Wie ein NSDAP-Mitglied für eine Egon-Erwin-Kisch-Geschichte geehrt wurde

Das Heim für gefallene Mädchen

Paul Sielaff

Zu den Schriftstellern, die während des Faschismus „Unter fremden Himmeln“ im Exil weilten, gehörte auch Egon Erwin Kisch (1885 bis 1948). Der gebürtige Prager war 1933 in Berlin verhaftet worden, konnte aber noch im gleichen Jahr in seine Heimatstadt emigrieren. Sein Weg führte unter anderem nach Paris, in den Spanienkrieg, nach New York und von 1940 bis 1946 nach Mexiko, von wo er schließlich nach Prag zurückkehrte.

In seinen autobiographischen Skizzen „Marktplatz der Sensationen“ (Mexiko 1942) erinnert Kisch an ein kurioses Ereignis, auf das auch der Schriftsteller Franz Carl Weiskopf in seinem Abriss der deutschen Exilliteratur hinweist. Hans ut Hamm, Redakteur, Humorist und NSDAP-Mitglied, erhielt für die Egon-Erwin-Kisch-Geschichte „Magdalenenheim“ 1935 den Preis der Stadt Hamburg. Hans ut Hamm hatte die Geschichte Wort für Wort abgeschrieben – allerdings auf Platt übersetzt und den Namen Egon in Hans geändert.

Kisch berichtet: „Die Stadt Hamburg schrieb einen Preis von tausend Mark für diejenige Kurzgeschichte aus, ‚die den bodenständigen Humor und Witz der deutschen Wasserkante am Besten zum Ausdruck bringt‘. Bisher waren fünfzig oder hundert Mark das Maximum gewesen – tausend Mark für eine Kurzgeschichte war für Deutschland eine erstaunlich hohe Summe. Einige Wochen später las man, dass die gekrönte Geschichte den Titel ‚Magdalenenheim‘ trage; der Preisträger war der Humorist des ‚Hamburger Fremdenblatt‘, Hans ut Hamm. An sich ist ein Magdalenenheim, eine Anstalt zur Besserung gefallener Mädchen, kaum eine Quelle für bodenständigen Humor und Witz, am allerwenigsten aber für die Nazis, deren Kulturprogramm ganz auf dem Glauben an die Wunderwirkung solcher Heime fußt. Umschulungslager, Erziehungslager, Konzentrationslager. Wie kann ein Heim, wenn auch gefallener, so doch deutscher Mädchen, Gegenstand einer Satire sein?“

Kisch berichtet weiter: „Einen Augenblick lang dachte ich, Hans ut Hamms Schöpfung könnte in irgendeiner Weise von meinem Erlebnis (aus dem Jahr 1913, d. Verf.) beeinflusst sein, aber sofort wies ich den Gedanken zurück, denn was auch immer man aus meiner seinerzeitigen Schilderung herauslesen konnte, keinesfalls den bodenständigen Humor und Witz der deutschen Wasserkante.

Nachdem dem Preisträger im Festsaal des Hamburger Senats das Diplom der Nazi-Jury und die tausend Mark mit vielen schönen Reden überreicht und die Meisterhumoreske unter dröhnender Heiterkeit verlesen worden war, erschien ‚diese köstliche, an Fritz Reuter erinnernde und noch etwas derbere Probe unverfälschtesten Volkshumors von der Wasserkante‘ in den Zeitungen Hitlerdeutschlands. Freunde, ich traute meinen Augen nicht. Es war wörtlich mein Prager Magdalenenheim. Hans ut Hamm hatte es nur nach Hamburg und ins Plattdeutsche verlegt und eine kleine, allerdings effektvolle Änderung meines Textes vorgenommen: statt mit ‚Egon‘ lässt er sich nämlich von den gefallenen Engeln mit ‚Hans‘ begrüßen.“

Erst Jahre später entdeckte das „Schwarze Korps“, Organ der SS, Hans ut Hamms unverfrorene Schummelei. Kisch schreibt: „Es hatte die Quelle entdeckt und tobte. Beileibe nicht die Tatsache des literarischen Diebstahls war es, was das Blut des ‚Schwarzen Korps‘ am 6. Mai 1939 in Wallung brachte, sondern die ‚schamlose Einschmuggelung von typisch volksfremden Gedankengängen in das nationalsozialistische Volks- und Brauchtum‘. Die Vorstellung, dass sich nationalsozialistische Führer feierlich versammeln, ‚um das Produkt eines Asphaltliteraten zu krönen, dessen Bücher mit Recht schon auf unserem ersten Scheiterhaufen verbrannt wurden‘, erfüllte das Blatt mit dem eingestandenen Gefühl tiefster Beschämung. Es verlangte, dass der neue Verfasser meines alten Berichts sofort verhaftet werde, ‚damit Hans ut Hamm ein für allemal erfährt, was es kostet, wenn man in Egon Erwin Kischs ausgelatschte Stiefel schlüpft und beginnt, auf Plattdeutsch zu jüdeln …‘“.

Hinter Hans ut Hamm verbirgt sich, der Vollständigkeit halber gesagt, Hans Reimer Steffen (1897 bis 1950), geboren und gestorben in Hamburg. Er musste nicht emigrieren. Neben Büchern wie „Hamborg lacht“ verfasste er auch „Hier lacht die Front. Lustiges von der Front und aus der Heimat“.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Das Heim für gefallene Mädchen", UZ vom 1. Mai 2020



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Herz.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit