Während wir (die Herausgeber der Monthly Review) diese Notizen schreiben, fiel der Preis für den Terminkontrakt Rohöl/West-Texas, Termin Mai 2020, auf einen negativen Wert von 37,63 Dollar pro Barrel, was den größten Rückgang seit Beginn der Aufzeichnungen darstellt. Die Verkäufer schwimmen in Öl und müssen die Käufer für den Abtransport bezahlen. Der Preis für einen Terminkontrakt für die Lieferung im Juni liegt unter 20 Dollar pro Barrel, weniger als ein Drittel des Preises für ein Barrel Rohöl vor nur zwei Jahren („Oil Plunges below Zero for the First Time in Unprecedented Wipeout“, Bloomberg, 20. April 2020). Die derzeitige massive Ölschwemme ist das Ergebnis der Auswirkungen der Frackingöl- oder Schieferölrevolution, die die Vereinigten Staaten eine Zeit lang zum größten Öl- und Gasproduzenten der Welt machte.
Jetzt, plötzlich als Folge einer Überproduktion von Öl weltweit, die durch den plötzlichen Nachfrageausfall aufgrund der Covid-19-Pandemie noch weitaus schlimmer geworden ist, erleben wir den möglichen Untergang der Fracking-ölindustrie der USA, die schon vor dem Ölpreiseinbruch Geld vernichtete und mit Bergen von Schulden belastet war. Vor diesem Hintergrund einer weltweiten Erdölschwemme, die der gegenwärtigen Krise vorausging, wurde ein Welt-Erdölabkommen zwischen Russland und Saudi-Arabien, der OPEC mit Washington als einer Art Hinterzimmer-Teilnehmer, vereinbart, das eine globale Verschiebung in der geopolitischen Ölpolitik markiert.
Ölschwemme und Preiskampf
Vorausgegangen war ein Streit zwischen Russland und Saudi-Arabien über die Förderung und Preisgestaltung von Öl. Angesichts einer Ölschwemme auf dem Weltmarkt, die die Preise nach unten drückte, versuchten die Saudis Anfang dieses Jahres einen Zeitplan für Förderkürzungen durch die OPEC+ (OPEC plus Russland und Mexiko) zu diktieren. Russland weigerte sich jedoch, sich dem anzuschließen. Als ein früheres Abkommen zwischen Russland und Saudi-Arabien zur Kürzung der Ölförderung die Preise nach dem Preisrückgang im Jahr 2015 wiederherstellte, waren die Vereinigten Staaten, wo die Frackingölförderung rasch zunahm, der Hauptnutznießer gewesen. Russland lehnte daher den saudi-arabischen Vorschlag für 2020 ab, zum Teil deshalb, weil die US-Förderung wieder unberührt bleiben würde. Sowohl Saudi-Arabien als auch Russland kündigten daraufhin Produktionssteigerungen an. Die Preise fielen auf ein Niveau, das in den letzten zwei Jahrzehnten (und dann nur einmal seit dem Zweiten Weltkrieg) nicht mehr beobachtet wurde („Crude Oil Prices-70 Year Historical Chart“, Macrotrends, Zugriff 21. April 2020).
Die Vereinigten Staaten, lange Zeit ein bedeutender Nettoimporteur von Öl, haben die Auswirkungen sofort gespürt, exportieren nun aber genauso viel wie sie importieren. Dies ist einzig und allein das Ergebnis des raschen Anstiegs der Förderung von Frackingöl von einem vernachlässigbaren Prozentsatz der gesamten Ölförderung in den USA im Jahr 2010 auf derzeit weit über 60 Prozent („Tight Oil Development will Continue Drive Future U. S. Crude Oil Production“, U. S. Energy Information Administration, 28. März 2019). Aber die Kosten der Produktion von Frackingöl sind – selbst abgesehen von den enormen ungezählten Umweltschäden – so hoch, dass die führenden Produzenten bereits vor den Ereignissen vom März 2020 im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie ihre enormen Schulden nicht mehr bedienen konnten. Und in der Tat meldete Whiting Oil, der führende Ölproduzent in North Dakota (heute ein wichtiger Ölförderstaat), innerhalb weniger Tage nach der saudi-arabischen und russischen Nichteinigung unter Berufung auf die gestiegene saudi-arabische und russische Produktion Konkurs an.
Frackingölproduzenten, Banken, Politik
Unabhängige Ölproduzenten (wie die Brüder Hunt in früheren Jahren und in jüngerer Zeit die Brüder Koch) sind seit zwei Generationen eine führende Kraft in der Republikanischen Partei und treiben diese immer weiter nach rechts. Sie sind für Donald Trump eine wichtige Anhängerschaft. Diese Klientel ist bei den derzeitigen Preisen mit immensen Verlusten konfrontiert. Wenn die Weltölpreise auf rund 20 Dollar pro Barrel fallen, könnten, wenn überhaupt, nur wenige der unabhängigen Produzenten auch mittelfristig überleben und selbst einige der großen Unternehmen, die sich auf Frackingöl verlegt haben, wären bedroht. Selbst als die Ölpreise kurzzeitig auf 40 Dollar pro Barrel im Jahr 2015 fielen, gingen Hunderte von kleineren Frackingölproduzenten in Konkurs.
