Der Luftraum über Osteuropa ist umkämpft. Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrages wurde aktiviert. Innerhalb kürzester Zeit werden hunderte Kampfjets aus den USA und aus anderen NATO-Staaten nach Deutschland verlegt, um von hier aus Richtung Russland zu fliegen. Auch die atomwaffenfähigen F-35-Tarnkappenflugzeuge werden für den Einsatz vorbereitet – die ersten Stunden eines großen Krieges sind angebrochen.
Dieses Szenario bildet die Grundlage für das Manöver „Air Defender 23“, das vom 12. bis zum 23. Juni stattfindet. Dabei wird der Luftkrieg gegen einen imaginären Feind, der selbst über eine potente Luftwaffe verfügt, simuliert. Wer damit gemeint ist, kann schnell erraten werden. Die Manöverleitung mag sich in ihrer öffentlichen Kommunikation noch zurückhaltend geben, doch Michael A. Loh, General der US Air National Guard, brachte seine Motivation schon vor einiger Zeit zum Ausdruck. Im Jahr 2021 wünschte er sich mit Blick auf „Air Defender“, dass seine Leute „mehr über unsere drohenden Gefahren – China und Russland“ nachdenken.
Das Manöver wird nach dem Prinzip „Train as you fight“ durchgezogen. Einsatzgebiete, Taktiken, Logistik – alles soll so realistisch wie möglich sein. Dass Deutschland zur zentralen Drehscheibe der Übung wird ist daher kein Zufall. Auch im Ernstfall würden unzählige NATO-Jets von deutschen Flugplätzen starten und ausschwärmen. Ebenso realitätsnah sind die Flugrouten, die die Kampfflugzeuge testen werden. Sie führen an die Ostgrenzen des NATO-Gebietes, bis an die russische und die ukrainische Grenze.
Was auf den ersten Blick wie eine dreiste, aber übliche Provokation wirkt, ist in Kriegszeiten eine handfeste Gefahr für den Weltfrieden. Ein Unfall mit russischen Militärmaschinen, eine fehlgeleitete Navigation oder ein Pilotenirrtum können ausreichen, um einen Übungsflug wie einen Angriffsakt erscheinen zu lassen. Besonders bedrohlich wird es, wenn die Ukraine den Windschatten des Manövers nutzen sollte, um Angriffe durchzuführen, während die russische Luftüberwachung gezwungen ist, die NATO-Aktivitäten zu verfolgen. Derzeit kommt es fast täglich zum Beschuss russischen Territoriums, penetrant droht der ukrainische Präsident mit größeren Attacken. Das Eskalationspotential eines ukrainischen Militärschlages, während in der Nähe NATO-Jets patrouillieren, liegt in dieser Situation auf der Hand.
Die Bundesregierung ist nicht nur bereit, diese enormen Risiken in Kauf zu nehmen, sie setzt sogar die gängigen Sicherheitsmaßnahmen aus. Russische Beobachter, die sich versichern könnten, dass die Übung nicht zur Vorbereitung eines Angriffs genutzt wird, sind nicht eingeladen. Noch nicht einmal eine formale Ankündigung soll es geben. „Wir werden ihnen keinen Brief schreiben. Sie werden die Nachricht schon verstehen, wenn unsere Flugzeuge ausschwärmen“, antwortete der oberste deutsche Luftwaffengeneral Ingo Gerhartz Anfang April auf die Frage, wie Russland informiert wird.
Diese Abkehr von der Rückversicherungspolitik wird begleitet von einem Kampf gegen die Diplomatie. In der vergangenen Woche untersagte die Bundesrepublik der Russischen Föderation den Betrieb von vier Konsulaten. Sie müssen bis zum Jahresende geschlossen werden. Kurz vor dem Manöver werden die Beziehungen dadurch weiter belastet und wichtige Kommunikationskanäle sabotiert. Die Bundesregierung tut anscheinend alles dafür, die Eskalation voranzutreiben und die Gefahr zu erhöhen, dass die Übung zum bitteren Ernstfall werden könnte. Es ist höchste Zeit, ihr in den Arm zu fallen!