Zu den verdrängten Bauernprotesten

Das neue Wir-Gefühl

Bella Gruber

Verlängerung des Ausreisegewahrsams, das erlaubte Betreten von Wohnungen von Geflüchteten durch Polizisten ohne Gerichtsbeschluss, unangekündigte Abschiebungen, schnellere Ausweisungen für „Straftäter” mit „menschenverachtenden Beweggründen“ – klingt furchtbar, oder? Das sind keine Forderungen der AfD, sondern Bestandteile des 5. Reformpakets des Asylgesetzes der Ampel-Regierung. Wird hinter verschlossenen Türen über Abschiebung geredet, drängt es Tausende auf die Straße. Wird offen im Bundestag darüber diskutiert, bleibt es still.

Während die Medien ihre Kameras auf die bunten Proteste konzentrieren, wird die soziale Realität in Deutschland systematisch ausgeblendet. Die Herrschenden und ihre Medienpartner setzen auf Inszenierungen, die wie eine Farce wirken – bunte Fahnen der Regierungsparteien neben lustigen und weniger lustigen Sprüchen gegen rechts dienen als Ablenkung von den strukturellen Problemen, die von der Bundesregierung zur Finanzierung ihrer Kriegspolitik weiter vorangetrieben werden.

Die Bauernproteste sind durch die Demonstrationen gegen die AfD von den Bildschirmen verdrängt worden. Es ist, als hätte es sie nicht gegeben. Sind sie zu gefährlich, weil sie beispielgebend waren? Was, wenn sich nicht nur Handwerker, sondern weitere Betroffene des sozialen Kahlschlags mit den Bauern solidarisiert hätten? Wenn auch sie für ihre Interessen auf die Straße gingen? Wenn sich die Gewerkschaften an die Seite der Landwirte stellen würden? Dann könnte es eng werden für die Regierung. Da ist es praktisch, wenn man die alte Leier der „rechtsoffenen“ Proteste ausgraben kann. Ob Bauern-, Handwerker- oder Friedenproteste, geht es gegen die Regierung, sind sie angeblich rechts. Da helfen auch Distanzierungen wenig. Irgendwie bleibt der Makel an den Bauern haften – und trifft aktuell auf eine Stimmung, die die Ausgrenzung ohne eigenes Hinschauen und Überprüfen schnell mitträgt.

Bei der „Wir sind die Guten“-Stimmung, die jetzt durch die Proteste gegen die AfD geschaffen wird, fallen diejenigen, die sich für ihre sozialen Rechte gegen die Bundesregierung einsetzen, hinten runter. Sie gehören nicht dazu. Dabei wären sie im Kampf gegen die Rechtsentwicklung und die soziale Demagogie der AfD deutlich bessere Bündnispartner als Baerbock und Scholz.

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"Das neue Wir-Gefühl", UZ vom 26. Januar 2024



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