Die Arbeit im Knast soll reformiert werden. Auf Mindestlohn oder Rente dürfen Gefangene nicht hoffen

„Da geht es nur um Profit“

Im Jahr 2023 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die in Haftanstalten gezahlten Löhne verfassungswidrig sind. Die Bundesländer planen Reformen. Vor wenigen Wochen wurde ein erster Entwurf aus Nordrhein-Westfalen bekannt. UZ sprach mit Manuel Matzke, Sprecher der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), über das Lohnniveau, die „zweite Strafe“ und die „sozialabgabenfreie Reservearmee“.

UZ: Die Bundesländer müssen nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Gefängnisarbeit reformieren. Worum ging es in dem Richterspruch?

Manuel Matzke: Angemahnt wurde, dass die aktuellen Vergütungssätze, die Gefangene in Haft erhalten, verfassungswidrig sind. Es wurde festgestellt, dass hier – umgangssprachlich ausgedrückt – eine Ausbeutung von geleisteter Arbeit stattfindet.

UZ: Welche Veränderungen soll es geben?

Manuel Matzke: Es sollen sogenannte Resozialisierungskonzepte erstellt werden, aus denen hervorgeht, welchen Wert die Arbeit hat und wie sie adäquat vergütet werden soll. Hier geht es um monetäre und nicht-monetäre Vergütung.

UZ: Was verdient eigentlich ein Häftling bei der Knastarbeit?

Manuel Matzke: Das muss etwas aufgeschlüsselt werden. Es gibt Justizvollzugsvergütungsordnungen der Länder. Die meisten haben fünf Lohnstufen, aber es gibt auch wenige mit sechs. Begonnen wird bei einem Euro Stundenlohn für einfache, ungelernte Tätigkeiten. Wir nennen das eher Beschäftigungstherapie. Dann gibt es Lohnstufen, die gehen über zwei bis zu drei Euro, aber das werden die wenigsten erhalten. Manchmal braucht es ein abgeschlossenes Studium, um diese höheren Lohnstufen zu erhalten, und das haben die wenigsten. Die meisten Löhne liegen real bei 1,50 Euro bis 1,70 Euro die Stunde für das Arbeiten in ganz normalen Unternehmerbetrieben, die als externe Dienstleister auftreten, oder in den Eigenbetrieben wie Wäscherei und Küche.

UZ: Ein anderer Punkt ist, dass Gefangenen künftig auch die Kosten des Strafverfahrens erlassen werden können. „Können“ klingt etwas vage, was sind die Kriterien dafür?

310502 Interview Portrait Matzke - „Da geht es nur um Profit“ - Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation, Knast, Manuel Matzke, Zwangsarbeit - Politik
Manuel Matzke

Manuel Matzke: Das lässt sich aus dem Papier, das es bisher gibt, nicht genau herauslesen. Wir stellen die gleiche Frage. Ein bekanntes Kriterium ist Arbeit über einen gewissen Zeitraum, der aber nicht klar festgelegt ist. Das kritisieren wir sehr stark. Was wäre denn, wenn es in der Haftanstalt einfach keine Arbeitsplätze gibt? Dann wären die Gefangenen dort klar benachteiligt und bekämen die Verfahrenskosten nicht erlassen. Das darf nicht sein. Aktuell ist das Papier für uns noch sehr intransparent und ich kann nicht sagen, worauf es genau ankommt.

UZ: Was sind mögliche Folgen, wenn Ex-Häftlinge die oft immensen Verfahrenskosten abbezahlen müssen?

Manuel Matzke: Erstens haben Gefangene gar nicht die Möglichkeit, mit dem, was sie in Haft verdienen, ihre Schulden zu tilgen. Dafür reicht die Vergütung nicht aus. Die Folge kann sein, dass sie sich nach der Haft wieder in neue Probleme begeben, weil sie sich nicht sagen können, dass in der Haft alles reguliert werden konnte und jetzt alles gut wird. Damit besteht die Gefahr, in alte Muster zu verfallen.

UZ: Die größte Kritik gibt es beim Thema Rente, die es für Knastarbeit weiterhin nicht geben soll. Dabei gibt es einen gegenteiligen Beschluss, der bereits in den 70er Jahren gefällt wurde. Warum passiert da nichts?

