UZ: Barbara und Winfried Junge, Sie haben beide die „Kinder von Golzow“ fast ein halbes Jahrhundert bis über die Mitte ihres Lebens filmend begleitet. Seit 2007 ist nun endgültig Schluss mit dieser „ältesten Langzeitbeobachtung der Filmgeschichte“. Warum?
Wilfried Junge: Einmal musste ja Schluss sein, und wir wurden ja auch müde in den Jahren, denn es war immer schwerer geworden, noch Geld für die Filme zu bekommen. Das Regieführen bestand zu 95 Prozent aus Managen und Anträgeschreiben bei allen möglichen Förderern und Geldgebern. Mit einigen von den Golzowern hätte man zwar noch weitermachen können, aber nicht mit allen, denn unter den neuen Bedingungen im Kapitalismus war es für einige von ihnen auch riskant, noch zu all dem zu stehen, was sie in den Filmen mal gesagt hatten oder die Filme über sie aussagten. Viele sind dann vorsichtiger geworden. Wir können ja überhaupt froh sein, dass sie so lange mitgemacht haben und uns in ihr Leben haben schauen lassen.
Barbara Junge: Es war ja auffallend, dass sie zu DDR-Zeiten sehr offen über private Dinge sprachen, aber zu politischen Fragen eher zurückhaltend, vor allem in den 1980ern. Nach der Wende war es genau umgekehrt, da wollte man das Private aus den Filmen eher heraushalten. Das Ende unserer Arbeit erklärt sich aber auch daraus, dass durch die Digitalisierung ganz neue technische Herausforderungen entstanden, denn das Material in unserm riesigen Archiv ist alles 35-mm-Film. Es ist ja noch viel davon da, aber wer weitermachen wollte, müsste es zunächst digital umsetzen lassen, was eben kostet. Wir schafften das nicht mehr. Auch die Förderinstanzen waren wohl froh, dass es endlich zu Ende ist.
UZ: Stand nicht auch zu DDR-Zeiten die Fortführung der Golzow-Filme manchmal auf der Kippe?
Wilfried Junge: Das stimmt, und da die DDR nicht unbegrenzt über Ressourcen verfügte, war das auch normal. Filmmaterial war knapp, auch Benzin war knapp, und manchmal stand auch keine Kamera zur Verfügung. In der ursprünglichen Planung waren nur die ersten drei Filme, und auch unter denen hatten sich einige in der Leitung wohl schon etwas mehr Pädagogisch-Politisches vorgestellt, sozialistische Musterschüler vielleicht, aber nicht die ganz normalen, alltäglichen, die wir hatten. Auch später gab es manchmal die Einschätzung, dass das erwartete Bild vom heranwachsenden Sozialisten keines ist und man das ganze Projekt deswegen beenden sollte. Andererseits war die internationale Resonanz bereits so groß, dass man sich zum 30. Jahrestag der DDR einen ersten zusammenfassenden Film erhoffte. Der hieß „Anmut sparet nicht noch Mühe“ – nach Brecht/Eislers Kinderhymne – und machte mich 1981 überraschenderweise zum Nationalpreisträger. Das wiederum half, die doppelt so langen „Lebensläufe“ nachreichen zu können und so restliches Material nicht zur Silberrückgewinnung abwaschen zu lassen. Im Gegenteil, wir sollten auf einen 50. Jahrestag der DDR 1999 hin weiter dokumentieren. „Lebensläufe“ war durch die Festivals von Leipzig und Berlin 1982 und den Ankauf durch die ARD ein internationaler Erfolg geworden. Gut auch für den Valutahaushalt der DDR. Wichtig für uns, dass die Einsicht wuchs, was solche Porträts normaler Bürger leisten können. Insbesondere als die Zeitenwende sie 1989/90 zum Spiegel der deutschen Dinge machte. Bis zu Prof. Klaus Keil, dem Chef des Filmboard Berlin-Brandenburg, ist diese Einsicht leider auch später nicht so recht durchgedrungen. Er fragte uns argwöhnisch und um seine Fördermittel besorgt: „Na, wieviel Golzower haben Sie denn da noch auf Lager?“ und beschied uns dann: „Ich fördere keine Dubletten.“
UZ: Nach welchen Kriterien wurden die Kinder ausgewählt? Spielte die soziale Herkunft eine Rolle?
Wilfried Junge: Eigentlich gar nicht. Es ging mehr um die Kinder und darum, ob sie interessante, wache Gesichter hatten vor der Kamera. Bei Gudrun, der Tochter des LPG-Vorsitzenden, der eine ganz wichtige Rolle in dem Dorf hatte, sind wir allerdings erst spät darauf gekommen, sie näher in Betracht zu ziehen, darum haben wir von ihr auch wenig Material aus den ersten Jahren.
UZ: Aber die Berufe der Eltern spiegeln in etwa die DDR als Arbeiter-und-Bauern-Staat?
Wilfried Junge: Das ergibt sich wohl durch die Wahl des Ortes, der in einer landwirtschaftlich geprägten Gegend am Rande der DDR liegt. Hier gab es kaum Industrie, der 2. Weltkrieg hatte tiefe Spuren hinterlassen. Das Dorf hatte immer um tausend Einwohner, und dass die Golzower Kinder und die der umliegenden Gemeinden nun erstmals eine zehnklassige Oberschule besuchen konnten, war eine große Errungenschaft.
UZ: Und heute haben die Filme und die „Kinder von Golzow“ dort sogar ein eigenes kleines Museum. Wie kam das, und was passiert dort?
Wilfried Junge: Das war zur Berlinale 1999, da kamen plötzlich der Bürgermeister von Golzow und der Amtsdirektor auf die Bühne im Delphi-Kino, gratulierten uns mit einem riesigen Blumenstrauß zum Film über Brigitte und verkündeten, dass es eine ständige Ausstellung „Die Kinder von Golzow“ geben werde. Ich war damals sehr skeptisch, ob dahin überhaupt Leute kommen würden, aber die Golzower sahen das anders. So fing das an, und dann mussten wir eben zusammen aus der Idee eine Realität machen, also Material und Geräte heranschaffen. Sie hatten die Idee und das große Engagement, dann auch einen von bald mehreren Räumen, und wir hatten das Material, das wir kofferweise hingeschafft haben. Am Ende übereigneten wir auch Barbaras Schneidetisch. Außerdem unterstützte das Filmmuseum Potsdam mit einer Tonkamera und Kinogestühl. Seit unsere Arbeit 2007 endete, heißt es nun „Museum Die Kinder von Golzow“ und hat immerhin jährlich zwischen 1 000 und 2 000 Besucher.
Barbara Junge: Die kommen aus Golzow und Umgebung und schauen sich dort die Filme an, aber auch von weiter her, sogar aus dem Ausland. Das Museum wird von einem Verein getragen und vom Verkauf unserer Golzow-Bücher und -filme. Das Team, das aus verschiedenen Fördertöpfen bezahlt wird, ist sehr motiviert, es gibt audiovisuelle Stationen, Veranstaltungen und Führungen, jedes Jahr eine „lange Filmnacht“, zu der wir auch selbst hinfahren.