Die Spaltung zwischen Armen und Prekären auf der einen und „Normalverdienern“ auf der anderen Seite ist gewollt. Sie muss überwunden werden

Corona, Krise und Stamokap

Helmut Hammerbauer

In der jüngsten Zeit wurde in unseren real existierenden Verhältnissen ausprobiert, was die Menschen hierzulande alles mit sich machen lassen. Man treibt sie in einen falschen Widerspruch, indem man sie spaltet in die, die das Virus ernst nehmen und denen scheinbar nichts anderes übrig bleibt, als die Maßnahmen der Regierung zu unterstützen, und die, die man „Querdenkern“ in die Arme treibt. Deren Irrationalismus, der unserem System eingeschrieben ist, findet neuen Zulauf. Beide Reaktionen nützen der Absicherung der monopolistischen Konzernherrschaft.

Weitergehende Einsichten und politische Gegenwehr der Arbeiterklasse und der sozialen Bewegungen werden verhindert, weil die „Corona-Krise“ überwiegend als Naturkatastrophe wahrgenommen wird. Es wird nicht erkannt, dass die Pandemie kein „exogener Schock“ ist, sondern Teil des Wirkungszusammenhangs dieses monopolistischen Systems. In dem werden die Beziehungen von Natur, Ware Arbeitskraft, Kapitalverwertung und Gesellschaft zunehmend menschheitszerstörerisch.

Die richtige Argumentation über den Zusammenhang des scheinbaren Chaos in der Pandemiepolitik der Herrschenden mit dem Grundwiderspruch des Kapitalismus wird jeden Tag aufs Neue bestätigt. Die Systemgegner sind aber noch zu schwach, um damit breitere Massen zu erreichen. Dem offiziellen und medialen Verwirrspiel setzen sie kaum Entscheidendes entgegen.

Der Staat der Monopole

Es war und ist gesamtökonomisch irrational und sozialreaktionär, wenn die Pandemie benutzt wird, um großzügige Kreditprogramme für die Monopolkapitale bereitzustellen. Sie haben in den letzten zehn Jahren riesige Gewinne gemacht und verfügen zum Teil über hohe Rücklagen in Milliardenhöhe, allein bei den Autokonzernen liegen mehr als 180 Milliarden Euro. Diese profitträchtigen Unternehmen müssten in jeder Krise zunächst einmal ihr stattliches Eigenkapital aufzehren. Das passiert nicht. Dazu gibt es ja den nützlichen Stamokap. Sie müssten gezwungen werden, ihre Verbindungen in sogenannte Steueroasen offenzulegen und gegebenenfalls von jeder Hilfe ausgeschlossen werden. Die Lufthansa etwa hat laut der Bürgerbewegung „Finanzwende“ 92 Tochtergesellschaften in Schattenfinanzzentren wie Panama und den Cayman-Inseln.

Der Staat des staatsmonopolistischen Kapitalismus springt immer wieder ein, um große Unternehmen zu retten und Profitverluste zu verhindern. Die verbreitete widerstandslose Duldsamkeit und Gutgläubigkeit gegenüber solchen „Hilfen“ rächt sich. Es wäre zu fordern: Staatsgelder gibt es nur im Austausch gegen entsprechende Eigentumsrechte bis hin zur Verstaatlichung bei demokratischer Kontrolle. Die derzeitige Schwäche entschuldigt „sozialpartnerschaftliches“ Mitlaufen nicht. Dieses fördert unweigerlich den gefährlichen Weg in die Ungleichheit und behindert eine Wende zu sozial-ökologischem und demokratischem Fortschritt.

