„Betrug auf Steroiden“ durch einen „finanziellen Serienmörder“ – die Beschreibungen Bernard Madoffs und seines Verbrechens sind zahlreich und monströs. Genauso wie die Zahlen in dem Betrug: Der US-amerikanische Finanz- und Börsenmakler, der sich hauptsächlich als Anlagebetrüger betätigte, hatte, als sein nach dem Ponzi-Schema (ähnlich dem Schneeballsystem) funktionierender Betrug 2008 aufflog, rund 65 Milliarden US-Dollar Schaden verursacht – und wurde dafür zu 150 Jahren Gefängnis verurteilt.
Im Ariadne Verlag ist nun ein schmales Bändchen erschienen, in dem Dominique Manotti Bernard Madoff zu Wort kommen lässt. Eine Novelle, nur wenige Seiten lang, ein Monolog, den Madoff im Gefängnis hält. Vor Zuhörern? In Gedanken? Man weiß es nicht.
Manotti gibt dabei nicht nur Einblick in die mögliche Gedankenwelt eines Mannes, der in True-Crime-Dokus wie etwa bei Netflix (Bernie Madoff – Das Monster der Wall Street) abwechselnd als Soziopath, chronischer Lügner oder Narzisst beschrieben wird, sondern in das System, das einen Fall Madoff möglich machte und wieder möglich machen wird.
Der Aufstieg von Madoff begann, als die Reagan-Ära jeglicher Regulierung von Märkten und insbesondere Finanzmärkten eine klare Absage erteilt hatte, „die Maschinerie war entfesselt“. Für diejenigen, die das Risiko nicht scheuten, war die Botschaft klar: „Für uns, die Spieler an den Börsen, waren ‚Insidergeschäfte‘ ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die nur existierte, um denen Zeitvorteil und Prämie zu verschaffen, die kühn genug waren, sie zu umgehen. Ein einziges Gesetz: das Gesetz des Marktes.“
Wir schlittern mit „Madoffs Traum“ mitten hinein in das Schaffen und Platzen von Blasen, sei es nun Dotcom oder Immobilien. Die Menschen? Egal. „Natürlich mussten damit Millionen von Amerikanern ihren Traum vom Eigenheim für einige Zeit und unter chaotischen Umständen begraben. Aber da kann man nichts machen. Das sind die Risiken des Marktes.“
Als die Beweise erdrückend werden, der Markt zusammenbricht und Madoffs Geld zur Neige geht, bekennt er sich schuldig. „Ich rechnete mit zwei Jahren Gefängnis, wie in der Rechtsprechung der Achtziger. Ich bekam 150 Jahre.“ Bei Manotti sieht sich Madoff als Verfolgter, sie verbrennen eine Hexe, „Anschließend machen sie weiter, exorziert, mit friedvoller Seele und klarem Blick“. Auch eine Bankenkrise währt nicht ewig und die Banken werden gerettet werden. Und Madoff, der die Krise nicht verursachte, sondern nur über sie gestolpert ist, weiß genau: „Ich bin kein Verbrecher. Ich bin einer der Gründerväter der neuen Ökonomie.“
Was bringt Dominique Manotti, Historikerin mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsgeschichte und Autorin exzellenter Krimis, dazu, eine Novelle über einen Mann wie Madoff zu schreiben? Und was bringt ihren deutschen Verlag dazu, den Text zehn Jahre nach dem Verfassen in deutscher Übersetzung zu veröffentlichen? Was Ariadne angeht, kann ich nur mutmaßen. Die Sprache, die gerade in ihrer Knappheit so eindringlich ist? Die Lust an einem bissigen Lehrstück? Vielleicht teilt der Verlag aber auch die Gründe der Autorin. Die verrät Manotti im Nachwort. Unbändiger Zorn war es, der sie angetrieben hat, die Novelle zu verfassen. Nicht auf Bernard Madoff und sein Schneeballsystem. Sondern auf ein anderes System.
Mitten in einer Bankenkrise, die Millionen US-Amerikaner mittellos auf der Straße zurückgelassen hat und die auch viele Europäer ins Elend stürzte, gab es keine nennenswerten Klagen in der europäischen Presse über diese Menschen. Dafür ausführliche Porträts über die Opfer Madoffs. Kein einziger Banker kam wegen der Subprime-Krise ins Gefängnis, Madoff wurde zu 150 Jahren verurteilt, sein Richter sprach vom „schlimmsten Verbrecher“, der ihm je untergekommen war. „In den Vereinigten Staaten hat man das Recht, die Armen zu berauben, nicht aber die Reichen. Daher mein Zorn“, so Manotti.
Es ist das Prinzip des Kapitalismus. Denn „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“
Dominique Manotti
Madoffs Traum
Ariadne Verlag, 2023, 57 Seiten, 9,– Euro
Erhältlich im UZ-Shop