„Das Betriebsklima bei Amazon ist legendär fürchterlich“

Markus Bernhardt im Gespräch mit Christian Leye

UZ: Regelmäßig kommt es beim Internethandelsriesen Amazon zu Streiks der Beschäftigten. Was sind die Gründe?

Christian Leye: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Amazon haben in der Vergangenheit vor allem einen Tarifvertrag nach den Bedingungen des Einzel- und Versandhandels gefordert. Das Management verweigert eben dies seit Jahren. Ihr Argument: Amazon, der größte Versandhändler der Branche, sei tatsächlich gar kein Versandhändler, sondern ein reines Logistikunternehmen. Mit derselben Logik könnte ThyssenKrupp morgen behaupten, es sei gar kein Metallunternehmen, sondern ein Friseursalon und daher seien die Tarifverträge zu ändern. Gleichzeitig zahlt Amazon nach Aussagen von Betriebsratsmitgliedern nicht einmal den Lohn der Logistikbranche, sondern schlicht die Löhne, die das Unternehmen für angemessen hält. Meiner Partei gegenüber wurde in Gesprächen mehrfach berichtet, dass die Beschäftigten unter Dauerüberwachung leiden und zunehmend Schikanen ausgesetzt sind. Der Konzern versucht, die Ausbeutung seiner Beschäftigten auf die Spitze zu treiben: Gespräche mit der Gewerkschaft ver.di werden schlicht verweigert, das Betriebsklima ist legendär fürchterlich und die Löhne werden willkürlich festgelegt.

UZ: Erklärt sich die mangelnde Gesprächsbereitschaft Amazons vielleicht auch mit dessen Monopolstellung?

Christian Leye ist Wirtschaftspolitischer Sprecher der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen und Mitglied des dortigen Landesvorstandes

Christian Leye ist Wirtschaftspolitischer Sprecher der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen und Mitglied des dortigen Landesvorstandes

Christian Leye: Selbstverständlich. Amazon hat mehr als hunderttausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und verfügt über 80 Versandzentren weltweit. Das Unternehmen geht sehr aggressiv an den Märkten vor und ist dabei, in vielen Bereichen Monopolstellungen einzunehmen. Die harte Ausbeutung der Beschäftigten macht sich zumindest für Jeff Bezos bezahlt: er ist der Besitzer von Amazon und der viertreichste Mensch der Welt. Damit Bezos sich kostspielige Hobbys wie die Raumfahrt leisten und in der Forbes-Liste der Superreichen mitspielen kann, werden alle Arbeitsschritte der Beschäftigten mit mathematischer Genauigkeit überwacht und sie müssen darüber Rechenschaft ablegen, um noch das letzte Quäntchen Arbeitsleistung aus ihnen heraus zu pressen. Auf Kritik an den Zuständen in seinem Unternehmen reagierte Bezos kürzlich lapidar: das ist bei Amazon eben so, und Konkurrenzdruck könne ja auch für einige Menschen was Positives sein.

UZ: Wie kann der politische Druck auf Amazon erhöht werden?

Christian Leye: Wie immer in solchen Situationen ist die wichtigste Frage, wie hart die Belegschaft in die Auseinandersetzung geht. Aber natürlich muss es auch von außen Druck geben. Meine Partei unterstützt die Arbeitskämpfe bei Amazon seit langem politisch und leistet dazu auch Öffentlichkeitsarbeit. Ziel ist die Aufklärung und Skandalisierung der Verhältnisse bei Amazon.

UZ: Nicht nur Regionen im Osten der Bundesrepublik, sondern auch Regionen in Nordrhein-Westfalen sind von massiver Armut betroffen. Wäre eine Reallohnerhöhung bei Amazon und anderen Firmen nicht auch vor diesem Hintergrund dringend erforderlich?

