Merkels bedrohliche Flüchtlingspolitik

Das Recht der Milliarden

Von Adi Reiher

Nach Zahlen der UNO-Flüchtlingsorganisation UNHCR stellten im Jahre 2014 über 700 000 Menschen einen Asylantrag in Europa. Über 250 000 davon kamen aus Syrien, Irak und Afghanistan. Der Zusammenhang mit Waffenlieferungen und dem „Krieg gegen den Terror“ springt in die Augen. Selbst im Neusprech der europäischen Riesenstaatsmänner nennt man so etwas wohl ein „hausgemachtes Problem“. Für 2015 wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach Informationen desHandelsblatt seine Prognose in Kürze auf 750 000 anheben – allein für Anträge, die Flüchtlinge in Deutschland stellen werden.

Die weltweiten Flüchtlingsströme, deren Ende nicht abzusehen ist, sind vor allem Ausdruck des Wütens des – mit Neoliberalismus eher beschönigend beschriebenen – immer hemmungsloseren Kapitalismus dieses Jahrhunderts. Wie vor 200 Jahren wird der Lebensstandard immer weiter in Richtung Existenzminimum gedrückt, bei Millionen Menschen bereits darunter – auch in den „reichen“ Metropolen. Die Anwendung von Gewalt ist dabei unabdingbar. Die Formen sind vielfältig: Schüsse von weißen Polizisten auf Afroamerikaner; die Errichtung von Grenzzäunen zwischen den USA und Mexiko oder Ungarn und Serbien; das Abfackeln von Flüchtlingsheimen in Deutschland; der Drohnenkrieg mit seinen inakzeptablen und extralegalen Hinrichtungen; das Auseinandertreiben von Demonstrationen usw. usf.

Die traumatisierten Flüchtlinge kommen vom Regen in die Traufe. Sie finden nicht das „Paradies Deutschland“, sondern aller europäischer Orten landen sie in ihrerseits traumatisierten Gesellschaften. Zerstört von Profitgier, von der Prekarisierung einer – inzwischen – Mehrheit der Bevölkerung, dem gnadenlosen Rechtspopulismus der veröffentlichten Meinung und der eigentlichen Ursache: der anhaltenden und sich beschleunigenden Verteilung des Einkommens von unten nach oben.

In Kenntnis dieser explosiven Mischung spricht die Kanzlerin im ZDF-Sommer-Interview davon, dass die Flüchtlingsproblematik uns weit länger beschäftigen werde als die gerade bewältigte – ach, tatsächlich – Griechenlandkrise. Man könne nicht im Normalmodus weitermachen, sei aber „nicht überfordert“.

Das klingt nach Pfeifen im Walde, denn Frau Merkels Rezepte und Äußerungen stammen aus der politischen Mottenkiste: Wirtschaftsflüchtlinge bitte nicht, die anderen europäischen Länder stehen auch in der Verantwortung. Abschiebung wird bleiben, genau wie die Bevorzugung besser Qualifizierter. Das bleibt auf der Linie des bekannten Populismus und der angeblichen Alternativlosigkeit, was die Probleme verniedlicht und die Verantwortung für seine Ursachen versucht anderen zuzuschieben. Frau Merkels Lösung bleibt letztlich das weitere Drehen an der neoliberalen Schraube. Damit spielt sie in die Karten der Le Pens, der AfD und der dahinter lauernden Faschisten, die mit den demokratischen und sozialen Rechten noch ganz anders aufräumen wollen. Auf deren Agenda steht die grundlegende Beseitigung der sozialen und demokratischen Rechte, die sich die arbeitenden Menschen in Jahrzehnten erkämpft haben.

Mit letzterem ist aber auch der einzige Weg benannt, auf dem das Flüchtlingsproblem, die Kriegsgefahr und die Gefährdung unserer Demokratie, die Umverteilung zu den Reichen gebannt werden kann. Nur der Kampf für grenzübergreifende Demokratie, für die Durchsetzung der politischen und sozialen Menschenrechte, gegen die hemmungslose Ausbeutung der Ressourcen. gegen den globalen Interventionismus, gegen Chauvinismus und Rassismus und für internationale Solidarität sichert eine friedliche und freie Zukunft.

Jetzt geht es darum, die Flüchtlinge willkommen zu heißen, für ihre Inte­gration in unsere Gesellschaft einzutreten. Mit ihnen und unseren Landsleuten über die Ursachen von Flucht und Vertreibung zu reden, den Rechtspopulisten, den Faschisten entgegenzutreten, darauf zu drängen, dass ihnen das Handwerk gelegt wird.

Mit Solidarität im „Kleinen“ ist es aber nicht getan. Wir brauchen einen grundlegenden Wechsel in der Politik. Der Mehltau der „Alternativlosigkeit“ muss abgeschüttelt werden, bevor er die Demokratie erstickt. Das Recht der Milliarden muss über das Recht der Milliardäre siegen, ohne dem gibt es auf diesem Planeten keine lebenswerte Perspektive.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Das Recht der Milliarden", UZ vom 21. August 2015



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flagge.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit