Am 1. Mai vor 70 Jahren auf Sizilien

Das Blutbad an der Portelle delle Ginestra

Von Gerhard Feldbauer

Der 1. Mai, der Kampf- und Feiertag der arbeitenden Menschen, hat an der Portelle delle Ginestra auf Sizilien eine besondere Bedeutung. Jährlich wird dort der Opfer des Blutbades gedacht, das am 1. Mai 1947 Mafia-Banden im Dienste der Faschisten und toleriert von der US-amerikanischen Besatzungsmacht anrichteten. Die Bande des „König von Montelepre“ genannten Separatistenführers, des Mafia-Chefs Salvatore Giuliano, überfiel eine Festveranstaltung mit Landarbeitern und landlosen Bauern, die Gutsbesitzerland besetzt hatten. Die Banditen ermordeten elf der Landbesetzer und verletzten 56. Die Teilnehmer der Maifeier kamen aus den angrenzenden Gemeinden von San Giuseppe Jato und Piana die Greci bei Palermo und hatten sich am Eingang dieser Gebirgsschlucht versammelt, um ihren Forderungen, ihnen das besetzte Land zu übergeben, besonderen Nachdruck zu verleihen.

Der Clanchef Giuliano stand an der Spitze einer feudal-faschistischen Separatistengruppe, die nach dem Sturz der Monarchie im Referendum vom 2. Juni 1946 die Insel von Zentralstaat abspalten und dort ein faschistisches Regime wieder errichten wollte. Die Einheitsgewerkschaft Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL) begann am 2. Mai einen Generalstreik gegen die Spaltungsmanöver, dem die Fraktion der regierenden Democrazia Cristiana (DC) ihre Teilnahme verweigerte.

Die Separatisten wurden ermuntert durch die US-amerikanische Besatzungsmacht, die in Süditalien die faschistischen Machtstrukturen konserviert und zur Zurückdrängung des Einflusses der Kommunisten (IKP) die Mafia wieder zum Leben erweckt hatte. Es ist kaum glaubhaft und wird in den meisten Quellen auch selten angeführt, dass die Alliierten sich bei ihrer Landeoperation auf Sizilien bei der Einsetzung neuer Verwaltungen der Hilfe der Mafia bedienten. Indem die Militärbehörden ihren Leuten staatliche und Polizeibefugnisse übertrugen, verliehen sie ihr für längere Zeit einen Status der Legalität und verhalfen ihr obendrein zu einem antifaschistischen Etikett. So ernannte die Militärregierung den Boss der sizilianischen Mafia, Calogero Vizzini, zum Bürgermeister seiner Heimatstadt Villalba. Er und seine Männer erhielten das Recht, mit Gewehren und Pistolen bewaffnet die öffentliche Ordnung zu sichern. Die Militärregierung stellte den früheren Chef der New Yorker Mafia, Vito Genovese, als Chef-Dolmetscher ein. Er war 1936 nach einer Anklage in den USA wegen mehrfachen Mordes bei der sizilianischen Mafia untergetaucht. Don Vitone nutze seine Stellung nicht nur für einen Schwarzhandel mit Zigaretten aus US-amerikanischen Armeebeständen, sondern auch zum Aufbau einer Organisation des Drogenhandels nach amerikanischem Vorbild.

Bereits während der Resistenza hatten Landarbeiter, Tagelöhner und Halbpächter einen Anteil am Boden gefordert und 1944 im Süden begonnen, unbebautes Land der Latifundistas, einer Basis des Mussolini-Faschismus, zu besetzen. Nach einem von dem kommunistischen Agrarminister Fausto Gullo eingebrachten Dekret hatte die im April 1944 gebildete antifaschistische Einheits-Regierung im Oktober 1944 diese Inbesitznahmen legalisiert.

Zur Sicherung ihres Eigentums riefen die Latifundistas die Mafia zu Hilfe. Die Fürstin von Trabia und Butera, Giulia Florio D‘Ontes, setzte Calogero Vizzini als Verwalter ihrer Güter ein. Zum Schutz des Großgrundbesitzes organisierte die Mafia bewaffnete Banden. Als Kommunisten und Sozialisten die Forderungen der Tagelöhner und Pächter unterstützten, drohten die sizilianischen Machthaber, die Insel von Italien abzuspalten.

