Profitmaximierung führt zu Mangel an Humaninsulin und höheren Kassenbeiträgen

Das Geschäft mit der Zuckerkrankheit

Robert Profan

Die Anzahl von Zuckerkranken nimmt in diesem Land und weltweit stetig zu. Um Diabetes mellitus zu behandeln, wird Insulin benötigt. Die 10 Prozent der Diabetiker mit Typ-1-Diabetes sind auf Insulin angewiesen, auch die 90 Prozent mit Typ-2-Diabetes brauchen im Laufe der Erkrankung Insulin. Dennoch sinkt die Verordnungsrate des günstigen und erprobten Humaninsulins seit Jahren. Sie beträgt in Deutschland nur noch etwa 20 Prozent des verschriebenen Insulins. 80 Prozent der Verordnungen verschreiben die von den großen Pharmakonzernen gentechnologisch hergestellten sogenannten Insulinanaloga. Sie lassen sich teurer und dadurch mit größeren Gewinnspannen verkaufen und werden daher seit Jahren mit Erfolg von den Pharmakonzernen propagiert. Dass die Humaninsuline nach und nach vom Markt verdrängt werden, liegt nach Einschätzung der ärztlichen Fachgesellschaften allein an geschicktem Marketing. Einen wissenschaftlich begründeten medizinischen Vorteil für die Patienten gibt es nach heutigem Kenntnisstand nicht.

Die großen Insulinhersteller stellen die für sie unrentable Produktion von Humaninsulin nach und nach ein. 2023 begann damit der französische Konzern Sanofi, in Deutschland folgt nun der dänische Pharmakonzern Novo Nordisk. An der Börse ist der Konzern zum teuersten Unternehmen Europas aufgestiegen (UZ berichtete mit einer Schwerpunktseite am 11. Oktober). Novo Nordisk erlebt aktuell mit seiner Neuentwicklung Semaglutid eine Gewinnexplosion. Seine neue Diabetesspritze Ozempic und die daraus entwickelte „Abnehmspritze“ Wegovy enthalten beide – in unterschiedlicher Dosierung – den Wirkstoff Semaglutid. Der Pharmariese erwirtschaftete damit mehr als 10 Milliarden Euro Umsatz, fast 60 Prozent seines Gesamtumsatzes. Demgegenüber stehen knapp 0,5 Milliarden Euro Umsatz mit Humaninsulinen, lächerliche 2,5 Prozent des Gesamtumsatzes. Es handelt sich damit nur noch um eine lästige Produktionsnische, die möglichst bald abgestoßen werden soll.

Dass die Umstellung von den gut verträglichen und erprobten Humaninsulinen mit Problemen bei der Zuckereinstellung der Patienten verbunden ist, interessiert dabei wenig. Novo Nordisk teilt den nationalen und europäischen Behörden aalglatt mit, dass es Maßnahmen ergreife, „um einen möglichst unproblematischen Übergang von langfristig etablierten Therapieschemata zu innovativen Arzneimittelentwicklungen“ zu gewährleisten – natürlich mit dem Ziel bestmöglicher Patientenversorgung. Zudem wird das „alte“ Humaninsulin nur noch mit einer unpraktischen Spritzentechnologie angeboten. Mit ihr müssen die Patienten jede Dosis mühsam extra aufziehen und spritzen. Die modernen Pens, die leicht zu handhaben und gut dosierbar waren, gibt es nicht mehr. Diese anwenderfreundliche Technologie wird in Zukunft nur noch für die neuen und gewinnbringenden Diabetesmedikamente von Novo Nordisk angeboten. Nach dem Motto: Wer nicht hören will, muss fühlen!

Von den drei großen weltweit agierenden Herstellern von Humaninsulin wird bald nur noch der US-Konzern Eli Lilly übrig sein. Doch das Inte­resse am Humaninsulin wird auch dort schwinden. Mit Mounjaro hat der Konzern ebenfalls eine neue gewinnbringende Diabetesspritze auf den Markt gebracht. Bei etwa 537 Millionen Diabetikern weltweit ist der Mangel an Humaninsulin programmiert. Das wird den Umstieg auf neue „innovative“ Diabetesmedikamente erzwingen. Nicht der medizinische Bedarf steuert die Produktion, sondern die Gewinnerwartung.

Die Konzerne Eli Lilly und Novo Nordisk werden zudem die ersten Profiteure des gerade verabschiedeten „Medizinforschungsgesetzes“ von Karl Lauterbach sein. Der Bundesgesundheitsminister beschert uns damit weiter steigende Krankenkassenbeiträge, weil die „forschende“ Pharmaindustrie durch höhere Preise dafür belohnt werden soll, wenn sie am Standort Deutschland produziert. Dieses Gesetz ist ein Geschenk an die Industrie, weil die Verhandlungen mit den Krankenkassen über Rabattpreise für neue Medikamente und insbesondere die dann ausgehandelten Preise nicht mehr öffentlich gemacht werden dürfen. Dieses Gesetz ist eine staatlich verordnete Geheimniskrämerei, die die Verhandlungsposition der Pharmamonopole enorm stärkt. Dies wird die Beitragszahler nach Hochrechnungen der Krankenkassen in den nächsten zehn Jahren bis zu 8 Milliarden Euro jährlich kosten.

Die Pharmakonzerne profitieren dabei nicht nur in Deutschland von dieser gesetzlichen Regelung, sondern auch in anderen europäischen Ländern, da diese sich jetzt nicht mehr an den öffentlich gemachten deutschen Preisen orientieren können. Das stärkt die Verhandlungsposition der Monopole in doppelter Weise. Der US-Konzern Eli Lilly hat sich mit Lobbyarbeit besonders um dieses Gesetz bemüht und wird als „Gegenleistung“ eine neue Produktionsstätte für 2,3 Milliarden Euro in Rheinland-Pfalz aufmachen. Den Standort Deutschland durch die Erhöhung von Kassenbeiträge stärken, das ist die Zeitenwende bei den staatlichen Sozialausgaben.

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"Das Geschäft mit der Zuckerkrankheit", UZ vom 1. November 2024



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