Mit der Flüchtlingsfrage wird der Rechtspopulismus hoffähig (gemacht)

Das muss kochen

Von Adi Reiher

In der letzten Silvesternacht hat sich mehr gewendet als das alte auf das neue Jahr. Die Vorfälle rund um den Kölner Hauptbahnhof – in erster Linie deren politische Nachbereitung – haben Angst und Verunsicherung in neuer Qualität in den deutschen Alltag getragen.

Diese Kampagne gründet zu allererst auf dem Umbruch, der seit langem in Deutschland stattfindet. Die Politik des Sozialabbaus und der Kriegseinsätze der Bundeswehr im Ausland, die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben lassen sich jetzt nicht mehr allein mit der Salamitaktik umsetzen, die in den vergangenen Jahrzehnten von den Kanzlern Schmidt, Kohl, Schröder und zuletzt von Frau Merkel überaus erfolgreich eingesetzt worden war.

Mit der Verschärfung der sozialen Krise in Europa, mit dem offenen Anspruch auf den Status einer (kriegerischen) Großmacht durch die Bundesregierung, mit der Zuspitzung der Widersprüche zwischen den und in den einzelnen europäischen Ländern geht die Verschiebung des gesellschaftlichen Klimas nach rechts einher. Die „Flüchtlingskrise“ ist das Vehikel, mit dem diese Veränderung durchgesetzt werden soll.

Frau Merkel sagte: „Wir schaffen das“. Ihren Part, den Part der Regierung, ließ sie jedoch schleifen. Wo blieben die hauptamtlichen Sachbearbeiter, die Flüchtlinge registrieren, ihnen eine Unterkunft verschaffen und ihre Fälle bearbeiten? Warum wurden die Flüchtlinge in Turnhallen und Zelte gepfercht, statt sie in leerstehenden Spekulantenwohnblocks unterzubringen? Warum gibt es kein transparentes Konzept, wie die Flüchtlinge auf Europa verteilt werden? Die Antworten sind in allen Fällen gleich. Trotz voller Kassen wird das Geld für diese Aufgaben nicht zur Verfügung gestellt. Denn das Flüchtlingsproblem muss kochen, statt erledigt zu werden, weil nur so der politische und soziale Druck auf dem Kessel gehalten werden kann.

Die Zustände in den Asylunterkünften sollen unerträglich sein, die Belastung von ehrenamtlichen Helfern sollen an die Schmerzgrenze gehen, die Turnhallen sollen den Vereinen entzogen werden und die Kommunen sollen zu Einsparungen in anderen Bereichen gezwungen werden. All das, damit das humane Denken bei der Mehrheit gebrochen wird. Die diffuse Angst selbst unterzugehen, war schon im vorigen Jahrhundert das Mittel, das Wähler trieb, für die Nazis zu stimmen. Die Kölner Silvester-Vorfälle waren jetzt die Initialzündung, um all dies freizulegen.

Wenige Wochen – Seehofers ominöse sieben – vor den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg (alle am 13. März) und den wichtigen Kommunalwahlen in Hessen (am 6. März) ist Frau Merkels Koalition und Kanzlerschaft in arge Bedrängnis geraten. Die deutsche Politik ist auf der schiefen Ebene und rutscht nach rechts. Die CSU prügelt in Panik auf die CDU ein, die SPD weiß nicht, wo ihr der Kopf steht. Im Land bilden sich Bürgerwehren, Pegida marschiert, „Gutmenschen“ werden gebrandmarkt, AusländerInnen angegriffen. Die „Alternative für Deutschland“ – durchsetzt mit Neonazis – wird hofiert, ihr werden zweistellige Wählerzahlen prognostiziert.

Ob am Ende Frau Merkel noch Kanzlerin ist, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass auf dem Arbeitsmarkt die Konkurrenz verschärft wurde, dass der Preis der Ware Arbeitskraft nach unten gegangen ist. Das war die Forderung der Unternehmerverbände, die BDI-Präsident Grillo vor einigen Tagen noch einmal erneuert hat. Besonders schmerzlich ist auch die drohende De-Facto-Abschaffung des Asylrechtes. Damit fiele ein besonders wichtiger Baustein des ursprünglichen Grundkonsenses der Republik „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“.

Nicht zuletzt stünde am Ende dieser „Operation“, dass das politische Bewusstsein spürbar nach rechts verschoben ist. Als wichtigste innenpolitische Folge könnte am Ende die Hoffähigkeit des rechtspopulistischen Spektrums stehen – zunächst in Gestalt der AfD. Wie anderswo in Europa gäbe es dann auch in Deutschland eine rechte Kraft, die dem wabernden faschistoiden Sumpf Struktur und Selbstbewusstsein gibt.

Ob es so kommt, ist noch nicht entschieden. Und wenn, dann muss es nicht von Dauer sein. Nämlich dann, wenn der Widerstand dagegen von allen demokratischen Kräften und Bewegungen als gemeinsame Aufgabe begriffen wird.

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"Das muss kochen", UZ vom 29. Januar 2016



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