Was die Protagonisten von „Aufstehen“ zur Migration zu sagen haben

Das Doppelwesen

Von Olaf Matthes

Am kommenden Dienstag sollen wir mehr erfahren: Dann wird die Linkspartei-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ und ihre Unterstützer offiziell präsentieren. In den vergangenen Wochen haben Unterstützer des Projektes in verschiedenen Zeitungen Beiträge untergebracht, in denen sie für ihre Vorstellung einer Sammlungsbewegung werben – und ihre Sicht auf Flüchtlinge beschreiben.

„Den ‚Flüchtling‘ gibt es eben zweimal“, schreiben Wagenknecht und Bernd Stegemann Anfang Juni in der „Zeit“. Sie legen Wert darauf, zwischen denen zu unterscheiden, die vor Krieg oder Verfolgung fliehen, und denen, die als Arbeitsmigranten nach einem besseren Leben suchen. Flüchtlingsinitiativen lehnen diese Unterscheidung ab, weil sie verschleiere, dass auch „Wirtschaftsflüchtlinge“ durch die Lebensbedingungen in ihrer Heimat gezwungen werden, diese zu verlassen.

Auch in anderer Hinsicht sei der Flüchtling ein „Doppelwesen“, schreiben Wagenknecht und Stegemann: Einerseits schutzbedürftig, andererseits „Konkurrent um die knappen Ressourcen am unteren Ende der Gesellschaft“. Der Politikwissenschaftler Martin Höpner verweist in der FAZ auf die „Verschärfung der Konkurrenz“ durch den Zuzug von Flüchtlingen – eine Konkurrenz „im unteren Segment des Arbeitsmarkts, um soziale Dienste, um erschwinglichen Wohnraum, um die Aufmerksamkeit überforderter Lehrer, um den Platz an den Tafeln“. Das Argument zieht sich als roter Faden durch die Texte der „Aufstehen“-Unterstützer.

Dieses Argument hängt zusammen damit, dass sie den Neoliberalismus ablehnen – und eine Linke, die sich in erster Linie an „Kosmopoliten“ richtet und auf eine „Verallgemeinerung des postmodernen, urbanen Lebensstils“ orientiert. So formuliert Höpner – und fordert in der Überschrift, aus dem „linksliberalen Schlaf“ aufzuwachen. Die „Aufstehen“-Unterstützer richten sich gegen die Moralisierung linker Politik und fordern, die soziale Frage in den Mittelpunkt zu stellen. Wagenknecht und Stegemann: Die Grenze verlaufe nicht zwischen „den Ressentiments der AfD und der allgemeinen Moral einer grenzenlosen Willkommenskultur“, eine „realistische linke Politik“ lehne „beide Maximalforderungen“ ab.

Mit Marxisten haben sie damit manches gemeinsam: Gegen Merkels Gutmenschen-Politik, die soziale Sicherungen mit der Schuldenbremse zerstört und 2015 die erste Versorgung der Flüchtlinge auf Ehrenamtliche abgeschoben hat. Gegen eine „Linke“, die lieber AfD-Wähler als dumm verspottet als zu fragen, warum Arbeiter und Arbeitslose den rechten Hetzern nachlaufen. Natürlich ist es für Marxisten nötig, den täglichen Konkurrenzkampf gerade unter den Ärmsten zu benennen, ihre Spaltung und wie die Herrschenden sie gegeneinander ausspielen. Nur: Für Marxisten ist die Antwort auf diese Konkurrenz die bewusste Solidarität aller Ausgebeuteten.

Die „Aufstehen“-Protagonisten sehen eine andere Lösung: „Der Staat muss endlich wieder Anwalt des Gemeinwesens werden“, schreiben die Linkspartei-Abgeordnete Sevim Dagdelen, die Grüne Antje Vollmer und der Sozialdemokrat Marco Bülow im „Spiegel“. Höpner meint, dass die sozial Abgehängten „die vom Kosmopoliten für rückwärtsgewandt gehaltenen Institutionen des Nationalstaats noch einmal brauchen könnten“. Darin besteht der Zusammenhang zwischen Wagenknechts Äußerungen zur Flüchtlingspolitik und den sozialen Forderungen von „Aufstehen“: In der alten Hoffnung, dass stabile Nationalstaaten eine Rückkehr zum Willy-Brandt-Sozialstaat möglich machen würden.

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"Das Doppelwesen", UZ vom 31. August 2018



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