Chile: Verfassungsentwurf der Rechten in Volksabstimmung abgelehnt

Das Schlimmste verhindert

Chile wird weiter mit seiner noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur stammenden Verfassung leben müssen. Beim zweiten Referendum über ein neues Grundgesetz innerhalb von 15 Monaten votierten rund 56 Prozent der Chilenen mit „Nein“. Anders als im vergangenen Jahr ist das Resultat für die Linke des südamerikanischen Landes diesmal jedoch ein Grund zur Erleichterung, denn zur Abstimmung stand nicht der 2022 abgelehnte Entwurf, der viele progressive Verbesserungen enthalten hatte, sondern ein von den rechten Parteien geschriebener Text, der gegenüber dem Status Quo sogar noch Verschlechterungen beinhaltet hätte.

Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chiles, Lautaro Carmona, erklärte deshalb nach Bekanntwerden des Ergebnisses, dass die Rechte die große Verliererin der Abstimmung sei, weil die Mehrheit der Bevölkerung deren Verfassungsvorschlag zurückgewiesen habe. Allerdings könne man nicht davon sprechen, dass die Linke gewonnen habe.

Tatsächlich scheint mit dem Ausgang der zweiten Abstimmung der Verfassungsprozess in Chile, der vor vier Jahren so hoffnungsvoll begonnen hat, an ein ergebnisloses Ende gekommen zu sein. Staatschef Gabriel Boric hat jedenfalls angekündigt, während seiner Amtszeit kein weiteres Projekt in Angriff nehmen zu wollen, die Prioritäten seien nun andere. Die KP Chiles will sich nun auf einzelne Reformen der bestehenden Verfassung konzentrieren.

Im Oktober 2019 waren hunderttausende Menschen in ganz Chile auf die Straße gegangen, um gegen das herrschende System zu protestieren. Auslöser war eine Erhöhung der Fahrpreise bei der Metro in Santiago de Chile gewesen, doch schnell weiteten sich die Proteste aus. Die Menschen forderten soziale Gerechtigkeit, ein Ende der Repression, mehr Demokratie. Als ein Ergebnis der Proteste wurde im Oktober 2020 in einem ersten Referendum mit großer Mehrheit die Bildung einer Verfassunggebenden Versammlung beschlossen. Im Mai 2021 wurde daraufhin der Verfassungskonvent gewählt, in dem die Parteien der Linken eine Mehrheit hatten. Das von dieser Versammlung ausgearbeitete und im Sommer 2022 veröffentlichte Grundgesetz wäre ein großer Fortschritt für Chile gewesen, doch der Rechten gelang es mit einer Hetzkampagne, viele Menschen zu verunsichern. Sie malten das Gespenst einer „kommunistischen Diktatur“ an die Wand, Chile werde durch die neue Verfassung zu einem „neuen Venezuela“ werden. Zugleich hatten sich viele progressiv eingestellte Menschen enttäuscht von der Regierung unter dem im Dezember 2021 gewählten Präsidenten Boric abgewandt, die nur wenig von ihrem progressiven Wahlprogramm umgesetzt hatte. Die Kampagne der Rechten und die Unzufriedenheit vieler Linker führte dazu, dass der Verfassungsentwurf im September 2022 mit rund 62 Prozent der Stimmen abgelehnt wurde.

Nach zähen Verhandlungen zwischen den Parlamentsparteien wurde daraufhin ein zweiter Anlauf beschlossen. Die Wahl zum Verfassungsrat am 7. Mai 2023 gewann jedoch die Rechte – und sie setzte ihre Mehrheit bei der Ausarbeitung des neuen Textes durch. „Die vorgeschlagene Behandlung ist schlimmer als die Krankheit“, kommentierte die KP Chiles den vorgelegten Entwurf, der noch eine Verschlechterung der Pinochet-Verfassung von 1980 bedeutet hätte. So sei der von den Rechten vorgelegte Text vor allem gegen die arbeitenden Menschen gerichtet, deren Streikrecht eingeschränkt werde. Die Frauen hätten befürchten müssen, dass die erkämpfte Liberalisierung des Abtreibungsrechtes zurückgedreht würde. Die von den indigenen Völkern errungenen Mitbestimmungsrechte wären wieder eingeschränkt worden. Zugleich wäre die Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur unmöglich gemacht worden, wegen Morden an Oppositionellen verurteilte Militärs hätten auf freien Fuß kommen können. Umweltschutz, soziale Rechte, der Schutz von Kindern und Jugendlichen – alles wäre den Profitinteressen der Unternehmer untergeordnet worden.

Von daher ist durch die Ablehnung des rechten Entwurfs am 17. Dezember das Schlimmste verhindert worden. Doch bis zu einer echten Demokratie ist es auch in Chile noch weit.

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"Das Schlimmste verhindert", UZ vom 22. Dezember 2023



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