Ein anderes (Trump-)Klientel wäre ebenfalls betroffen. Die großen „Too Big to Fail“-Banken, darunter JP Morgan Chase, Wells Fargo und die Bank of America, waren massive Kreditgeber für die Frackingölindustrie (Patrick Greenfield, „Top-Investment Banken stellen Milliarden für den Ausbau der Industrie für fossile Brennstoffe zur Verfügung“, Guardian, 13. Oktober 2019). Schuldverschreibungen der führenden Frackingölproduzenten, die lange vor dem Preiseinbruch als „Junk-Schulden“ bezeichnet wurden, sind darüber hinaus in marktgehandelten Rentenfonds in riesigen Mengen vorhanden. In den ölfördernden Bundesstaaten (fast alle republikanisch dominiert) gibt es viele Millionen relativ hoch bezahlte Arbeitsplätze und eine große Wählerschaft in einer Handvoll rechter Gewerkschaften, die Trumps Anti-Umwelt-Initiativen unterstützt haben. Kurz gesagt, sowohl das große Finanzwesen als auch einige einheimische Arbeiteraristokraten, die begeisterte Trump-Anhänger waren, waren ebenfalls bedroht.
Ökonomische Basis – Imperialistische Politik
Trump trat daher in die Verhandlungen zwischen Russland und Saudi-Arabien ein, um die angestrebte Vereinbarung über die Produktionsbegrenzung zwischen der OPEC+ und die Aussicht auf höhere Preise zu erreichen. Das wichtigste Element, das zuvor fehlte, war die Beteiligung der USA. Aber Trump konnte nicht überzeugend nachweisen, dass er die Macht hätte oder sie erlangen könnte, um Produktionskürzungen in den Vereinigten Staaten anzuordnen (obwohl in Texas die Eisenbahnkommission diese Macht hat – s. Rachel Adams-Heard, Kevin Crowley und Javier Blas, „Texas Railroad Commission Mulls Oil Output Cuts“, Rigzone, 23. März 2020). Was die Vereinigten Staaten „versprachen“, war letztlich nur, dass die US-Produktion infolge der „Marktkräfte“ selbst zu den erhofften Preisen, die ein Abkommen erzielen würde, um einen erheblichen Betrag zurückgehen würde. Dies war natürlich überhaupt kein Versprechen, wie die Russen sagten. Dieses „Versprechen“ bringt jedoch mit sich, dass die Vereinigten Staaten nicht eingreifen, um die sogenannten Marktkräfte zu durchkreuzen und die Produktion aufrechtzuerhalten, zum Beispiel durch spezielle Subventionen für die gefährdeten Frackingölproduzenten. Stattdessen würden sie stillhalten und zulassen, dass die langsamen rechtlichen Prozesse des Bankrotts und der Reorganisation die Produktion von Frackingöl unter Inkaufnahme von Verlusten allmählich reduziert. Damals schätzten die Russen zwar den Segen von Trump (der nützlich war, um die Saudis umzustimmen), machten jedoch deutlich, dass sie nicht auf die impliziten Versprechungen des US-Regimes setzen, die sie offen als „nicht einwilligungsfähig“ bezeichnet haben.
Der gewaltige Anstieg der Frackingölförderung des letzten Jahrzehnts bestärkte den aggressivsten Flügel des „Washington Consensus“ (Washingtoner Konsenses) in seinen Konfrontationsprojekten gegen die ungehorsamen großen ausländischen Erdölproduzenten Venezuela und Iran. Solange Venezuela eine wichtige und notwendige Quelle für die Ölimporte der USA war, waren offene Beschlagnahmungen seiner Vermögenswerte im Ausland und andere Handlungen unter der Schwelle eines Krieges vom Tisch. Der rasche Anstieg der Frackingölförderung ermöglichte Obamas Politik, den Druck auf Venezuela immer weiter zu erhöhen. Und die wahrscheinliche Fähigkeit des Iran, wenn er durch die US-Aggression provoziert würde, den Export arabischen Öls zu behindern, würde den Ölverbrauchern aufgrund der Preissteigerungen zwar einige Schmerzen zufügen, würde aber die US-Wirtschaft nicht in der Weise bedrohen, wie es der Fall gewesen wäre in Zeiten, als die Vereinigten Staaten Nettoimporteur von Öl und saudische Lieferungen entscheidend waren. Trumps israelisch inspirierte Offensive gegen den Iran nicht nur in Form von Sanktionen, sondern von Attentaten, die in traditionellen Begriffen auf Kriegshandlungen hinauslaufen, wurden so ermöglicht. Als strategische Angelegenheit hatte die Aggression gegen Venezuela und den Iran weitere Auswirkungen in ganz Lateinamerika und im Nahen Osten, gerade wegen des geschwundenen Einflusses der beiden antiimperialistischen ölproduzierenden Staaten, die angegriffen wurden. Die Rücknahme der „Rosa Flut“ in Lateinamerika und der von den USA unterstützte Krieg gegen Syrien wurden so auch durch die Flut der Frackingölförderung in den Vereinigten Staaten ermöglicht.
