Steuersenkung fehlt im Koalitionsvertrag – Lässt sich aber später durchsetzen

Das Kapital verlangt mehr

Von Lucas Zeise

Die Unternehmerverbände geben sich in ihrer Mehrheit unzufrieden mit dem mühsam gebastelten Koalitionsprogramm, das in der vorigen Woche der staunenden Öffentlichkeit vorgestellt worden war. „Dieser Vertrag ist noch scheußlicher als erwartet“, sagt beispielsweise Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander, der Sozialstaat werde „explosionsartig ausgeweitet“. Auch der Präsident des BDA (Dachverband der „Arbeitgeber“-Verbände), Ingo Kramer, befindet, die künftige Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Firmen werde zu wenig beachtet. Dass eine Unternehmenssteuerreform nach dem Vorbild des US-Präsidenten Donald Trump fehlt, beklagen auch die Industrieverbände und die Handelskammern. In der Steuerpolitik fehle trotz guter wirtschaftlicher Lage „der Mut zu spürbaren Entlastungen und zu Strukturreformen“, kritisiert der Präsident des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie), Dieter Kempf. Deutschland müsse sich dringend dem internationalen Steuerwettbewerb stellen. Der oberste Industrieverband fasst seine harsche Kritik auf seiner Web-Seite mit dem Satz zusammen, die deutsche Industrie sei „in der Gesamtschau“ mit „dem Koalitionsvertrag unzufrieden“.

Es gibt auch Ausnahmen: Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft beispielsweise zeigt sich glücklich darüber, dass es der privaten, vom Staat subventionierten Altersvorsorge nicht an den Kragen gehen wird. Bitcom, der Verband der Informations- und Telefonunternehmen, freut sich, dass die künftige Regierung sich auf eine großzügige Förderung der Digitalbranche festgelegt hat. Für die Banken in Privatbesitz sagt deren Verbandspräsident Hans-Walter Peters: „Trotz einiger Schwächen, etwa in der Steuerpolitik, ist dieser Koalitionsvertrag eine gute Grundlage für eine erfolgreiche Regierungsarbeit“. Positiv sei, dass sich die neue Merkel-Regierung stärker um die Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland kümmern und die Regulierung der Banken zurücknehmen wolle.

Eindeutig aber ist: Bei den Kapitalisten und ihren Verbänden überwiegt die Kritik. Liegt es vielleicht daran, dass in in ihren Augen CDU-Merkel und CSU-Seehofer den SPD-Unterhändlern zu viele Zugeständnisse gemacht haben? Für diese Theorie gibt es keine Belege. Weder beschweren sich die Unternehmer darüber, noch finden sich im 177-seitigen Koalitionsvertrag Spuren solcher Zugeständnisse. Von den Forderungen, welche die SPD-Führung ihrer Basis gegenüber versprochen hatte, sie sollten durchverhandelt werden, bis „es quietscht“, wird die Bürgerversicherung im Vertrag nicht einmal erwähnt. Der Kampf gegen die Altersarmut soll mit homöopathischen Mitteln nach Hartz-IV-Modell geführt werden. Der Nachzug von Familienangehörigen wurde vom Bundestag auf Antrag der Verhandlungsparteien bereits ausgesetzt und der Willkür der Verwaltung überlassen. Und zur Erhöhung der Rüstungsausgaben auf 2 Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukts) heißt es im durchverhandelten Koalitionsvertrag wörtlich, Deutschland „wird dem Zielkorridor der Vereinbarungen in der NATO folgen“. Bei den Verhandlungen über die unabdingbaren SPD-Forderungen kann es nicht gequietscht haben.

Dass es zwischen SPD und den beiden Christenparteien in der Sache große Übereinstimmung gibt, erstaunt weder die Leser dieser Zeitung noch die Geschäftsführer der Unternehmerverbände, noch auch die, die nur den Wahlkampf der SPD und ihres Spitzenkandidaten Martin Schulz verfolgt haben. Schulz hielt erklärtermaßen die Politik Angela Merkels und die der bisherigen Großen Koalition für richtig. Gequietscht hat es in den Verhandlungen deshalb nicht beim Inhalt, sondern bei der Verteilung der Ressorts. Auf diesem Feld haben Merkel und die CDU erstaunliche Zugeständnisse an die SPD gemacht: Vier klassische Ministerien (Außen, Finanzen, Arbeit & Soziales, Justiz), dazu die für Familie und Umwelt kann dem Koalitionsvertrag zufolge die SPD-Führung nach ihrem Gusto besetzen. Ist das der Grund, warum die Unternehmer so unfreundlich auf den Koalitionsvertrag reagieren?

Noch ist die neue Regierung nicht im Amt. Erfahrungsgemäß stellen sich die wirklich wichtigen Fragen und Entscheidungen erst im Laufe der Regierungszeit. Da kommt es schon darauf an, wer an den wichtigen Stellen in der Regierung sitzt. Die Entlastung der Bürger und Firmen von Steuern und Abgaben, die von BDI, BDA, Bankenverband BdB und hinter ihnen stehenden Unternehmenslenkern und Kapitalisten so ersehnt werden, lässt sich auch später noch erreichen. Auch die Agenda 2010 stand 2002 nicht im Koalitionsprogramm von SPD und Grünen. Der BDI und die anderen Verbände geben sich zwar jetzt mit dem Koalitionsvertrag unzufrieden. Dennoch wünscht BDI-Präsident Kempf, dass diese dritte Große Koalition aus CDU, CSU und SPD zustande kommt. „Ich hoffe natürlich, dass die SPD-Basis zustimmt“, sagt er und beweist damit sein tiefes Verständnis von Politik

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"Das Kapital verlangt mehr", UZ vom 16. Februar 2018



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