Beeindruckende Aufführung auf der RLK in Berlin

Das Floß der Medusa

Was passierte da am letzten Samstagnachmittag im großen Saal der „Rosa-Luxemburg-Konferenz“ in Berlin? Ein Sprach- und Spielkünstler, Rolf Becker, trat auf und bat die mehreren hundert Menschen im Raum um Aufmerksamkeit. Er wolle, gemeinsam mit dem Jazz-Ensemble von Hannes Zerbe, an das Oratorium „Das Floß der Medusa“ von Hans-Werner Henze mit dem Libretto von Ernst Schnabel erinnern. Die Uraufführung 1968 geriet zu einem ungeheuerlichen Theaterskandal, Polizisten stürmten die Bühne, verhafteten den Komponisten und verhinderten die Aufführung.

Rolf Becker schlüpfte in die Rolle des Charon, den mythischen Fährmann zwischen Leben und Tod. Er erzählte eine wahre Begebenheit nach, die der Fahrt französischer Schiffe, die im Auftrag ihres Königs 1816 afrikanische Gebiete von den verhassten Engländern zurückerobern sollten. Das Flaggschiff, getauft auf die griechische Figur der Medusa, geriet in schwere See, begann zu sinken. Die, die das Sagen hatten, retteten sich in die Boote, für die „viel zu vielen“ wurde ein Floß gezimmert. Anfänglich verband noch ein Seil ein Boot und die waghalsige Konstruktion, dann wurde auf Befehl des Kapitäns die Verbindung gekappt. Hilflos, mit nur einem löchrigen Segel und einem Ruderblatt, treiben 149 Männer in rauer See. Bei ihnen setzt sich die Erkenntnis durch ‚Wir sterben, wir haben kein Gesetz, weil Königreiche keine Gesetze für uns haben’. Die viel zu vielen werden weniger, Hunger und Durst, brennende Sonne und salziges Wasser schaffen „Madame La Mort“ auf den Plan.

Théodore Géricault malte bereits 1819 ein Riesengemälde, das die verzweifelte Situation der letzten, noch 19 Männer zeigt. Mit einem roten Fetzen winkt einer einem entfernten Schiff zu: Ist es eine Fieberfantasie, ein Wunsch, oder naht Rettung? Nur 15 werden nach Wochen gerettet, krank und in Agonie, alle sterben nach kurzer Zeit an Land.

So die Geschichte, die der Charon des Rolf Becker erzählt. Im Hintergrund der Bühne wird mehrfach das berühmte Gemälde auf einer Leinwand eingeblendet, die Spannung ist spürbar zwischen denen, die bereits aufgegeben haben und denen, die noch voll verzweifelter Hoffnung sind, sie könnten gerettet werden. Das Riesenbild (4,91 × 7,16 Meter ) ist eine künstlerische Darstellung des damaligen Geschehens, auf zwei kompositorische Elemente mag hingewiesen werden: Die Menschengruppe ist zweigeteilt, in der Art eines Andreaskreuzes, die eine Diagonale ist die, in der das Floß treibt, die andere Diagonale ist die der Personen von links unten nach rechts oben. So wie dargestellt, traut man der Wasserwand nicht zu, dass sie über das Floß hinein bricht, da scheint wohl noch Hoffnung zu sein. Die Rätselfigur der „allesverschlingenden“ Medusa hat Géricault am unteren Rand des Bildes platziert, der Kopf mit dem weitaufgerissenen Mund, der das schlimme Ende vorhersagt. Die, die das Glück hatten, in den ersten Reihen des Saales zu sitzen, konnten das eingeblendete Bild ausführlich betrachten, allen sei empfohlen, sich dem Bild – man muss nicht unbedingt nach Paris in den Louvre pilgern – zu nähern. Die eindringliche Gestaltung, die Rolf Becker leistet, unterstrichen durch die dissonante Musik des kleinen Ensembles, macht die Widersprüche deutlich, die zwischen Herrschenden und Beherrschten vorhanden sind. Die Musik von Hannes Zerbe kann und will nicht das große Oratorium von Henze „nachbilden“, ebenso will Rolf Becker nicht die Singstimmen und die Chöre in einer Person bündeln. Die Arbeit, die Becker und Zerbe vorstellen, ist ein völlig eigenständiges Kunstwerk, es atmet jedoch den Geist und die Absicht, die Henze/Schnabel entwickelten.

Während anfänglich noch einige den Saal verließen, wurde es dann immer stiller, hochkonzentrierte Aufmerksamkeit, der Spannungsbogen zwischen Bühnengeschehen und Publikum war geschlossen gelungen. Großer Beifall für Rolf Becker und das Ensemble von Hannes Zerbe belohnte zu Recht die Mühe.

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"Das Floß der Medusa", UZ vom 17. Januar 2020



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