Das Jetzt-erst-recht-Gefühl

Von Olaf Matthes

Kommunisten

für Entlastung

Erklärung des DKP-Parteivorstands vom 19. August

Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ist solidarisch mit den Streikenden und wünscht den Kolleginnen und Kollegen viel Kraft und Erfolg. Der DKP-Parteivorstand fordert die Mitglieder und Gliederungen der DKP auf, die bundesweite Bewegung für Entlastung an den Krankenhäusern noch stärker zu unterstützen.

Wir wünschen euch Erfolg, weil euer Streik auch ein Streik gegen die unsoziale Politik der Regierungen von Bund und Ländern ist. Es war die Politik der Regierungen, die das ganze Gesundheitswesen dem Zwang der Profitmacherei untergeordnet hat. Es war die Politik der Regierungen, die Ausbildung und Arbeit in den Gesundheitsberufen so unattraktiv gemacht hat, dass jetzt die Bewerber fehlen. Es war die Politik der Regierungen, die dazu geführt hat, dass ihr heute feststellen müsst: Die Unterbesetzung an den Krankenhäusern gefährdet die Versorgung der Patienten und die Gesundheit der Beschäftigten. Die Bundesregierung und die Regierungen der Länder setzen damit die Forderungen und Vorgaben der Arbeitgeberverbände, der Konzerne und Banken um.

Nun präsentiert sich der Gesundheitsminister Jens Spahn als Lichtgestalt, der endlich die Probleme in den Kliniken angeht. Das zeigt vor allem eins: Die Bewegung für Entlastung ist so stark geworden, die öffentliche Sympathie für eure Forderungen ist so groß, dass die Regierung sie nicht einfach beiseite wischen kann. Aber was Spahn verspricht, reicht nicht einmal, um die dringendsten Probleme zu lösen. Deshalb wird durch euren Streik klarer sichtbar: Diese Regierung vertritt die Interessen der Banken und Konzerne. Freiwillig wird sie nichts für uns tun, nur die Bewegung auf der Straße und der Kampf in den Betrieben kann sie zu Verbesserungen zwingen.

Wir wünschen euch Erfolg, weil euer Streik zeigt: Die Klinikvorstände wollen die Häuser rentabel organisieren. Die Arbeit, die nötig ist, um das Krankenhaus am Laufen zu halten und die Patienten zu versorgen, macht ihr. Die Klinikvorstände behaupten, euer Streik gefährde Patienten. In Wahrheit übernehmt ihr gerade mit eurem Streik Verantwortung für ein Gesundheitswesen, das den Menschen dient und nicht dem Profit. Was für die Krankenhäuser gilt, gilt für die ganze Gesellschaft: Wir brauchen keine „Arbeitgeber“, die die Wirtschaft für ihre eigennützigen Interessen zurichten. Die arbeitenden Menschen haben die Kraft und das Wissen, die nötig sind, um Krankenhäuser am Laufen zu halten und Patienten zu versorgen, um Unternehmen zu organisieren und die Arbeit zu machen, die die Gesellschaft braucht. Das zeigt ihr, wenn ihr arbeitet, und das zeigt ihr, wenn ihr streikt. Ihr seid selbstbewusst, weil ihr wisst, wofür ihr kämpft und wie stark ihr sein könnt, wenn ihr gemeinsam kämpft. Mit diesem Selbstbewusstsein seid ihr ein Vorbild für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter im ganzen Land.

Als DKP unterstützen wir euren Kampf. Mit unserer Zeitung „Unsere Zeit“ (UZ) berichten wir wöchentlich darüber. Auf dem UZ-Pressefest vom 7. bis zum 9. September werden wir über die Erfahrungen der Streiks diskutieren, unsere Solidarität zeigen und am liebsten mit euch auf euren Erfolg anstoßen.

Ihr kämpft nicht nur für euch, sondern für alle Beschäftigten im Gesundheitswesen.

Ihr kämpft nicht nur für euch, sondern für alle arbeitenden Menschen.

Ihr kämpft nicht nur für euch, sondern für alle, die sich keine „Komfortstation“ leisten können.

