Die Privatisierung der Daseinsvorsorge kann mit einem Knalleffekt einhergehen und Proteste auslösen. Viel häufiger schreitet sie jedoch langsam und unbemerkt voran. Öffentliche Aufgaben werden nach und nach in private Strukturen verlagert, bis schließlich ein Markt entsteht. Ein Beispiel dafür: die Kinderbetreuung.
Von den mehr als 57.000 Kindertageseinrichtungen in Deutschland gehören nur knapp 32,8 Prozent der öffentlichen Hand. Über 38.000 Einrichtungen werden von sogenannten „freien Trägern“ betrieben. Dazu gehören Kirchen und Sozialverbände, Elterninitiativen und Unternehmen. Fast ein Fünftel der Betreuungsplätze entfällt dabei auf die privaten Träger jenseits der großen Verbände und Kirchen. Die klassischen Privatkindergärten, für deren Besuch schnell mal vierstellige Summen im Monat zu zahlen sind, werden hier nicht weiter betrachtet.
Kinderbetreuung ist Ländersache und so scheitert jeder genauere Erklärungsversuch am föderalen Chaos. Doch grob skizziert läuft es folgendermaßen: Die Kommunen beauftragen einen Träger mit dem Betrieb einer Kita, zahlen Zuschüsse und holen sich einen Teil des Geldes vom Land zurück. Die Träger müssen in den meisten Fällen einen sogenannten „Eigenanteil“ erbringen. Darüber hinaus reichen die bewilligten Sachkosten häufig nicht zur Deckung des Aufwandes aus. Kindergärten sind strukturell unterfinanziert.
Dennoch nimmt die Zahl der Einrichtungen in freier Trägerschaft zu. Das hängt auch damit zusammen, dass der Bedarf an Betreuungsplätzen steigt. Den Gemeinden fehlt häufig das Geld oder die Rechtsgrundlage, um selbst tätig zu werden. Denn in der Sozialgesetzgebung haben die freien Träger Vorrang vor der kommunalen Kinder- und Jugendhilfe. Es gilt also der Grundsatz, der schon die Altenpflege und das Wohnungswesen in die Verdammung geführt hat: Der Staat soll sich nach Möglichkeit raushalten.
Die „Trägervielfalt“ wird stets heiß gelobt. Dabei schwingt häufig die Meinung mit, dass die „Staatskita“ schlecht, altbacken und mit den individuellen Vorstellungen für das eigene Kind unvereinbar sei. Dabei spräche nichts dagegen, eine Kinderbetreuung in öffentlicher Hand (mit anständigen Gehältern und vernünftigem Betreuungsschlüssel) durch Elterninitiativen oder die Mitwirkung von Sozialverbänden zu ergänzen. Doch die „Trägervielfalt“ ist nur ein vorgeschobenes Argument zur Verwirklichung des eigentlichen Ziels: der Deregulierung des Kita-Marktes.
Mit bemerkenswerter Klarsicht bringt das ein Referent des „Bundesverbandes der privaten Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe“ (VPK) auf den Punkt. Er schreibt, dass durch das „Drängen von privaten Sozialunternehmen auf den Markt ein zunehmend stärker ausgeprägtes Wettbewerbsdenken politisch so auch gewollt war.“ Aufgrund von neuen Regelungen und im Zuge des steigenden Konsolidierungsdrucks in den Kommunen, „stieg zwangsläufig und geplant der ökonomische Druck für die Anbieter von Jugendhilfe“. Selbstredend möchte der Verband diesen Druck für die stärkere Etablierung von privaten Trägern nutzen.
Auch andere Strategen betrachten die Kinderbetreuung längst als Markt und nicht mehr als Teil der Daseinsvorsorge. Die Monopolkommission ging im sogenannten „Hauptgutachten XX“ sogar soweit, die Zusammenarbeit von Kommunen und Wohlfahrtsverbänden als „Closed Shop“ zu kritisieren, der es „Dritten häufig schwer“ mache, „Dienstleistungen auf dem Markt der Kinder- und Jugendhilfe anzubieten“. Die strukturelle Privatisierung ist – mit regionalen Unterschieden – weit fortgeschritten. Nun sollen die bisher gemeinnützig agierenden Akteure, vor allem die Wohlfahrtsverbände, in einen Wettbewerb gezwungen werden. Dort treffen sie auf finanzstarke Konkurrenz. Auch große Player, wie die Klett-Gruppe, sind bereits am Kitamarkt aktiv.
Warum drängen private Akteure in ein unterfinanziertes Geschäft? Lässt sich mit Kitas Profit erwirtschaften? Mehr dazu in der nächsten Ausgabe.