„Wir haben eine Einigung.“ Das ist die zentrale und übergroße Botschaft des ver.di-Flugblatts nach der letzten Verhandlungsrunde im Öffentlichen Dienst. Dass nicht ein Inhalt zur Entgelterhöhung oder zu den Arbeitszeitfragen in den Vordergrund gestellt wird, sondern die Tatsache, dass die Bundestarifkommission die Annahme des Verhandlungsergebnisses mehrheitlich empfohlen hat, spricht für sich. Es zeigt, wie erleichtert man in der Gewerkschaftsführung gewesen sein muss, eine Mehrheit für dieses schlechte Ergebnis bekommen zu haben. Nach Informationen der Tageszeitung „junge Welt“ stimmten nur 51 von 99 Mitgliedern für den Abschluss und 37 dagegen.
Die Einigung, die am 6. April in Potsdam erzielt wurde, enthält wie zu erwarten keine großen Veränderungen gegenüber der Schlichtung. Die Beschäftigten erhalten ab dem 1. April 3 Prozent mehr Lohn, mindestens jedoch 110 Euro. In einer zweiten Stufe steigen die Gehälter ab dem 1. Mai kommenden Jahres um 2,8 Prozent bei einer Gesamtlaufzeit des Tarifvertrages bis zum 31. März 2027. ver.di-Chef Frank Werneke würdigte das als Erfolg und als einen Abschluss oberhalb der Inflationsrate – ohne Nennung der drei Nullmonate von Januar bis März und der erwartbaren Preissteigerungen durch die Milliarden-Kriegskredite. Auch die Entgeltentwertung der vergangenen Jahre sowie die Preissteigerungen unter anderem bei Lebensmitteln und Energiekosten wurden nicht erwähnt. Dass sie in den Köpfen – und Geldbörsen – der Kolleginnen und Kollegen sehr präsent sind, erfährt gerade jeder, der mit diesem Ergebnis als ver.di-Aktiver durch den Betrieb geht und das Ergebnis an der Forderung von 8 Prozent, mindestens 350 Euro, messen lassen muss.
Auf noch mehr Unverständnis stößt in den Betrieben und bei den gewerkschaftlichen Vertrauensleuten die Empfehlung an die Mitglieder, die Einigung trotz der Angriffe auf die Arbeitszeit anzunehmen. Vereinbart wurde die Möglichkeit, die Arbeitszeit „freiwillig“, bezahlt und mit Zuschlägen auf 42 Stunden pro Woche erhöhen zu können. Die ver.di-Verhandlungskommission stellt dar, dass ein Großteil der Verhandlungszeit dem Ziel diente, diese Freiwilligkeit abzusichern. Auch wenn jetzt die Arbeitszeiterhöhung in der Probezeit ausgeschlossen und nach Übernahme von Azubis erschwert ist, wird die Illusion der Freiwilligkeit in wenigen Monaten demaskiert sein. Der einzige Lichtblick ist die Möglichkeit für ver.di, diese Regelung Ende 2029 ohne Nachwirkung zu kündigen. Doch auch hier klebt schon das Preisschild dran: Die Erhöhung der Arbeitszeit kann nur in Kombination mit dem vereinbarten zusätzlichen Urlaubstag ab 2027 und dem Wahlmodell, mit dem man sich bis zu drei Tage zusätzlichen Urlaub von der Jahres-sonderzahlung erkaufen kann, gekündigt werden.
Ein Problem für den ver.di-Vorstand und die Mitglieder der Bundestarifkommission, die jetzt für ein „Ja“ in der Mitgliederbefragung werben, dürfte der Widerstand gegen die weitere Schlechterstellung der Beschäftigten aus den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sein. Die in den Betrieben mobilisierende Forderung nach Durchbezahlung der Pausen im Wechselschichtdienst, die in allen anderen Bereichen des Öffentlichen Dienstes gilt, wurde nicht durchgesetzt. Sogar die Möglichkeit, bis zu drei freie Tage für Teile der Jahressonderzahlung zu erkaufen, wird ihnen vorenthalten. Grund: Personalnot! Neben der klaren „Sagt nein!“-Stimmung aus diesen Bereichen gibt es auch den ersten Offenen Brief, in dem Frank Werneke aufgefordert wird zurückzutreten.
So nachvollziehbar die Wut ist, diese Lösung ist zu kurz gegriffen. Es ist richtig und notwendig, in der Mitgliederbefragung, die bis zum 9. Mai läuft, gegen diese Tarifeinigung zu stimmen. Noch wichtiger ist es, die Grundlagen zu verändern, auf deren Basis die ver.di-Führung und viele betriebliche Kolleginnen und Kollegen zu der Annahmeempfehlung gekommen sind. Im zentralen ver.di-Flugblatt heißt es: „Ein Tarifergebnis ist immer ein Ausdruck von Kräfteverhältnissen.“ Bei den aktuellen Kräfteverhältnissen sei nicht mehr drin gewesen. Solange es nicht gelingt, den Zusammenhang von ökonomischen und politischen Kämpfen und das Wissen um die Veränderbarkeit von Kräfteverhältnissen in laufenden Kämpfen in der Gewerkschaft zu setzen, werden alle Verhandlungskommissionen solchen schlechten Abschlüsse zustimmen. Je mehr Aktive diese Zusammenhänge und ihre Kampferfahrungen aus den Betrieben in dieser Tarifrunde in den Gewerkschaften diskutieren, desto besser sind die Ausgangsbedingungen für die Klassenkämpfe der nächsten Zeit. Das gilt nicht nur für Tarifrunden.