Der zweite Band von „Künstler in der Zeitenwende“ ist erschienen

Das Einzelne und das Ganze

das einzelne und das ganze - Das Einzelne und das Ganze - DDR-Kunst, Kultur, Rezensionen / Annotationen - Kultur

Peter Michel

Künstler in der Zeitenwende I

367 Seiten, 21cm x 21cm, Klappenbroschur, 65 farbige und 75 schwarz-weiße Abbildungen auf 150g Bilderdruckpapier, 35,00 Euro

 

das einzelne und das ganze 1 - Das Einzelne und das Ganze - DDR-Kunst, Kultur, Rezensionen / Annotationen - Kultur

Peter Michel

Künstler in der Zeitenwende II

410 Seiten, 21cm x 21cm, Klappenbroschur, 58 farbige und 76 schwarz-weiße Abbildungen auf 150g Bilderdruckpapier, 40,00 Euro

Verlag Wiljo Heinen

Berlin und Böklund

Peter Michel, ausgewiesener und anerkannter Kunstwissenschaftler bereits in der DDR, hat eine zweibändige Arbeit über die Kunst in der DDR vorgelegt. Während er in Band I die Geschichte von 40 Jahren künstlerischer Produktion, der Strömungen, der Einflüsse und Wirkungen erzählt, hat er in Band II eine Fülle von Miniaturen über seine Begegnungen mit Kunstschaffenden und Kulturverwertern aus der BRD und der DDR gesammelt. Die UZ plant, einige dieser Miniaturen in nächster Zeit in loser Folge vorzustellen.

Peter Michel schreibt im Vorwort zum zweiten Band:

Als Lothar Lang 2009 sein Buch „Ein Leben für die Kunst“ herausgab, schrieb er am Schluss: „Abgeschlossen ist mein Text, nicht aber vollendet. Kunst wird unaufhörlich weiter gedeihen. Sie ist ewig. In Zeiten postmoderner Beliebigkeit ist es schwierig, aktuelle Strömungen auf ihre mögliche Dauer abzufragen. Das Ausrufen von Avantgardisten, die nichts anderes sind als Ausbeuter alter Traditionen, begleitet von Ausstellungen, die nur Schaustellerei sind, führt in die Irre. Es ist immerfort nach den bewährten Tugenden der Kunst zu fragen. Dazu gehören Handwerk und Fleiß, Disziplin und Ausdauer.“ In meinem Vorwort zum Band I dieses Buches hatte ich mich ebenso zu einer Kunst bekannt, die substanz voll ist und nicht den ständigen Wechseln des Marktes folgt. Wir leben in einer Zeit, in der immer deutlicher wird, dass hoch entwickelte kapitalistische Verhältnisse anspruchsvoller Kunst nicht förderlich sind.

Darüber zu schreiben, wie sich Künstler solchen Entwicklungen entgegenstellten und das heute noch tun, wie sie ihre Werte bewahrten, wie viele von ihnen in der „Wende“-zeit ihre Meinung und ihre Freunde nicht von heute auf morgen wechselten oder es ablehnten, jenen „Aufarbeitern“ zu folgen, die sich voller Selbstgerechtigkeit die Vergangenheit zurechtbasteln – das war mein Anliegen. Ob ich dabei den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören gefunden habe, mag der Leser entscheiden. Ein Lexikon wollte ich nicht verfassen und erst recht keine Kunstgeschichte der DDR. Ich nahm mir die Freiheit, mich jenen zuzuwenden, mich an jene zu erinnern, die mich mit ihrer Kunst bewegten. Nicht alle von ihnen haben in diesem Buch Platz gefunden, und nicht alles, was ich mir vorgenommen hatte, konnte ich realisieren. Dennoch glaube ich, dass etwas entstanden ist, das helfen wird, einen vorurteilsfreieren Blick auf ein Stück Kunst- und Kulturgeschichte zu werfen. Manches ist heute schon verschüttet und hat es verdient, nicht in den Archiven zu verstauben, sondern wieder ins Gedächtnis gerufen zu werden.

Dabei geht es um einen Blick auf das Ganze. Die Kunst in der DDR hatte viele Facetten. Jeder, der sich mit ihr beschäftigt, wird sich auf das konzentrieren, was ihn besonders anregt. Einen sozialistisch-realistischen Einheitsbrei, wie er von „Aufarbeitern“ in den Jahren nach der „Wende“ suggeriert wurde, gab es nicht. Der Maler, Zeichner, Graphiker und Bildhauer Wolfgang Mattheuer wies nach 1989/90 darauf hin, dass in der Kunst Momente des lächelnd Spielerischen ebenso wichtig seien wie die Darstellung der Klagwürdigkeit der menschlichen Welt; Klagen gehöre zur Kunst, lachende Zähne zum Kommerz.

