Ein neues Buch über Picassos Dichterfreund: Jean Cocteau

Das ewige Kind

Von Rüdiger Bernhardt

Gertraude Clemenz-Kirsch

Picassos Dichterfreund:


Jean Cocteau

Mit einem Vorwort von Karlheinz Jackstel

Querfurt, Dingsda-Verlag 2018

192 S., 19,95  Euro

Wenn der Name Jean Cocteau fällt, stehen sich polarisierende Meinungen gegenüber. Dabei ist eines unbestritten: Er war einer der vielseitigsten und begabtesten Künstler des 20. Jahrhunderts und versuchte sich in den unterschiedlichsten Gattungen, wenn er auch Wert auf die Arbeit als Dichter legte. Als er 1963 starb, wurden in den verschiedenen, auch gegensätzlichen Nachrufen, erneut polarisierende Meinungen deutlich, besonders in der politischen Bewertung: Im „Neuen Deutschland“ (vom 13. Oktober 1963) wurde er als Vertreter der Weltfriedensbewegung gewürdigt, seine Werke galten als Beispiele, „für soziale Gerechtigkeit Partei“ zu ergreifen. Andere, wie die westdeutsche „Morgenpost“ (vom 12. Oktober 1963), betonten „die Buntheit seiner eigenen faszinierenden Persönlichkeit“. Er engagierte sich als Künstler gegen alle Formen der Ungerechtigkeit und Diskriminierung, galt jedoch auch als das „Enfant terrible“ der Pariser Gesellschaft, von der er sich in späterer Zeit distanzierte, „ein oberflächliches und schülerhaftes Volk.“, ohne von ihr loszukommen.

Jean Cocteau ist eine ebenso schillernde wie vielseitige, eine ebenso politisch engagierte wie sich irrende Persönlichkeit, zu der umfangreiche Sekundärliteratur vorliegt. Zu dieser gesellt sich nun ein Buch hinzu: „Picassos Dichterfreund: Jean Cocteau“. Gertraude Clemenz-Kirsch schließt damit ihre Reihe der Dichterfreunde Picassos ab (siehe „uz“ vom 6. März 2015). Der Titel ist Beschränkung: Es geht vorrangig um Cocteaus Beziehung zu Picasso und die Frage, ob es denn eine Freundschaft gewesen sei. Und es geht um den Dichter Cocteau. Die Begrenzung ist wichtig bei einem, der sich auf vielen Gebieten der Kunst betätigte und fast immer als erfolgreich und genial bestaunt wurde. Die Autorin setzt sich noch in anderer Weise von biografischen Beschreibungen und künstlerischen Spekulationen ab, will das „Spiel“ der Mutmaßungen nicht fortsetzen. Sie beschreibt ihre Suche nach Cocteau und scheut keine Schwierigkeiten, seine Lebensorte aufzusuchen und mit Wort und Bild zu dokumentieren. So entsteht ein eindrucksvolles Bild des Dichters und seines Lebens; die Annäherung an Picassos Dichterfreund wird zu einem Reisebericht der Autorin, angereichert mit anekdotischen Erlebnissen aus der Gegenwart über Busreisen und Hotelbesuche sowie Reisempfehlungen, besonders für die Stadt Menton an der Cóte d’Azur, die Cocteau besonders liebte. Es wurde zu einem persönlichen Buch, in dem freundschaftliche Beziehungen der Autorin ihren Platz finden, nicht zuletzt im Vorwort des mit ihr befreundeten Pädagogen Karlheinz Jackstel. Verweise auf ihre anderen Bücher schließen den Kreis. Auf diese Weise fand die Autorin ihren Weg durch das Dickicht der Sekundärliteratur und gelangte zu ihrem Jean Cocteau. Für sie war er der Suchende, dessen Ordnung der dauernde Wechsel war. Dabei ging er mit Extremen um, die richtige Erkenntnisse neben Irrtümer stellte. Dass er dabei die humane Orientierung nicht verlor, lag an seiner immer wieder bestaunten Naivität als Künstler, der auch die Autorin zu folgen versucht. Cocteau wünschte sich Leser, „die komme was da wolle, stets Kinder bleiben“. Das ist zwar keine Lösung für bedrohliche und gefährliche Konflikte in der Welt, die Cocteau lebenslang durchleben musste, konzentrierte sie jedoch auf eine überschaubare Bildhaftigkeit, die gleichdenkende Menschen verstehen. Das war ein Grund, weshalb sich Cocteau Ideologien aller Art verweigerte. Auf diese Weise bewältigte er auch die grauenvollen Eindrücke des Ersten Weltkrieges. Gertraude Clemenz-Kirsch beschreibt das eindrucksvoll: „Cocteau, das ewige Kind, im Krieg erwachsen geworden, erlag lebenslang der Faszination des Todes.“ Fasziniert ist die Autorin davon, wie sich Cocteau in seinem Roman „Kinder der Nacht“ (1929) in wirrer und bedrohlicher Zeit in die „verzweifelten Jugendlichen hineingedacht hat, wie er die Kälte, aber auch die Angst der jungen Leute nachempfinden konnte“. Ähnliches vollzog sich im Zweiten Weltkrieg. Die Autorin konzentrierte sich auf den Dichter. Aber sie verlor den Universalkünstler nie aus dem Blick, dessen Vielseitigkeit sie zusammenfasste: Wie einst bei dem phrygischen König Midas wurde „… alles, was er schuf, gleichsam zu einer Poesie“. Dazu zählten auch die Glasfenster in der Kirche Saint-Maximin von Metz (1962–1979), in der erstmals in einer katholischen Kathedrale die Taube als Friedenssymbol, ganz im Sinne Picassos, verwendet wurde. Das erschreckte damals die Öffentlichkeit. Sie sind auf der Rückseite des Schutzumschlags abgebildet.

Das Buch beschreibt Spannungen, in denen Cocteau lebte, seine Kindlichkeit und seine Angst vor dem Tode, sein „Hunger nach Anerkennung“ und die Einsamkeit seines Schreibens, seine gelebte und seine gewünschte Biografie, seine Herkunft aus dem Großbürgertum und seine Angriffe darauf, der Individualist und die Sehnsucht nach der Gemeinschaft und vieles mehr.

Weniges ist kritisch anzumerken: Redundanzen machen nichts klarer; auf das sehr gute Nachwort von Klaus Möckel zur schönen zweibändigen Auswahl von Cocteaus Werken in der DDR wurde in der umfangreichen Bibliografie verzichtet.

Ein Vielzahl von Auszügen aus Dokumenten und Werken Cocteaus, aber auch anderer wie Klaus Mann, bereichern die Darstellung. Damit hat auch der Interessierte, aber mit dem Werk Cocteaus wenig vertraute Leser die Gelegenheit, einen ersten Einblick zu bekommen.

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"Das ewige Kind", UZ vom 15. Juni 2018



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