Die Staatshilfen im Rahmen des „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ (WSF) der Bundesregierung in Höhe von 600 Milliarden Euro erfolgten eben nicht nach Maßgabe direkter demokratischer und sozial-ökologischer Kontrolle. Das bestehende Kräfteverhältnis der Klassen erzeugt nicht die erforderliche Konfrontation, um die staatsmonopolistische Kapitalmacht aufzubrechen. Der Fortschritt im Sozialen und Umweltschutz kommt nicht voran. Im Gegenteil, der weitere soziale und ökologische Niedergang ist nicht durch ein paar Reförmchen oder den Technologie-Hype der Kapitalhörigen im Staate zu bremsen. Er betrifft nur unterschiedlich schnell die verschiedenen Schichten und Klassen.

Kapitale „Helden“

Galeria Karstadt Kaufhof (GKK) erhielt im Januar 2021 ein Darlehen von bis zu 460 Millionen Euro. Die Kapitalhilfe für die Lufthansa AG und die TUI AG betrug dagegen zusammen rund 7 Milliarden Euro und rettet damit die Aktionäre. Die Lufthansa will bis Jahresende den KfW-Kredit in Höhe von 2,5 Milliarden Euro getilgt haben. Die frisch aus dem Börsenindex Dax geflogene Lufthansa AG bedankte sich zunächst damit, dass sie den Personalbestand bis zum Frühjahr 2021 um rund 30.000 Stellen schrumpfte. Im Mai kündigte man auf der Hauptversammlung an, weitere 10.000 Stellen bis Jahresende abzubauen. Andere werden auf Kosten des Staates mit Kurzarbeit durchgezogen.

Das klimafeindliche Lufthansa-Kapital konnte die Pandemie mit monopolistischer Selbstherrlichkeit erpresserisch gegenüber den Beschäftigten ausnutzen: Milliardenschwere Rettung durch den Staat ohne Arbeitsplatz- und Einkommenssicherung. Die Regierung erweist sich immer wieder als treue Erfüllungsgehilfin der jeweiligen Monopolinteressen.

BMW und fast alle anderen Autobauer nehmen bis heute Staatshilfen in Anspruch. Anfangs um ihre Mitarbeiter mit Kurzarbeitergeld bezahlen zu können, gegenwärtig um Lieferengpässe bei Halbleiterbauteilen profitschonend zu umgehen. Die „BMW Group“ zahlte ihren Aktionären dennoch über 1,6 Milliarden Euro Dividende für 2020 aus. Die Hauptaktionäre Susanne Klatten und Stefan Quandt verbuchten mehr als 750 Millionen Euro. Die Deka-Bank prognostizierte, dass die im Dax notierten Konzerne 2021 voraussichtlich mindestens 32 Milliarden Euro an Aktionäre ausschütten. Zwölf dieser Konzerne bezogen Kurzarbeitergeld. Elf von diesen zwölf zahlten Dividenden-Ausschüttungen im Umfang von 13,7 Milliarden Euro.

Gefeuerte Verlierer

Der Rückblick auf die Krisenentwicklung im Jahr 2020 zeigt: Den Planungen der 30 Dax-Konzerne zufolge sollten allein bei ihnen im Laufe des Jahres mehr als 40.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Für 2021 wird mit einer mindestens doppelt so hohen Zahl gerechnet. Besonders betroffen waren zehntausende Leiharbeiter, die von den Konzernen binnen kurzer Zeit „abgemeldet“ wurden. Siemens Energy zum Beispiel steigerte seinen Gewinn und will weitere Tausende Stellen vernichten. Deutsche Bank und Commerzbank kündigten bereits 2019 die Streichung jedes fünften Arbeitsplatzes an. Galeria Karstadt-Kaufhof sprach von der Schließung von mindestens 62 Kaufhäusern, mehr als ein Drittel des Bestandes. Beim Stahl- und Metallwarenhändler Klöckner sollten 19 Standorte dichtmachen. Unübertroffen ist die Zielmarke der Volkswagen AG für den Abbau von 27.000 Stellen, bei BMW lag sie bei rund 6.000.

Während die Beschäftigten unter den Verlusten der Kurzarbeit leiden, die sie noch selber über die abgezogenen Lohnbestandteile bezahlen, steigen die Profite bei Großkonzernen wie Aldi, Lidl, DHL oder Amazon. Dieter Schwarz, der Großkapitalist von Lidl, der als reichster Deutscher gilt, soll laut dem US-Magazin Forbes um 14,2 Milliarden US-Dollar reicher geworden sein.

Über dieses Bereichern in der Krise wird ebenso wenig öffentlich diskutiert wie über das Blockieren der Freigabe der Impfstoff-Patente durch das höchst profitable Pharmakapital, das staatliche Forschungsmittel ausnutzt.

Kampferprobte Arbeiterinnen und Arbeiter können dem etwas entgegensetzen: Bei Amazon in Italien wurde das erste Mal die ganze Logistikkette bestreikt. Einen Tag lang beteiligte sich nicht nur das direkt angestellte Amazon-Personal, auch die Lieferboten waren dabei. Seit neun Jahren weigert sich Amazon hierzulande, den höheren Einzelhandels-Tariflohn zu zahlen. Großzügig zeigte sich der Handelsriese im Wahljahr 2021 bereit, allen Beschäftigten ab Juli mindestens zwölf Euro brutto pro Stunde zu zahlen. Im vergangenen Jahr hat der Konzern, der seine Beschäftigten in der Pandemie großen Gefahren ausgesetzt hat, nach eigenen Angaben einen Jahresgewinn von 21,3 Milliarden US-Dollar erzielt. 2019 waren es 17,4 Milliarden und 2018 noch 13,2 Milliarden.

Die Saat der Spaltung

Jeder sechste Bundesdeutsche lebt unterhalb der Armutsgrenze, das sind fast 15 Millionen Menschen. Dazu kommen Millionen, die in prekäre und in Niedriglohnjobs abgeschoben werden.

Laut einem Bericht der Vereinten Nationen sorgt die Pandemie dafür, dass erstmals seit Jahrzehnten sämtliche Formen der Armut wieder zunehmen. Ist hierzulande offiziell von Armut die Rede, so ist die „relative Einkommensarmut“ gemeint. Bei einem Single lag die Schwelle zuletzt bei 1.074 Euro netto im Monat. Mit kleinen Zugeständnisse wie der leichten Anhebung des Mindestlohns oder Abwehrkämpfen bei den regulär Beschäftigten wird die weitere Spaltung durch die Verarmung im prekären und erwerbslosen Teil der Klasse nicht aufgehalten.

Wer bei der zurückliegenden Bundestagswahl erneut eine Stamokap-Partei gewählt hat, bekommt als Dank ein „Weiter-so“. Mancher stamokapgläubige Linke lässt die alten systemimmanenten Scheinlösungen wieder aufleben. Die rettenden Zentralbanken oder der Reformkampf werden in einen „New Deal“ umgedeutet. So hofft man, die Verunsicherten und die Geschädigten bei der Stange zu halten.

All diese staatsmonopolistischen Krisenbewältigungsversuche befördern nicht den gemeinsamen Widerstand und ändern rein gar nichts an der gestiegenen Armut und Ungleichheit. Die Tatsachen sprechen im (inter-)nationalen Klassenkampf für das prinzipielle Aufrechthalten der systemspezifischen Zwangsinstrumente. Beim härtesten Kampf um die Profitrate, in dem es im Imperialismus keine Pause mehr gibt, lautet das oberste Gebot: Im Zweifelsfall gelten für das konkurrierende Kapital niedrigere Arbeitskosten und Sozialetats, also niedrige Kapitalsteuern. Die Anlässe für Unsicherheit und Zweifel nehmen auf der ganzen Linie für den Gesamtkapitalisten Staat und seine Sorge um die Ausbeutung zu. Armut, Lohnsenkung und prekärer Arbeit, die mittlerweile nachdrücklich für permanente Systemkrisenhaftigkeit stehen, gelingt es nicht mehr, mit bloßem Reformismus und „Wachstum“ beizukommen. Die alten profitfreundlichen Instrumente sind gegen die fortschreitende Gesamtlabilität und das transnationalisierende Monopolkapital inklusive des ökologischen Absturzes wirkungslos.

