Die herrschende Politik denkt nicht daran umzuschwenken

Das ganze Modell in Frage stellen

Von Bernd Müller

Zur UN-Klimakonferenz sind am vergangenen Samstag in Bonn erneut viele Menschen für mehr Klimaschutz auf die Straße gegangen. Die Zahl derer, die an den beiden Demonstrationszügen, der erste war eine Woche vorher, teilnahmen, fiel deutlich niedriger aus als geplant. Die Anmelder hatten mit bis zu 80 000 Demons­tranten gerechnet. An den Demonstrationszügen teilgenommen hatten nach Angaben der Veranstalter nur rund 27 000.

Die Demonstranten forderten Einsatz für globale Klimagerechtigkeit, den Stopp der Zerstörung von Lebensgrundlagen, einen verbindlichen Fahrplan für den Kohleausstieg sowie den Einschluss des Flugverkehrs in das Pariser Abkommen. Werner Rätz vom globalisierungskritischen Bündnis Attac forderte insbesondere die Industriestaaten auf, „industriell abzurüsten“. Erneuerbare Energien und bessere Technologien würden nicht ausreichen, den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids in ausreichendem Maß zu senken. „Zwei Drittel des Erdöls, die Hälfte des Erdgases und 80 Prozent der Kohle muss in der Erde bleiben“, sagte Dagmar Paternoga von Attac Deutschland und ebenfalls Bündnissprecherin. „Der Energieverbrauch für Produktion und Transport, der Auto- und Flugverkehr sowie die industrielle Fleischproduktion müssen sofort und drastisch reduziert werden. In einer profitgetriebenen Ökonomie wird das nicht möglich sein. Kapitalismus und Wachstumszwang, das ganze Modell der Indus­triegesellschaft müssen infrage gestellt werden.“ Dass die USA eines dieser Länder sein wird, das aktiv seine Industrie- und Umweltpolitik ändert, daran glaubt Umwelt-Staatssekretär Jochen Flaßbarth allerdings nicht. Obwohl in den vergangenen Wochen Äußerungen etwa von Außenminister Rex Tillerson diese Hoffnung aufkeimen ließen, hält Flasbarth es für „sehr unwahrscheinlich“, dass Präsident Donald Trump seine Haltung noch einmal ändert. „Wir gehen alle davon aus, dass die USA erstmal aus dem Klimaabkommen aussteigen“, sagte Flasbarth. Andererseits zeigte er sich sicher, dass die USA irgendwann wieder beitreten werden. „Das wird in den Vereinigten Staaten kein einfacher Prozess, es wäre viel besser, wenn sie dabei geblieben wären“, sagte er. „Aber ich bin sicher, wir werden den Satz hören: ‚The US is back again‘.“ Trumps Entscheidung habe bisher nicht zu einem Domino-Effekt geführt, sondern im Gegenteil zu einem internationalen Schulterschluss. Nicaragua, das das Pariser Abkommen abgelehnt habe, habe nun doch unterzeichnet. Die einzigen UN-Mitglieder, die den Vertrag ablehnten, seien nun Syrien und die USA. Mehr Isolation sei schwer vorstellbar.

Die Klimakonferenz mit rund 25000 Teilnehmern aus fast 200 Ländern komme nicht recht voran, kritisierte eine Attac-Rednerin auf einer Kundgebung. „Was die da machen – das braucht unbedingt den Druck der Straße“, sagte sie. Zu den Protestaktionen riefen die Bündnisse „No Climate Change“ und „Weltklima- Aktionstag 11.11. Bonn“ auf. Sie wurden unterstützt von regionalen und bundesweiten Initiativen sowie von Parteien.

Umweltverbände aus Deutschland und Frankreich appellierten an ihre Regierungen, im Klimaschutz eine Führungsrolle zu übernehmen. Beide Staaten müssten der „Motor für eine ehrgeizige EU-Klimapolitik“ werden, heißt es in einem Schreiben an Merkel und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, aus dem die Süddeutsche Zeitung zitierte. Die 18 Verbände verlangten, die europäischen Klimaziele anzuheben und regionale Mindestpreise für Kohlendioxid einzuführen. Auch in der Landwirtschafts- und Verkehrspolitik müsste die EU Weichen zu mehr Klimaschutz stellen. Zudem dürfe es im EU-Haushalt „keine Unterstützung für die fossile Energiewirtschaft“ geben. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass diese Positionen von der Politik aufgegriffen werden.

Bei den Verhandlungen in Bonn geht es vor allem um die technische Umsetzung des Pariser Abkommens. Dabei soll ein „Regelbuch“ ausgehandelt werden, um etwa die Vergleichbarkeit und Überprüfbarkeit nationaler Klimaschutzziele zu ermöglichen.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Das ganze Modell in Frage stellen", UZ vom 17. November 2017



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Stern.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit