Sein Gedächtnisschwund könnte Scholz jetzt zum Verhängnis werden

Cum-Ex und der Kanzler

Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz dieser Tage in seinen Briefkasten schaut, wird er wieder einen dieser Briefe aus seiner alten Heimat Hamburg finden, der nichts Gutes verheißt. Auf dem Umschlag das Stadtwappen der Hansestadt, Absender ist der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA), der Inhalt: eine Zeugenladung. Das Beweisthema der dritten Vernehmung seit Beginn der Untersuchungen zu seiner Verwicklung in den „Cum-Ex“-Finanzskandal kennt Scholz schon aus den Medien. Es geht um eine Sitzung des Finanzausschusses des Bundestags vom 1. Juli 2020 und ein als geheim eingestuftes Protokoll dieser Sitzung. Das Papier soll belegen, dass Scholz es im Zeugenstand vor dem PUA bei seinen Vernehmungen 2021 und 2022 mit der Wahrheit nicht allzu genau genommen hat. Konkret hatte Scholz vor dem PUA zweimal erklärt, er könne sich zwar an Treffen mit den Bankiers der in die Finanzmanipulationen verwickelten Hamburger Warburg-Bank erinnern, aber der Inhalt der Gespräche sei ihm gänzlich entfallen. Das Protokoll seiner Aussage vor dem Berliner Finanzausschuss ein Jahr zuvor soll nun beweisen, dass dem früheren Hamburger Bürgermeister 2020 der Inhalt der Treffen mit den Bank-Emissären Christian Olearius und Max Warburg durchaus noch geläufig war. Die Amnesie des Kanzlers hätte demzufolge erst eingesetzt, als er später vor den PUA als Zeuge zitiert wurde. Falsche Angaben vor einem Untersuchungsausschuss, der Beweise gemäß den Vorschriften der Strafprozessordnung erhebt, sind für jeden der Lüge überführten Zeugen strafbar. Darin liegt für Olaf Scholz die Brisanz des bevorstehenden Zeugentermins.

Was im Geheimprotokoll zu lesen ist, drang bisher zwar nicht an die Öffentlichkeit, aber der Obmann der CDU-Abgeordneten im PUA, Richard Seelmaecker, kennt den Inhalt. Ihm zufolge zeige das Papier „eindeutig, dass Olaf Scholz gelogen hat“. Norbert Hackbusch, der Obmann der Fraktion der Partei „Die Linke“ im Ausschuss, wundert sich über die spezielle Form der spät einsetzenden Kanzleramnesie, dessen Einlassungen nun „noch mal unglaubwürdiger“ seien. Dass die Scholzschen Erinnerungslücken nicht dem Zufall geschuldet sind, zeigt schon das Gerangel um die Offenlegung des bislang unter Verschluss gehaltenen 19-seitigen Geheimprotokolls. Noch vor der letzten Bundestagswahl bemühte sich der Finanzausschuss, das vollständige Protokoll zumindest den Bundestagsabgeordneten zugänglich zu machen. Der damalige Finanzminister und seine ministeriale Entourage wehrten sich, bis schließlich im September 2021 dann doch die „Freigabe“ erfolgte. Allerdings nur unter Schwärzung nahezu aller Passagen zu den Beziehungen zwischen Scholz und den Warburg-Bankiers und den Aussagen des heutigen Bundeskanzlers zum Verhältnis und der Spendenpraxis zwischen Warburg-Bank und der hamburgischen SPD.

Indessen kommen ständig weitere Fakten ans Licht, die dem Zeugen Olaf Scholz bei der kommenden Befragung vor dem PUA Ungemach bereiten werden. Der frühere Wirtschaftsanwalt Hanno Berger, Mitte Dezember 2022 wegen seiner Beteiligung am „Cum-Ex“-Komplex zu acht Jahren Haft verurteilt, ließ das Gericht wissen: „Die Finanzverwaltung wusste seit Jahr und Tag, dass da eine systemische Lücke ist“, die die Finanzmanipulationen erst möglich gemacht hätten. Im Verfahren gegen den Warburg-Banker Olearius, das in einigen Monaten vor dem Landgericht Bonn stattfinden wird, gilt als wahrscheinlich, dass der Angeklagte über seine Beziehungen zu Scholz aus dem Nähkästchen plaudern wird. In dem Prozess wird es auch darum gehen, ob Scholz – wie aus einem Vermerk der Generalstaatsanwaltschaft Köln hervorgeht –den Banker in dessen Villa in Blankenese privat besucht hat und welche Bedeutung die Einträge auf einer von Olearius handschriftlich angefertigten Liste haben. Auf mehreren Blättern unter der Überschrift „Hexenjagd“ vermerkte Olearius dort Stichworte zu einzelnen Beteiligten des „Cum-Ex“-Skandals: Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG wird mit dem Prädikat „Kein Interesse an der Wahrheit“ bedacht, die Namen zweier SPD-Politiker, nämlich Johannes Kahrs und des früheren Zweiten Bürgermeisters in Hamburg, Alfons Pawelczyk, sind mit dem Wort „Dank“ und einem Häkchen („erledigt“) versehen. Auch der darunter gelistete Olaf Scholz hatte sich laut Olearius‘ Notizen „Dank“ verdient.

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"Cum-Ex und der Kanzler", UZ vom 27. Januar 2023



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