Wer zudem noch viel Größeres mit Deutschland in der weiten Welt vorhat, der muss auch in einer Pandemie die niedrigste Armenhilfe beibehalten, der ist stolzer Europameister in Niedriglöhnen und setzt das Kurzarbeiten als Armutsrutsche ein.
Empfehlenswert ist ein Blick in den Armutsbericht 2020 des Paritätischen Gesamtverbands und in den WSI-Verteilungsbericht 2020. Die Verteilungsfrage alleine wird für eine dauerhafte Lösung des Problems allerdings nicht ausreichen. Für das Kapital sind Löhne oder ihre Ersatzleistungen nur lästig und die für die Mehrwerterzeugung Unbrauchbaren immer von Übel. Die „Corona-Krise“ verkettet sich mit dem allgemeinen kapitalistischen Krisenprozess und führt in der Folge zur Verstärkung und weiteren Ausdifferenzierung von Armut und Ungleichheit. Das „130-Milliarden-Euro-Konjunkturprogramm“, das neben dem erwähnten „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ 2020 noch zum Einsatz kam, hatte lediglich einen dämpfenden Effekt auf die Gesamtzahlen der gestiegenen Armut. Die bereits eingetretenen Verluste bei den Unteren werden wohl nicht mehr ausgeglichen werden.

Keine Rettungsschirme

Es ist wichtig, die Sozialstruktur derjenigen, die von Armut stärker bedroht sind, genau zu betrachten. Im Armutsbericht 2020 wird sie in ihrem klassen- und schichtenübergreifenden Charakter gut verdeutlicht: „Armut ist zum Beispiel nicht nur ein Problem derjenigen mit geringen Bildungsabschlüssen. 62 Prozent der über 25-jährigen Armen verfügen über ein mittleres oder sogar hohes Qualifikationsniveau. Armut in Deutschland ist auch nicht hauptsächlich ein Problem von Migrantinnen und Migranten: Die Mehrzahl der Armen (54 Prozent) hat keinen Migrationshintergrund, 73 Prozent der Armen besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Und Armut ist auch nicht nur ein Problem für Arbeitslose – denn nur knapp 8 Prozent sind überhaupt erwerbslos. Dagegen ist ein Drittel aller erwachsenen Armen erwerbstätig, während 30 Prozent in Rente oder Pension sind und noch einmal 30 Prozent nicht erwerbstätig sind und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen“ (Paritätischer Armutsbericht 2020).

Finanzielle Einbußen in Folge der Pandemie kommen bei Migrantinnen und Migranten, Niedriglöhnern und Prekären, Selbstständigen und Freiberuflern besonders zum Tragen. Noch nachteiliger wirkten sich in dieser Gruppe Freistellungen, Erwerbslosigkeit und Insolvenzen aus. Staatsmonopolistische Maßnahmen sollten diese Entwicklung nicht grundlegend verhindern.
Nach diesem unvollständigen Streiflicht auf unsere wahren „Helden des pandemischen Stamokaps“ gilt es vor allem festzuhalten: Die Spaltung zwischen den Arbeitslosen, Prekären und Ärmeren einerseits und den besser entlohnten Beschäftigten andererseits muss ernsthaft ins Blickfeld geraten und überwunden werden. Nur so können die noch größeren systembedingten lokalen und globalen Probleme außerhalb von Notstandsmaßnahmen gelöst werden. Die Schlussbemerkung ist nicht vermessen und verdient Verbreitung: Man kann es drehen und wenden wie man will, ohne erstarkende DKP wird das alles nichts.

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"Corona, Krise und Stamokap", UZ vom 19. November 2021



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