Am 17. September beginnt in Berlin der Bundeskongress von ver.di. Widerstand regt sich gegen einen Antrag des Bundesvorstandes mit dem Titel „Perspektiven für Frieden, Sicherheit und Abrüstung in einer Welt im Umbruch“, der unter anderem Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen befürwortet. UZ sprach mit Olaf Harms über den Bundeskongress und die zurückliegenden Tarifrunden. Olaf Harms ist Mitglied des DKP-Parteivorstandes und seiner Kommission Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit und hat verschiedene Funktionen in ver.di.
UZ: Bei den Tarifrunden bei der Deutschen Post und im Öffentlichen Dienst gab es eine starke Mobilisierung für Warnstreiks, abgeschlossen wurde aber mit Reallohnverlust. Dabei lagen die Forderungen durchaus über der Inflationsrate. Wie bewertest du die zurückliegenden Tarifrunden?
Olaf Harms: Zunächst: Rund eine halbe Million Kolleginnen und Kollegen haben sich an der Tarifrunde im öffentlichen Dienst beteiligt. Bei der Post gab es eine Streikbereitschaft von rund 86 Prozent. Im Zuge dessen konnte ver.di bereits im ersten Halbjahr über 100.000 Mitglieder gewinnen. Und das ist gut so.
Aber betrachtet werden müssen auch die Rahmenbedingungen. Die Wiederauflage der Konzertierten Aktion im vergangenen Jahr und das vergiftete Angebot der Bundesregierung, bis zu 3.000 Euro „Inflationsausgleich“ steuer- und sozialabgabenfrei bereitzustelle hatten entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis der genannten Tarifrunden. Insbesondere diejenigen, die sich am unteren Bereich der Tariftabellen bewegen, haben vor dem Hintergrund der rasanten Inflation einen ordentlichen Schub an Einkommen benötigt, auch wenn die Einmalzahlungen zu Lasten tabellenwirksamer Erhöhungen in 2023 gehen. Ein ähnlicher Abschluss ist auch für die jetzt anstehende Tarifrunde der Länder zu befürchten. Ob es gelingt, die berechtigten Forderungen für studentische Kolleginnen und Kollegen (TV Stud) oder für eine Umlage für Beschäftigte in großen Städten, in denen das Leben ja real teurer ist, zusätzlich zu erreichen, bezweifle ich. Denn Ziel wird es sein, den Tarifabschluss des Öffentlichen Dienstes zu übernehmen.
UZ: ver.di hat sich gegen unbefristete Streiks entschieden. Wären diese nicht angesichts der Blockadehaltung der Gegenseite bei den Tarifverhandlungen notwendig gewesen, um weiteren Reallohnverlust zu verhindern?
Olaf Harms: Das ist eine Frage, die die ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen beantworten müssen, die in den Tarifkommissionen gearbeitet haben. Sie entscheiden letztlich über das Ergebnis und stellen dieses nach der Tarifrunde zur Abstimmung. Die Kollegen der Bundestarifkommission haben den Mitgliedern Annahme empfohlen. Um die 65 Prozent der Mitglieder haben in einer Abstimmung dafür votiert. Ob bei einer Empfehlung auf Ablehnung ein ähnliches Ergebnis zustande gekommen wäre? Aus meiner Sicht wäre es hilfreich, den Prozess der Mitgliederbeteiligung in Arbeitskämpfen wesentlich auszuweiten und die Kolleginnen und Kollegen, die nicht am Verhandlungstisch sitzen, intensiver mit einzubeziehen.
UZ: Am 17. September startet der ver.di-Bundeskongress in Berlin. Neben den Tarifkämpfen wird die Friedensfrage hier von Bedeutung sein. In einem Aufruf, den unter anderem die Informationsstelle Militarisierung (IMI) unterstützt, wird der Vorwurf formuliert, ver.di schwenke im Falle der Annahme des Leitantrags auf den Kriegskurs der Bundesregierung ein. Wie schätzt du in dieser Frage den Leitantrag ein?
