Einigung auf den Gesetzentwurf im Koalitionsausschuss

Das Integrationsgesetz schafft „Schuldige“

Von Klaus Stein

Der Koalitionsausschuss der Regierungsparteien hat sich am 14. April auf 15 Eckpunkte eines Integrationsgesetzes geeinigt. De Maizière will am 22. April einen Entwurf vorlegen. Am 24. Mai soll das Bundeskabinett ihn verabschieden.

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Tatsächlich haben es Flüchlinge schwer, sich ins hiesige Leben einzufügen. Was sind die Gründe?

Zunächst versäumt es das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die ankommenden Flüchtlinge zügig zu registrieren. Sie warten monatelang untätig in unwürdigen Massenunterkünften, bis sie als Flüchtlinge anerkannt werden und über einen Status verfügen, aus dem sich die Rechte aus der Genfer Flüchtlingskonvention ableiten lassen. PRO ASYL geht von einem Rückstand von mehr als 700 000 Asylverfahren aus. Mehr als 90 000 Altfälle stehen schon länger als ein Jahr in der Warteschlange. Afghanen warten 20,5 Monate auf einen Bescheid, bei somalischen Flüchtlingen sind es sogar 23 Monate. Bei beiden Gruppen liegt die Anerkennungsquote bei 78 Prozent und mehr (Afghanen 78, Somalis 82 Prozent). Dennoch ist ihnen während dieser Zeit die Teilnahme an Integrationskursen verwehrt.

Die Flüchtlinge haben häufig eine dramatische Flucht hinter sich. An ihnen wird ein undurchschaubares Regelwerk vollstreckt. An Arbeit oder einer sonstwie ersprießlichen Aneignung der fremden Realität sind sie gehindert. Die Wartestellung und ungewisse Per-spektive lähmt. Gewohnte soziale Bezüge fehlen und ihre Regeln gelten nicht mehr. Das führt selbst bei nicht traumatisierten Flüchtlingen zu Irritationen bisheriger Einstellungen sowie hohen Belastungen ihrer sozialen Fähigkeiten.

Laut Innenministerium wurden bis Ende März in diesem Jahr 95 000 Flüchtlinge bzw. Schutzbedürftige anerkannt. 2015 waren es rund 141 000. Das sind schon mal 230 000, die das Recht auf Integrationsmaßnahmen haben. Es warten aber noch mehrere Hunderttausend Asylanträge auf ihre Bearbeitung. Bei einer Anerkennungsquote von 60 Prozent ist der Bedarf leicht zu errechnen. Er liegt sehr viel höher als die vom Innenministerium kalkulierten 300 000 Plätze in Integrationskursen. Schon hier wäre eine Verdoppelung des Haushaltsansatzes fällig.

Aber just zu diesem Zeitpunkt dient uns der Innenminister eine Aufklärung über das Phänomen der Integrationsverweigerung an. Gibt es so was?

Im Prinzip ja. Aber sie besteht sicher nicht in der mangelnden Bereitschaft der Betroffenen. Das Etikett gehört vielmehr auf die behördlichen Pflichtversäumnisse. Das wird einer kritischen Öffentlichkeit zunehmend bewusst. Dem zum Trotz macht das geplante Integrationsgesetz die Opfer einer unmenschlichen Kriegs- und Asylpolitik zu Tätern.

Nicht nur das Schlagwort „Fordern und fördern“ stammt aus dem Umfeld der Diskussion von Hartz IV, sondern auch jener Trick, die Ursache gesellschaftlicher Konflikte in den individuellen Unzulänglichkeiten der Opfer zu suchen und diese für jene haftbar zu machen. Das Gesetz löst die Probleme nicht, schafft aber Schuldige.

Der DIDF-Bundesvorstand kritisiert: Das geplante Integrationsgesetz enthalte zu viele repressive Maßnahmen wie Leistungskürzungen, Freiheitsbeschränkungen, Sanktionen und den Zwang zu billiger Arbeit. Eine zeitliche Begrenzung der Ausbildungsförderung bis 2018 sei unsinnig, weil auch danach noch Bedarf bestehe. Asylsuchenden, die keine „gute Bleibeperspektive“ hätten, wolle die Koalition eine Ausbildungsförderung vorenthalten. Die Regelung von Aufenthaltstiteln sei völlig ungenügend. Für eine Lebensperspektive sei ein ordentlicher Aufenthaltstitel Voraussetzung. Eine Duldung reiche nicht, denn sie bedeute, dass die Abschiebung nur vorübergehend ausgesetzt ist. DIDF weist die Behauptung einer Integrationsunwilligkeit der MigrantInnen zurück. Vielmehr würden die hier ankommenden Menschen so schnell wie möglich die Sprache lernen wollen, und seien offen für die Angebote, die für ihre Orientierung hier relevant seien. Aber just diese Angebote seien nicht ausreichend vorhanden und fehlten vielerorts völlig. Bekanntlich würde seit Jahren über Mangel an LehrerInnen und ungenügende Ausstattung geklagt.

Die kirchlichen Sozialverbände Dia-

konie und Caritas sehen zwar Verbesserungen für Flüchtlinge, die vorgesehenen Leistungskürzungen lehnen sie aber ab. Die Caritas erklärt, Integrationsbereitschaft gelinge nicht über Sanktionen.

Bei der Linkspartei stoßen insbesondere die geplanten Sanktionsmöglichkeiten auf Ablehnung. Der Vorsitzende Bernd Riexinger warnt: „Grundsatz für Integrationsgesetz: Fordern und fördern. Von Hartz IV wissen wir, was das für die Menschen heißt: Sanktionen, Unrecht, Schmach.“

Geschäftsführer Günter Burkhardt von PRO ASYL kritisiert das Vorhaben, Flüchtlinge zu zwingen, auch nach der Anerkennung an einem ihnen zufällig zugewiesenen Wohnort zu bleiben: „Jobs findet man aus der Nähe, durch Netzwerke und direkte Kontakte. Die Wohnsitzauflage für Anerkannte wird sie in die soziale Abhängigkeit treiben und desintegrativ wirken.“ PRO ASYL ist auch gegen die vorgesehenen 100000 Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge. Sprungbrett in den regulären Arbeitsmarkt seien solche Jobs fast nie. PRO ASYL kritisiert die Leiharbeit, nicht nur bei Flüchtlingen, und plädiert für ihre Abschaffung, da sie zu einer Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern führe und Tarifverträge unterlaufe. Asylsuchende und Geduldete seien nochmals anfälliger für Ausbeutung als andere Arbeitnehmer, da sie aufgrund ihres prekären Aufenthalts leichter erpressbar seien und eine Organisierung scheuten. Zur vorgesehenen Kürzung der Höhe der Asylbewerberleistungen um 34 Euro meint PRO ASYL: „Es ist nicht nachvollziehbar, was eine Leistungskürzung mit Integration zu tun hat.“

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"Das Integrationsgesetz schafft „Schuldige“", UZ vom 22. April 2016



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