Als ich gehört habe, dass der Arbeitgeber auf keinen Fall einen Tarifvertrag für Entlastung unterschreiben will, war mein Reflex zu denken: Scheiß‘ drauf. Dann zerreißen wir die Notdienstvereinbarung.“ Reiner Schmidt hat diese Vereinbarung zwischen Gewerkschaft und dem Vorstand der Essener Uniklinik mit ausgehandelt. Nun, in der zehnten Streikwoche, sprechen ihn immer mehr Kollegen im Streikzelt an: „Warum darf Station A mehr Betten schließen als Station B?“ „Wie kann es sein, dass bei uns OPs laufen, die man einfach verschieben könnte?“ „Wieso haben wir so viele Patienten wie immer, müssen aber die Arbeit der Serviceassistenten mitmachen – und nebenan arbeiten sie seit dem Streik so entspannt wie nie?“ Auf manche dieser Fragen hat Schmidt eine Antwort: Vielleicht konnte die Gewerkschaft durchsetzen, dass viele Betten geschlossen werden, weil die Kollegen auf der Station schon vorher aktiv waren, Überlastungsanzeigen geschrieben und sich streikbereit gemeldet haben. Für andere Antworten fehlen ihm noch die Informationen: Die Streikleitung kann nicht für die gesamte Klinik zuverlässig prüfen, ob wirklich nur Patienten behandelt werden, die nicht problemlos an eine andere Klinik verwiesen oder später versorgt werden könnten. Inzwischen häufen sich auf einigen besonders belasteten Stationen die Krankmeldungen.

„Ein Tinnitus gehört mitten im Streik nicht in eine Uniklinik“, sagt Schmidt, „Das mag ein Notfall sein, kann aber auch beim Hausarzt oder in einer anderen Klinik versorgt werden. Vor einigen Tagen hat das Personaldezernat der Klinik eine Audiometrie-Assistentin aus dem Streik für den Notdienst verpflichtet, um die Hörtests für Tinnitus-Patienten durchzuführen, Schmidt musste sie zur Arbeit schicken. „Viele Chefärzte bestellen zu viele Patienten ein“, sagt Schmidt. Und: Die Notdienstvereinbarung gibt der Pflegedienstleitung grundsätzlich die Möglichkeit, darauf zu bestehen, dass der Notdienst von fachlich erfahrenen Pflegekräften geleistet wird. Die Gewerkschaft hatte ausgehandelt, dass die Station M2B für die Dauer des Streiks geschlossen wird. Ein Teil der Patienten ist auf die Urologie verlegt worden – aber die Kollegen dort haben keine Erfahrung mit der Versorgung von Leber- und Gallenkrankheiten. Die Leitung forderte eine fachlich erfahrene streikende Kollegin an, ver.di stimmte zu – „das würden wir so nicht mehr machen“, sagt Schmidt. „Es reicht.“ Fünf bis sechs Kolleginnen am Tag musste die Streikleitung auf Grundlage der Vereinbarung bisher ungefähr zur Arbeit schicken.

Wie sollen die Streikenden damit umgehen? Ist es möglich, mit dem Vorstand Anpassungen zu verhandeln, sollen sie den Streik sogar ohne Notdienstvereinbarung weiterführen? Bisher verhandeln Gewerkschaft und Leitung ruhig und professionell miteinander, wenn es um die Notdienste geht. In einigen Fällen haben sie sogar von Mitarbeitern in leitenden Positionen Tipps bekommen, wo die Gewerkschaft noch für den Streik mobilisieren kann. Zweimal am Tag treffen sich Vertreter beider Seiten bei der „Clearingstelle“ – sie besprechen, wo die bestehenden Regeln angepasst werden müssen, oft sind sie nach fünf Minuten fertig. Wenn nötig, holen sie fachlich kompetente Kollegen dazu: „Ich maße mir nicht an, zu entscheiden, wie viele Dialysepatienten ein Pfleger betreuen kann, da holen wir einen Kollegen dazu. Die Experten sitzen vor Ort.“ Dann sagt der Pfleger: Bestellen Sie diesen Patienten nicht ein, der Chefarzt sagt: Dann stirbt er, der Pfleger antwortet: Er kann in Mülheim genauso gut versorgt werden. In diesen Gesprächen sitzt die Leitung am längeren Hebel: „Ich diskutiere nicht mit einem Chefarzt, was ein Notfall ist“, sagt Schmidt. Aber dem Chefarzt geht es nicht immer nur um medizinische Notwendigkeiten, sondern auch darum, seine Klinik normal und rentabel zu betreiben.

