„Wollen Sie, dass die Region Kurdistan und die Gebiete außerhalb der Verwaltung der Region zu einem unabhängigen Staat werden?“ Über diese Frage wird am 25. September 2017 im kurdischen Autonomiegebiet im Irak abgestimmt, wohl auch gegen das Urteil des obersten Gerichts des Irak.
Schon lange leben die Kurden im Irak in einer faktisch autonomen Region. 1991 richteten die USA eine Flugverbotszone über dem Süden und Norden des Irak ein. Nach einer Reihe von blutigen Zusammenstößen mit kurdischen Streitkräften zog sich die irakische Armee aus den kurdischen Gebieten zurück. De facto hatte das irakische Kurdistan damit seine Unabhängigkeit erreicht. Bagdad spielte keine Rolle mehr, es gab eine eigene Flagge und Nationalhymne, ein Parlament.
Nach den Wahlen 1992 war das kurdische Parlament aufgeteilt unter Jalal Talabanis „Patriotischer Union Kurdistans“ und Massoud Barzanis „Kurdischer Demokratischer Partei“.
Die beiden Parteien beschränkten sich nicht auf den parlamentarischen Kampf. In militärischen Auseinandersetzungen kamen mehrere Tausend Menschen ums Leben. Kämpfe zwischen den beiden Parteien und regionalen Unterstützern dauerten mit Unterbrechungen bis 1998, als ein formaler Friedensvertrag geschlossen wurde.
Nachdem es seit 1991 eine faktische Autonomie gab, kam der nächste Schritt 2003. Die kurdische Regionalregierung nahm am Irakkrieg auf Seiten der USA teil – und in der später verabschiedeten irakischen Verfassung wurde die Region Kurdistan mit nahezu vollständiger Souveränität ausgestattet.
Dann kam der IS. Die irakische Armee floh und die Regierung verlor die Kontrolle über große Gebiete des Landes. Den kurdischen Peschmerga gelang es mit Hilfe der USA den IS zu vertreiben – und zugleich die Kontrolle über weitere Gebiete zu übernehmen. Dazu gehörte auch die bis dahin zwischen der Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung umstrittene Stadt Kirkuk mit den umliegenden Ölfeldern.
Der Streit mit der Zentralregierung um die Verteilung der Öleinnahmen und sinkende Ölpreise verschlechterten die Wirtschaftslage. Beamtenlöhne wurden zu spät ausgezahlt, Entwicklungsprojekte wurden gestoppt, Korruption und Seilschaften blieben. Dies führte im Oktober 2015 zu mehreren, teilweise gewalttätigen, Protesten gegen den kurdischen Präsidenten Barzani. Viele junge Kurden verließen das Land.
Der Präsident Kurdistans, Barzani erhielt wegen der Krise eine Verlängerung seiner Amtszeit. Eine parlamentarische Einigung über das Präsidentenamt gab es nicht. Neuwahlen fanden wegen der schlechten Sicherheitslage nicht statt.
Außerhalb der Bau- und Ölindustrie fehlt eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Noch immer müssen 90 Prozent der Nahrungsmittel importiert werden und 70 Prozent der Beschäftigten arbeiten im öffentlichen Dienst; Korruption bleibt weit verbreitet.
Wer also mit der erweiterten Autonomie des irakischen Kurdistan nach dem Irakkrieg von einer demokratischen, wirtschaftlich blühenden Landschaft geträumt hatte, fand sich getäuscht. Auch hier erweist sich der Ölreichtum eher als Fluch denn als Segen.
Nach mehreren früheren Anläufen, die nicht umgesetzt wurden, wird das Referendum jetzt abgehalten – auch eine Antwort auf die politische und wirtschaftliche Krise. Ungefähr drei Viertel der Abgeordneten im kurdischen Parlament unterstützen das Referendum, dagegen sprach sich z. B. die Partei „Gorran“ aus, die in den Protesten 2015 eine wichtige Rolle gespielt hatte.
Die internationalen Reaktionen auf das bevorstehende Referendum sind nicht begeistert. Die Türkei und die kurdischen Autonomiegebiete im Irak pflegen beste politische und wirtschaftliche Beziehungen – aber eine wirkliche Staatsgründung würde in der Türkei nicht gerne gesehen. Und auch in dieser Frage stimmt die türkische Regierung mit der des Iran überein. Nur Israel unterstützt eine kurdische Unabhängigkeit ohne Vorbehalt.
Eine weitgehende kulturelle und politische Autonomie hat Kurdistan schon lange. Der wirkliche Streitpunkt ist – wieder einmal – das Öl. Die Verteilung der Öleinkünfte, die Zukunft der Stadt Kirkuk – das sind Fragen, um die es im Referendum geht.
Das Urteil des Obersten Gerichts, nach dem das Referendum verfassungswidrig sei, hat keine wirkliche Bedeutung. Das Selbstbestimmungsrecht lässt sich nicht durch eine Verfassung begrenzen.
Doch ein eigener kurdischer Staat wird die wirtschaftlichen und politischen Probleme Kurdistans nicht lösen und auch die Korruption nicht beschneiden. Eine Staatsgründung wird auch nicht unbedingt erfolgen. Vielmehr kann die Drohung mit der Staatsgründung als Verhandlungsmasse eingesetzt werden – und die finanzielle Situation der gut gestellten Seilschaften im irakischen Kurdistan fördern.