Olaf Harms: Der Aufruf „Sag Nein“ ist inzwischen von mehr als 8.000 Menschen unterzeichnet worden, darunter wahrscheinlich viele Gewerkschaftsmitglieder. Er drückt eine Stimmung aus, die sich gegen immer weitere Waffenlieferungen wendet und stattdessen für Waffenstillstand, für Diplomatie und letztlich für ein Ende dieses Krieges eintritt. Ähnliche Aufrufe gibt es auch aus Teilen der SPD, die befürchten, dass die Entspannungspolitik, wie sie Willy Brandt verfolgt hat, ad acta gelegt wird. Dennoch habe ich diesen Aufruf nicht unterschrieben, weil er unter anderem mit Bezügen zu 1914 und der damaligen Burgfriedenspolitik der Gewerkschaften, also dem Aussetzen jeglicher Kämpfe für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, nicht das heutige Bild widerspiegelt.
Aus meiner Sicht müssen erhebliche Veränderungen an dem Leitantrag stattfinden. Er muss korrigiert werden. Das gilt natürlich für das Thema Waffenlieferungen und für Auf- und Hochrüstung. Richtig war und ist die Position, Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete abzulehnen, denn sie verlängern nur das Leid der Menschen. Der Leitantrag richtet sich gegen eine „unbegrenzte Auf- und Hochrüstung der Bundeswehr und der NATO“. Das ist uns natürlich zu schwach. Wir stehen für „Abrüsten statt Aufrüsten“.
Es gibt eine große Einigkeit in der Ablehnung des Krieges. Was die Ursachen betrifft, ist das nicht der Fall. Der Leitantrag nennt das Großmachtstreben Russlands als Ursache für den Angriff auf die Ukraine. Damit allein ist dieser Krieg nicht zu erklären. Man darf nicht außer Acht lassen, dass die Einkreisungspolitik der USA, die sich gegen die damalige Sowjetunion richtete, kontinuierlich durch die NATO gegen Russland fortgeführt wurde. Mehr als beschämend ist es, dass eine Bundeskanzlerin ein Völkerrechtsabkommen, Minsk II, nur dafür nutzte, um die Ukraine militärisch zu stärken. Und last but not least gehört zur Wahrheit auch dazu, dass in der Ukraine seit 2014 ein Bürgerkrieg herrschte. All das sind aus meiner Sicht weitere Ursachen für diesen Krieg, zu entschuldigen ist er damit allerdings nicht.
Der Bundeskongress hat es in der Hand, hier korrigierend einzugreifen und zu urgewerkschaftlichen Positionen zurückzufinden.
UZ: Wie wirst du dich bei der Abstimmung verhalten?
Olaf Harms: Es muss gelingen, den Leitantrag zum Frieden wesentlich zu verbessern, dann hat er auch meine Zustimmung. Zumal eine Positionsbestimmung gegen Aufrüstung und Krieg und damit natürlich auch gegen das Aufrüstungsgebot von 2 Prozent des BIP doch auch die Ausgangslage für die zahlreichen sozialpolitischen Anträge, zur sozialökologischen Transformation und nicht zuletzt zur Forderungsaufstellung in kommenden Tarifauseinandersetzungen wesentlich verbessert.
UZ: Welche Rolle und Aufgaben haben Gewerkschaften in der Friedensbewegung? Schließlich vertritt ver.di auch Bundeswehrsoldaten und die IG Metall unter anderem die Interessen der Beschäftigten der Rüstungsindustrie.
Olaf Harms: Die Arbeiterklasse eines jeden Landes hat objektiv kein Interesse an Krieg, denn sie sind es doch, die sich in Uniformen als Soldaten gegenüberstehen. Deshalb kann es doch nur Aufgabe der Gewerkschaften sein, sich gegen Kriege, gegen Auf- und Hochrüstung aktiv einzusetzen. Und damit sind wir bei einer gewerkschaftlichen Grundhaltung, bei der es wieder gilt, sie auch in den Gewerkschaften zu stärken und die Kolleginnen und Kollegen davon zu überzeugen.