Nach und nach hat sich in der bundesdeutschen Öffentlichkeit ein differenzierterer, offenerer Blick auf die in der DDR entstandene Kunst durchgesetzt, auch auf das Schaffen der so genannten „Staatskünstler“. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, die von Menschen getragen wird, die toleranter und klüger sind, die Kunst als Kunst wahrnehmen und bei denen sich reges Interesse mit prüfender Distanz verbindet. Doch immer wieder gibt es auch in der Gegenwart makabre Rückfälle: Erst 2017 wurde in der Galerie Neue Meister der sächsischen Landeshauptstadt Dresden bei einer neuen Hängung die kunstgeschichtliche Epoche zwischen 1945 und 1990 vollkommen ins Depot verfrachtet. Jene, die in den Neunzigerjahren den angeblichen „Bilderstreit“ begannen und ihn bis heute führen, sollten sich darüber im klaren sein, dass sie dasselbe tun, was die Formalistenjäger in der frühen DDR praktizierten, dass sie die innere Einheit der Deutschen im Kunstbereich behindern und damit einer deutschen Nationalkultur Schaden zufügen. Möge dieses Buch dazu beitragen, auch solch Ewiggestrigen die Augen zu öffnen. Was Alfred Döblin in seinem Essay „Der historische Roman und wir“ schrieb, gilt auch für uns. Nur die wirkliche Historie muss der Maßstab der Wahrheit sein: „Die Wahrheit der historischen Dinge, danach dürsten wir, danach verdursten wir bei all dem unsäglichen Schwindel, mit dem wir umgeben werden.“

Die biografischen Miniaturen dieses zweiten Bandes entstanden in den Jahren 2016 und 2017. Sie zu schreiben war für mich zugleich wie das Abtragen einer Schuld. Hier hatte ich Gelegenheit, Dank zu sagen für das Vertrauen, das ich genießen durfte, wenn ich Ateliers besuchte, wenn sich Künstler mit ihren Gedanken öffneten, wenn sie mich in die Besonderheiten ihres Schaffens blicken ließen, wenn sie mir Freundschaft entgegenbrachten, die – wenn sie noch leben – bis heute anhält, und wenn sie mich vor zu schnellem Urteil bewahrten. Viel davon konnte ich ihnen zurückgeben, indem ich ihre Ausstellungen eröffnete oder über sie publizierte. Nie habe ich mich dabei als Richter, sondern stets als Vermittler gefühlt.

Allen jenen, die dazu beitrugen, diesen zweiten Band zu veröffentlichen, soll hier soll Dank gesagt werden: meiner Frau Maria, meiner Tochter Annegret, dem Bildhauer Klaus Schwabe (†) aus Leipzig, Gisela Stuckert aus Puchheim, Joachim Hörnig aus Berlin, Jörg-Heiko Bruns aus Molsdorf/Erfurt, dem Kunstarchiv Beeskow; auch den Kunstsammlern Maria Heiner aus Dresden und Gerd Gruber aus Wittenberg, die mir wichtige Informationen vermittelten, und allen, die mich bei Lesungen und Diskussionen ermutigten.

Für den Bildhauer Werner Stötzer war das „vollendet Unvollendete“ ein Arbeitsprinzip. Er forderte damit den Betrachter auf, sich einzufühlen in das, was in seinen Werken noch verborgen blieb; er stieß Gedanken und Gefühle an, ohne bis in die letzten Details seiner Plastiken vorzudringen. Ja, er hatte sogar Bedenken, den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören zu finden, weil er möglicherweise mit weiteren Schlägen auf das Steinbildhauerwerkzeug das Ganze verderben könnte. Gerade darin liegt wohl die Ursache für den Reichtum an Assoziationen, den er mit seiner Arbeit hervorrief. Es liegt mir fern, daraus vorschnelle Schlüsse auf das Handwerk des Schreibenden zu ziehen. Doch ich muss mich an Werner Stötzers Haltung erinnern, wenn ich nun vielleicht etwas Unvollendetes hinterlasse, das dennoch weiterwirken kann. Das ist die Zuversicht, die ich mit Lothar Lang teile.

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"Das Einzelne und das Ganze", UZ vom 22. Juni 2018



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