Die Umweltkosten der Explosion der Frackingölförderung waren ebenfalls beträchtlich. Es wurden große Mengen an Erdgas gefördert, die den Preis so stark senkten, dass es für die Produzenten von Frackingöl einträglicher war, es zu verbrennen anstatt zu versuchen, es zu verkaufen. Diese und andere Emissionen im Zuge der Förderaktivitäten gehörten zu den Ursachen dafür, dass die USA die Kohlendioxidemissionen in den 2010er Jahren nicht reduzieren konnten, während beispielsweise die EU-Länder – wenn auch langsam – Fortschritte machten. Und die Kosten der Wasserverschmutzung, der Wasser- und Sandgewinnung (wichtige Inputs für das Fracking) und sogar von Erdbebenwellen waren immens, wenn auch nicht ohne weiteres quantifizierbar. Prognosen bezüglich der US-amerikanischen Ölförderung, selbst aus staatlichen Quellen und ohne jeden Versuch, sich auf aktive Schritte zur Erreichung von Minimalzielen zur Abwendung einer weiteren Klimaerwärmung einzulassen, würden sich im Zeitraum zwischen 2000 und 2050 ohne Frackingöl halbieren. Mit Frackingöl wird jedoch eine Verdoppelung prognostiziert.
Frackingöl und die allgemeine Krise
Beim heutigen Stand der Dinge mit Ölpreisen von 20 Dollar pro Barrel oder weniger (und selbst bei Preisen von bis zu 30 Dollar), würde Trumps implizite Verpflichtung, sich nicht in die schrittweise und mit Verlust durchgeführte Reduzierung der Frackingölförderung einzumischen, dieselben Ölbarone und Anhänger verärgern, denen er mit der Unterstützung des OPEC+-Geschäfts gefallen wollte. Die gesamte Frackingölförderung wird bei diesem Preis zu einem erheblichen Verlust führen. Die Zahl der begonnenen Konkurse wird zunehmen und große Mengen Bankschulden (verbrieft zu Wertpapieren und Krediten) werden wertlos werden. Die Aussicht auf weitere Kapitalspritzen der Art, wie sie den Frackingöl-Boom angetrieben haben, ist verschwunden. Und wenn, wie Trump jetzt andeutet, die Vereinigten Staaten zu ihrem Wort zurückkehren und „Marktkräfte“ wirken lassen, um die US-Produktion zu reduzieren, wird der daraus resultierende Rückgang des Weltölpreises nicht nur dasselbe Ergebnis haben, sondern auch in schnellerem Tempo dahin gelangen. Die Saudis und die Russen als Swing-Produzenten können die Preise auf einem so niedrigen Niveau stabilisieren, dass das Frackingöl in den USA dem Untergang geweiht ist, und als Reaktion darauf haben die Vereinigten Staaten nur die Möglichkeit, die Preise weiter zu senken.
Aus dieser Gesamtperspektive betrachtet kann das OPEC+/Trump-Ölförderungsabkommen vom April 2020 auch unter einem optimistischen Aspekt betrachtet werden. Es wird berichtet, dass China das OPEC+/Trump-Geschäft trotz seiner Rolle als wichtigster Weltimporteur von Öl gefördert hat. Und es ist bemerkenswert, dass Russland (und China) die einzigen Großmächte waren, die – wenn auch in begrenztem Umfang – Venezuela und den Iran unterstützt haben. Die Aussicht auf den Untergang der US-Frackingölindustrie ist also positiv im Hinblick auf die beiden größten Bedrohungen, denen wir gegenüberstehen: 1. Atomkrieg als Folge der gegenwärtigen Welle der imperialistischen US-Aggression gegen Venezuela und den Iran – und bald darauf gegen Russland (die Präferenz derer, die die Demokratische Partei kontrollieren) oder China (offensichtlich jetzt die parteiübergreifende Präferenz); und 2. das Klimakrisen-Debakel, das uns alle betrifft.
Editorial der US-amerikanischen sozialistischen Zeitschrift „Monthly Review“ aus dem Juni 2020 (Vol. 72, Nr. 2), übersetzt von Ernst Herzog und Richard Correll. Die Zwischenüberschriften sind von der UZ-Redaktion eingefügt.