Zur Verteidigung ihrer Interessen gründeten die landhungrigen Massen 1947 den Fronte del Mezzogiorno (Front des Südens), der eng mit der IKP verbunden war. Er bildete einen Gegenpol zu dem 1944 von der DC gegründeten Bauernverband Confederazione Nazionale dei Coltivatori diretti (kurz Coldiretti), der Eigentümer, Pächter und Halbpächter umfasste, und unter katholischem Einfluss eine scharfe antikommunistische Linie verfolgte und eine Landreform zu verhindern suchte.

Die Auseinandersetzungen hielten an. Im Herbst 1949 kam es auf Sizilien, in Apulien und Kalabrien zu zahlreichen Überfällen der Polizei, bei denen viele Landbesetzer getötet und verletzt wurden. Den blutigsten Vorfall gab es am 30. Oktober 1949 im Fragalatal (Kalabrien), als Polizisten das Feuer auf Tagelöhner und Bauern eröffneten, zwei töteten und 13 schwer verletzten. Die Landbesetzer hatten gefordert, das 1944 von der IKP eingebrachte Dekret zur Übergabe der Ländereien der faschistischen Latifundistas zu verwirklichen. Die Proteste im ganzen Land waren so stark, dass Ministerpräsident Alcide De Gasperi sich nach Calabria begeben musste, um die aufgebrachten Massen zu beruhigen. Er versprach eine Landreform

Danach musste die DC daran gehen, auf dem Land eine Reform der Eigentumsverhältnisse einzuleiten. Die IKP stimmte im Parlament gegen die Landreformgesetze, da diese nur eine sehr begrenzte Verteilung von Land an die Landarbeiter und landlosen Bauern vorsahen. Sie forderte mehr Land zu enteignen, um den Landhunger zu befriedigen. Außerdem sollten die neuen Bauern finanziell unterstützt werden. Wie recht die Partei hatte, bewies die Umsetzung der Reformgesetze. Auf deren Grundlage wurden nur 749210 Hektar Land erfasst, davon zwei Drittel im Süden. Das waren nur sieben Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche. 109 425 Familien, vorwiegend Halbpächter und Tagelöhner, erhielten zirka sechs Hektar Land, für das sie den Besitzern in 30 Jahren über die Staatskasse eine Entschädigung zum Marktpreis zahlen mussten. Die zur Verfügung stehende Nutzfläche reichte bei weitem nicht aus. Nur jeder achte Bewerber erhielt Land. Da die übergebenen Böden meist schlecht kultiviert waren, entstanden oft nicht ertragsfähige Kleinwirtschaften. Den neuen Kleinbauern fehlten meist die finanziellen Mittel, entsprechende Technik einzusetzen. Eine Folge des ungestillten Landhungers war ein Ansteigen der Flucht in die Fremde. 1972 stieg die Zahl der Landbewohner, die seit 1946 ausgewandert waren, auf über drei Millionen, 2,5 Millionen von ihnen kamen aus dem Süden. Die Gründung der EWG, des Vorläufers der heutigen EU, im Jahr 1957 führte zum „Gesundschrumpfen“ hunderttausender Landwirtschaftsbetriebe und beförderte die Landflucht weiter.

Die Kämpfe der arbeitenden Menschen des Süden für ihre sozialen Belange und damit gleichzeitig für den Fortschritt des Landes stellten Künstler und Schriftsteller in aufrüttelnden Werken dar. Der Kommunist Renato Guttuso schuf das monumentale Gemälde „Inbesitznahme des unbebauten Landes“, mit dem er zu einem der großen Begründer des Realismus wurde. Der parteilose Antifaschist Carlo Levi, der katholische Schriftsteller und Soziologe Danilo Dolci, der kommunistische Historiker Michele Pantaleone, der Erzähler und Romancier Leonardo Sciascia und viele andere widmeten diesen opferreichen Kämpfen eindrucksvolle Werke. In „Worte sind Steine“ gestaltete Levi das Wirken eines der großen Organisatoren der Landnahmebewegung, des von der Mafia ermordeten Sekretärs der Kammer der Arbeit in Palermo, Salvatore Carnevale.

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"Das Blutbad an der Portelle delle Ginestra", UZ vom 28. April 2017



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