Christian Leye: Selbstverständlich. Wir müssen umverteilen, gerade auch in Nordhrein-Westfalen. Und das geht im Kapitalismus eben auch über Lohnerhöhungen, unter anderem bei Amazon. Die Situation ist doch die: NRW leidet wie kaum ein anderes Bundesland unter der Agenda-Politik von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die Armut wächst hier doppelt so schnell wie im Rest von Deutschland, jeder zweite neue Job ist befristet, der Niedriglohnsektor blüht. Besonders getroffen hat es das Ruhrgebiet: Hier hat die Armutsquote zum ersten Mal die 20-Prozent-Marke erreicht. Man muss sich das klar machen: jeder fünfte Mensch im Ruhrgebiet gilt inzwischen als arm, in Städten wie etwa Duisburg ist sogar jeder vierte betroffen. Noch schlimmer sieht es bei der Kinderarmut aus, in Gelsenkirchen zum Beispiel leben 40 Prozent der Kinder von Hartz IV. Von der Armut der vielen haben auch in Nordhrein-Westfalen einige wenige profitiert: von den 500 reichsten Menschen Deutschlands kommt jeder vierte aus NRW. Inbesondere sie haben von der Politik der letzten Jahre profitiert, zu Lasten von fast allen anderen.

UZ: Aber die SPD scheint sich ändern zu wollen. Sigmar Gabriel gelobte öffentlich Besserung und auch in Nordrhein-Westfalen diskutieren die Sozialdemokraten über soziale Gerechtigkeit …

Christian Leye: Sehr witzig. Die SPD hat 18 Jahre lang mit Ausnahme einer Legislatur in der Bundesregierung eine Politik für das reichste eine Prozent umgesetzt. Die härtesten Angriffe auf den Klassenkompromiss wurden von der SPD gefahren, inklusive Steuergeschenken in Höhe von 60 bis 70 Milliarden Euro pro Jahr an die Besitzenden. Noch im letzten Sommer war die SPD in der Bundesregierung daran beteiligt, eine sozialdemokratische Alternative in Europa mit einem ökonomischen Staatsstreich gegen Syriza niederzuringen. Jetzt, ein Jahr vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und den Bundestagswahlen, schaltet die SPD angesichts historisch niedriger Umfragewerte auf soziale Rhetorik. Dafür holen sie extra eine Frau aus dem Ruhrgebiet nach Berlin, damit sie dem Parteivorsitzenden und Vizekanzler Sigmar Gabriel vor laufenden Kameras mal die Meinung sagen kann zum Thema Verrat an den Lohnabhängigen. Der Putzfrau glaube ich ihre Wut – Sigmar Gabriel glaube ich diese PR-Aktion definitiv nicht.

UZ: Und die SPD in NRW?

Christian Leye: Die ist keinen Deut besser. NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) steht aktuell unter Druck, weil das Wirtschaftswachstum in NRW hinter dem Bundestrend liegt. Seine Reaktion: Er will endlich mal Politik für die Wirtschaft machen und lässt sich sein Strategiepapier von der Industrie absegnen. War ja auch echt genug Politik für die kleinen Leute, jetzt sind mal wieder die Großen dran. Fakt ist, Politik für die Reichen geht im Kapitalismus auf Kosten von allen anderen. Das Absurde daran ist, dass das Wirtschaftswachstum im Bund vor allem durch den privaten Konsum und öffentliche Ausgaben getragen wird. Hier wird klar, warum NRW hinterherhinkt. Wenn bald jeder fünfte Mensch in NRW arm ist und rund 80 Prozent der Kommunen ein Haushaltsdefizit aufweisen, dann können auch privater Konsum und öffentliche Ausgaben kaum zu Wachstum führen. Früher kannten SPD-Wirtschaftsminister zumindest diese primitiven ökonomischen Zusammenhänge. Heute haben sie so lange vor den Mächtigen gebuckelt, dass sie sich selbst im historischen Umfragetief keine andere Politik mehr vorstellen können. Auch und gerade in NRW kann der Druck daher nur von Links kommen.

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"„Das Betriebsklima bei Amazon ist legendär fürchterlich“", UZ vom 20. Mai 2016



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