Mit Beiträgen von:
Errol Babacan, Neoliberaler Generalangriff • Nick Brauns/Murat Cakir, Die Gülen-Bewegung • Sevim Dagdelen (MdB), „Merkel verleiht Despoten Flügel“ • Mehmet Okyayuz/Ugur Tekiner, Hundertjährige Allianz? • Korkut Boratav, Reaktionäre Wechselwirkungen • Rolf Gössner, Dialog statt Kriminalisierung
Weitere Themen:
60 Jahre deutsche Kommunistenverfolgung • AfD-Vormarsch • Brasilien nach dem Putsch • Frankreich vor schwierigen Wahlen • Viel Krieg in Syrien • Bremer Räterepublik • Homo artifex • Elend der Strategie-Debatte u. v. m.
Über Erdogans Politik als bezahlter „Türsteher“ der EU, der Flüchtende fernhalten soll, oder als „Terrorpate“ des IS schreiben nicht nur bundesdeutsche Linke. Im Syrien-Krieg hat „der ganz starke Mann des Landes“ eine klar erkennbare Zielhierarchie: „Vorrang hat die Eindämmung der Kurden; nachrangig, ungeachtet aller Beteuerungen des Gegenteils, ist die Bekämpfung des islamistischen Terrors“, schreibt selbst die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung unter der Überschrift „Türkischer Doppelschlag in Syrien“. „Ganz offensichtlich setzt Erdogan … auf Militarisierung, selbst im eigenen Land … Mit Mäßigung im Innern ist nach dem Putschversuch und Erdogans autoritärem Kurs nicht zu rechnen.“ (FAS, 28.8.2016)
Mit ihrem „Türkei-Schwerpunkt“ – der in enger Zusammenarbeit mit ihrem neuen Mitherausgeber Murat Cakir und der Redaktion von „Infobrief-Türkei“ entstanden ist – wollen die Marxistischen Blätter die Verhältnisse im Innern der Türkei etwas stärker in den Mittelpunkt rücken, vor allem aber die zentrale Frage der deutsch-türkischen Beziehungen. Und zwar vorwiegend aus der Sicht türkischer bzw. aus der Türkei stammender Linker.
Errol Babacan beleuchtet in seinem Beitrag die türkische Wirtschaftspolitik, ihre Profiteure, Leidtragenden, Machtkämpfe und wie der gescheiterte Putschversuch zur Einleitung der nächsten Runde eines neoliberalen Generalangriffs genutzt wird.
Murat Cakir und Nick Brauns schreiben über die Gülen-Bewegung, als „AKP-Abtrünnige“, ihre Verstrickung in den gescheiterten Putschversuch, aber auch über die BRD als Logistikzentrum dieser „faschistoiden Vorfeldorganisation“.
In einem MBl-Interview beantwortete Sevim Dagdelen, MdB der Partei die Linke und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Fragen zu ihrem soeben erschienen Buch „Der Fall Erdogan“, in dessen Mittelpunkt die deutsch-türkischen Beziehungen stehen und die Forderung nach einer radikalen Wende in der deutschen Türkei-Politik.
Mehmet Okyayuz und Ugur Tekiner, Politikwissenschaftler in Ankara, schreiben ebenfalls über die türkisch-deutschen Beziehungen im Spannungsfeld neu-alter Interessenpolitik zwischen dem „widerwilligen Hegemon“ BRD und der aufstrebenden „neo-osmanischen Regionalmacht“ Türkei.
Korkut Boratav, Wirtschaftswissenschaftler in Ankara, sieht reaktionäre Wechselwirkungen zwischen EU, USA und der Türkei bezüglich der Allianzen des Kapitals mit „Populisten“ unterschiedlichster Couleur.
Den Schwerpunkt abschließend bringen die Marxistischen Blätter einen Gastbeitrag aus dem sehr zu empfehlenden Türkei-Sonderheft der Zeitschrift „Ossietzky“. In ihm plädiert Menschenrechtsanwalt Rolf Gössner für einen radikalen Wandel der europäischen und deutschen Türkei- und Kurdenpolitik. Dazu bedürfe es „politischer Initiativen und eines offenen Dialogs mit der kurdischen Seite – und zwar auch in Europa und in Deutschland, statt wie bisher, solche Initiativen und Dialoge per Kriminalisierung und Ausgrenzung zu blockieren“.
Brandaktuell sind auch die beiden dokumentierten Beiträge einer Tagung der Marx-Engels-Stiftung zum Thema „60 Jahre KPD-Verbot“. Sieben streitbare Beobachtungen zu seiner Nachwirkung und der Abwehr seiner Wiederbelebung stellt der Münchener Kommunist und Rechtsanwalt Hans E. Schmitt-Lermann zur Diskussion. Die durchaus unterschiedliche Rolle des Verbotsurteils bzw. einzelner seiner Aspekte in den drei Wellen der Kommunistenverfolgung in der Bundesrepublik im Kalten Krieg, bei den „Berufsverboten“ und bei der „DDR-Abwicklung“ nach 1989 stellt Ekkehard Lieberam (Marxistisches Forum) ins Zentrum seines Beitrages.
Hervorzuheben sind noch zwei weitere anregende Diskussionsbeiträge zum Komplex EU und linke Strategie. Der österreichische Friedensaktivist Gerald Oberansmayer wirft einen Blick auf die EU als „Europa der Konzerne und Generäle“ und hält als Fazit „die Illusion vieler Linker und Friedensbewegter, die EU in Richtung eines sozialen, friedlichen und demokratischen Gebildes transformieren zu können, für einen der folgenschwersten Fehler, der viel zum Aufstieg der extremen Rechten beigetragen hat“. Der Marburger Doktorand und hessische DKP-Bildungsverantwortliche Pablo Graubner sieht das in seinem solidarisch-sachlichen Beitrag zum „Elend der Strategiedebatte“ (der DKP) ähnlich und macht Vorschläge zu deren konstruktiver Weiterführung. Sein Beitrag ist „ein Versuch, die Diskussion um unsere strategischen Grundlagen sowie um Perspektiv- und Übergangsforderungen wieder stärker in Zusammenhang mit einer marxistischen Klassenanalyse zu bringen“.