Die Zahl der OP-Säle, die auch im Streik mit OP- und Anästhesie-Pflegern besetzt werden, war einer der Kernpunkte in den Notdienstverhandlungen. „Der Arbeitgeber argumentiert, wie schwerkrank die Patienten sind, wir sagen, das Ruhrgebiet ist voll von Kliniken mit Maximalversorgung, nicht alles muss bei uns behandelt werden. Dann drehen wir uns immer im Kreis, bis irgendwann spät abends ein Kompromiss gefunden wird“, beschreibt Schmidt die Gespräche. Manchmal sind sie dabei erfolgreich: Die Intensivpfleger auf der Herzchirurgie haben sich beschwert, dass sie durch den Notdienst überlastet sind. Mit fünf Leuten mussten sie sich um zwölf Intensivpatienten kümmern, deren Versorgung sehr viel Arbeit macht. Die Leitung wollte auf sechs Pflegekräfte aufstocken, die Gewerkschaft konnte durchsetzen, dass stattdessen zwei weitere Betten geschlossen wurden. Im Gegenzug stimmte sie zu, dass zusätzliche OP-Besetzungen gestellt werden, um Kinder mit Retinoblastom, einem seltenen Augentumor, zu behandeln. Diese Behandlung führen nur wenige Kliniken durch, „da haben wir natürlich gesagt: Ja, das können wir verstehen“, sagt Schmidt.

Für beide Seiten spielen in diesen Verhandlungen nicht nur medizinische Fragen eine Rolle: Für die Umsätze, die der Klinikvorstand verbuchen kann, ist die Zahl der Operationen entscheidend. Für die Gewerkschafter geht es darum, mit ihrem Streik möglichst starken Druck auszuüben. Welche taktischen Überlegungen er bei den Verhandlungen im Hinterkopf hatte, will Schmidt nicht im Detail in der Zeitung lesen. Wenn die Gewerkschaft weiß, dass auf einer bestimmten Station besonders viele Kollegen streikbereit sind, wird sie besonders hart darauf drängen, diese Station zu schließen.

Nachdem die Klinikvorstände in der vergangenen Woche gesagt haben, dass sie auf keinen Fall einen Tarifvertrag für Entlastung unterschreiben werden, stehen die Streikenden vor der Frage: Welche Möglichkeiten gibt es, um den Streik auszuweiten? Lassen sie es eskalieren? Das könnte auch heißen: Kündigen sie die Notdienstvereinbarung, soll ver.di nur in einer einseitigen Erklärung festlegen, wie viele Kollegen sie für Notdienste zusichern? An der Düsseldorfer Uniklinik war ver.di dazu gezwungen – der Vorstand hat auf das Angebot, über eine Notdienstvereinbarung zu verhandeln, nicht geantwortet.

Reiner Schmidt wäre bereit, auch ohne Notdienstvereinbarung zu streiken: „Ich würde es darauf ankommen lassen.“ Aber er sagt auch: „Die Vereinbarung gibt den Streikenden Sicherheit. Unsere Vereinbarung ist wahrscheinlich aus Gewerkschaftssicht die stärkste, die es jemals in Deutschland gegeben hat. Wenn wir jetzt über das Ziel hinausschießen, werden wir nie mehr so eine Vereinbarung kriegen.“ Das Streikkomitee hat deshalb beschlossen, zunächst über Anpassungen der Vereinbarung zu verhandeln. Allerdings sagt Schmidt, er sei sicher, dass sie auch ohne solche Vereinbarung streikfähig wären. Als die Streikenden aus dem Brief des Ärztlichen Direktors Jochen Werner von der Blockade der Vorstände erfahren haben, haben sie mit Unverständnis und Entschlossenheit reagiert, sagt Schmidt: „Dieses Jetzt-erst-recht-Gefühl“. „Viele haben den Papp auf. Nach dem Brief von Prof. Werner hat sich eine Reihe von Kollegen gemeldet, die noch nicht gestreikt haben, und gefragt: Wann kann ich auch raus?“

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"Das Jetzt-erst-recht-Gefühl", UZ vom 24. August 2018



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