Manuel Matzke: Im Bundesstrafvollzugsgesetz aus den Siebzigern beziehen sich die Paragrafen 197 bis 200 auf die Rente für Gefangene. Die Paragrafen wurden aber zeitlos ausgesetzt. Das können wir auch nicht nachvollziehen, das ist völlig unvermittelbar. In den letzten Jahren gab es zu der Frage Bundesarbeitsgruppen und Entwürfe, aber das Problem ist, dass die Länder und der Bund sich nicht einig werden, wer die entstehenden Kosten trägt. Gerade die Menschen, die lange in Haft sind, fallen dadurch in die Altersarmut. Die meisten arbeiten die ganze Zeit, aber kriegen die Punkte nicht. Das darf so nicht bleiben. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die meisten dieser Personen für externe Dienstleister arbeiten, ist das sehr kritisch zu betrachten.

UZ: Das klingt für mich wie verordnete Altersarmut, faktisch eine zweite Strafe. Wie sehen Sie das?

Manuel Matzke: Das ist es ja auch. Es ist eine Nebenfolge der Verurteilung. Das heißt so, wenn du für eine Straftat rechtskräftig zu einer Strafe ab einem Jahr Haft verurteilt wirst. Zu den Nebenfolgen gehört zum Beispiel auch der Verlust der Wählbarkeit. Du kannst zwar wählen, aber bist nicht wählbar für die Dauer von fünf Jahren. Ähnlich verhält es sich mit dem Verlust der Rente. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Punkt ausgelassen und sich nicht damit beschäftigt. Vielleicht hält es die Frage für nicht relevant. Auch das ist für uns nicht nachvollziehbar. Es wird wohl ein separates Verfahren geben müssen, um das zu regulieren.

UZ: Welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es für euch oder andere Initiativen? Wenn etwas beschlossen ist, aber dann für Jahrzehnte ausgesetzt wird, ist das dann nicht rechtlich angreifbar?

Manuel Matzke: Im Moment geht das nicht. Wir prüfen das ständig und konsultieren dazu auch verschiedene Stellen. Aber es ist eben eine Regierungsentscheidung gewesen, den Beschluss auszusetzen – und das auch noch zeitlos.

UZ: Die GG/BO hat bereits erklärt, dass sie diese „Reform“ ablehnt. Wie würde eine sinnvolle Reform der Gefängnisarbeit aus Ihrer Sicht aussehen?

Manuel Matzke: Ja, diese Reform geht überhaupt nicht weit genug. Das Bundesverfassungsgericht hat keine Summe für einen adäquaten Lohn genannt. Vielleicht können sie das auch nicht, das kann ich noch nachvollziehen. Kritisch ist, dass nicht diskutiert wurde, was das Ziel der Knastarbeit ist. Es soll doch darum gehen, den Gefangenen auf ein straffreies Leben vorzubereiten. Dafür ist es wichtig, zu vermitteln, dass sich ehrliche Arbeit auszahlt. Mit den aktuellen Löhnen vermittelt der Staat, dass sie sich nicht auszahlt. Es findet keine Wertschätzung statt. Das System Justiz unterstützt die Wirtschaft, indem sie ihr zu jeder Zeit eine sozialabgabenfreie Reservearmee zur Verfügung stellt. In NRW haben wir Anstalten, die nach Arbeitsbetrieben unterteilt sind. Auf einer Station liegt da zum Beispiel ein komplettes Arbeitsteam von Dr. Oetker. Da geht es einfach nur um Profit. Und das ist der große Fehler.

Wir haben immer gesagt, dass die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns unbedingt umgesetzt werden muss. Und wir haben teilweise schon externe Firmen, die den Mindestlohn an die Haftanstalten zahlen. Aber es kommt trotzdem so wenig bei den Gefangenen an. Das restliche Geld bleibt in den Justizverwaltungen. Diese argumentieren immer mit einem angeblichen Mehraufwand, aber das ist für uns unglaubwürdig. Eine adäquate Vergütung der Knastarbeit bleibt zentral, damit Menschen nach der Haft für sich sorgen, ihre Schulden tilgen oder Opferentschädigungen zahlen können. Die aktuelle Vergütung suggeriert, dass die Gefangenen nichts wert sind, während andere sich mit ihrer Arbeitsleistung die Taschen voll machen.

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"„Da geht es nur um Profit“", UZ vom 2. August 2024



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