Zum Tod von Diego Maradona

D10S

In der spanischen Sprache ist der hörbare Unterschied zwischen „diez“ (zehn) und „Dios“ (Gott) so minimal wie der zwischen Diego Maradona und fußballerischer Perfektion. So gingen im Argentinien der 80er Jahre die beiden Worte ebenso flink ineinander über wie Diegos Füße und der Ball, wenn er noch als Jugendlicher in den Pausen der Heimspiele von Argentinos Juniors den Zuschauern Kunststücke vorführte. Maradona wurde mit diesem Verein als Profi dreimal Torschützenkönig; niemand machte ihm fortan die „10“ auf dem Rücken streitig, egal ob er dann später beim Stadtrivalen Boca, in Barcelona oder Neapel spielte. Irgendwann entstand dann auch die schriftliche Mischung von Zahl und Wort; und wenn in Argentinien in einem Gespräch die Zahl 10 auftaucht, wird kaum jemand nicht an den vermutlich besten Fußballer der bisherigen Geschichte denken.
Der Kult um das Kind aus einem Armenviertel von Buenos Aires, das zum Weltstar wurde, wird auch künftig nicht nachlassen – jetzt, wo Diego Armando Maradona auf den Tag genau vier Jahre nach dem Tod seines Freundes und politischen Wegweisers Fidel Castro und nur einem Monat nach der Vollendung seiner sechzig Lebensjahre starb.

Nie fehlte es an Kritikern daran, was Diego Maradona aus seiner Gesundheit und mit der einen oder anderen Eskapade aus seinem Leben machte – anstatt darüber zu reden, was er für das Leben so vieler Menschen aus den Niederungen der Gesellschaft bedeutete. Wegen der Raffinessen und Tore; aber nicht weniger, weil er nie vergaß, aus welchen Verhältnissen er kam. Ohne je einmal mit der Wimper zu zucken wiederholte er den Reportern seine Zuneigung zu Kuba, zum Bolivarianischen Venezuela und zum neuen Bolivien. Und die zu Fidel und zu Che Guevara, seinem anderen Vorbild. Bis sie nicht mehr fragten.


Auf Kuba wurde ihm das Leben gerettet; er verbrachte ein halbes Jahr dort, um von seiner Drogensucht wegzukommen. Philipp Köster, Chefredakteur der ansonsten geschätzten Fachzeitschrift „11 Freunde“, erwähnte im WDR-Radiointerview am Tag nach dem Tod die „schlimmen Bilder Maradonas auf Kuba“ – meinte aber nicht die damals der Weltöffentlichkeit deutlich werdende gesundheitliche Situation des Argentiniers, sondern dass er von Fidel angeblich für PR-Zwecke missbraucht worden sei.

Nichts falscher als das. Schon nach der gewonnenen U21-WM 1979, als Diktator Videla die Mannschaft empfing, verschenkte er auf Bitten der Schwester eines politischen Gefangenen sein Trikot mit Widmung an das Opfer genau der Politik, die Diego zeit seines Lebens verabscheute. Auf die Vorhaltung, wieso er sich denn damit Ärger einhandeln wolle, fragte der Achtzehnjährige zurück, warum er das denn nicht machen sollte. Diego Maradona konnte überhaupt nicht für PR-Zwecke missbraucht werden – von den Rechten nicht, weil er vielleicht im denkbar ungünstigsten Moment seine Meinung über deren Machenschaften in ein Mikrofon gesprochen hätte; und von den Linken schon gar nicht, weil er ihnen seine Popularität gern zur Verfügung stellte.

Denn Diego Maradona stand auf der richtigen Seite, wenn auf der zuweilen auch die neapolitanische Mafia oder das Kokain zu finden waren. Im Fußball sind politische Haltungen – natürlich vor allem fortschrittliche Haltungen – genauso Mangelware wie auch nur der Versuch, bei einer Weltmeisterschaft vor einem Milliardenpublikum den Ball mit der Hand ins Tor zu befördern. Und noch weniger findet man nach Spielschluss verbale Dribblings, an deren Ende sich ein Spieler selbst bescheidet, nur ein gefügiger Handlanger Gottes zu sein.

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"D10S", UZ vom 4. Dezember 2020



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