einen eigenen Weg zu finden, der nicht zu viel von der Regierungslinie abweicht, aber gleichzeitig kritisch ist. Würde die Regierung einen härteren Kurs verfolgen, würden wir rechte Demos wie in Deutschland sehen.

Die Schwedendemokraten versuchen, das Virus mit der Immigration zu verknüpfen. Sie meinen, dass die wirtschaftliche Krise die Folgen der „Massenimmigration“ verschärft und dass die steigende Arbeitslosigkeit die Gegensätze zwischen Schweden und Immigranten und damit die Spannungen innerhalb der schwedischen Gesellschaft zuspitzt. So eine Perspektive ist im Endeffekt sehr nützlich für das Kapital, weil es die Möglichkeit eröffnet, von der Wut über Arbeitslosigkeit und Krisenmaßnahmen abzulenken und Risse innerhalb der Arbeiterklasse zu vertiefen. Als Kommunisten müssen wir bestimmt gegen solche Sichtweisen agieren und immer für die Einheit der arbeitenden Klasse eintreten – es gibt keine Widersprüche zwischen Immigranten und Schweden, sondern zwischen Arbeiter und Kapitalist.

Die Fragen stellte Melina Deymann

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"Das schwedische Modell ist zynisch", UZ vom 5. Juni 2020



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