Ehrlich währt am längsten? Von wegen. Südafrika muss gerade erneut feststellen, dass der Ehrliche immer der Dumme ist.
Seit April 2020 betreibt das Land eine systematische und koordinierte epidemiologische Überwachung. Die ist aufwändig und teuer. Außer Südafrika leistet sich nur Britannien ein solches Programm. Trotz klammer Staatskassen finanziert es die südafrikanische Regierung überwiegend selbst.
Das Programm ist erfolgreich: Im Dezember 2020 identifizierten südafrikanische Wissenschaftler mittels Genomsequenzierung die Corona-Variante B.1.351, später Beta genannt. Am 24. November diesen Jahres informierte das südafrikanische Gesundheitsministerium auf einer live übertragenen Pressekonferenz über seine neueste Entdeckung, Variante B.1.1.529. Omikron. Sie beunruhigt Menschen auf der ganzen Welt. Ersten Berichten zufolge soll Omikron mindestens so ansteckend sein wie Delta, der Krankheitsverlauf aber milder. Für gesicherte Erkenntnisse sei es allerdings noch zu früh, warnt unter anderem das South African Medical Research Council.
Während Wissenschaftler dazu noch forschen, ist längst klar: Südafrika wird für sein wissenschaftliches Engagement und die transparente Informationspolitik bestraft. Keine 36 Stunden nach der Pressekonferenz erließ Britannien ein Einreiseverbot für Reisende aus Südafrika. Die Regierung von Premierminister Boris Johnson hielt es nicht einmal für nötig, ihre Amtskollegen am Kap zu informieren. Kurz darauf folgten Länder der Europäischen Union, die USA, Kanada, Australien, Japan, Türkei und andere. Flugverbindungen wurden eingestellt. Von den Maßnahmen sind neben Südafrika auch Botswana, Lesotho, Eswatini, Simbabwe und Namibia betroffen.
Dabei werde „immer klarer (…), dass Südafrika wohl nicht das Herkunftsland der Mutation ist“, berichtete das Online-Wissenschaftsportal „Spektrum.de“ am Freitag. Aus epidemiologischer Sicht spricht ohnehin wenig für Reisesperren. „Reisebeschränkungen halten die Verbreitung des Corona-Viruses kaum auf, sofern Länder ihre Grenzen nicht vollständig für Reisende aller Länder schließen“, argumentieren namhafte südafrikanische Wissenschaftler in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“. Sie kritisieren, dass Britannien erst 11,5 Prozent der 100 Millionen Impfdosen geliefert habe, die das Land der Covax-Initiative versprochen hatte.
Die Weltgesundheitsorganisation erinnerte in einer Erklärung vom 30. November daran, dass Einreisesperren den Lebensunterhalt von Menschen gefährden und der Pandemie-Bekämpfung schaden könnten, weil sie Staaten entmutigten, neue Erkenntnisse zu veröffentlichen.
Die Generaldirektorin für Afrika der Weltgesundheitsorganisation, Dr. Matshidiso Moeti, lobte die Geschwindigkeit und Transparenz der südafrikanischen Regierung als beispielhaft. Reisebeschränkungen seien ein Angriff auf die globale Solidarität. Die Pandemie könne nur gemeinsam bekämpft werden.
Ähnlich äußerte sich das Zentralkomitee der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) am Montag. Die SACP dankte den südafrikanischen Wissenschaftlern für ihre Arbeit. Grenzschließungen weist die Partei scharf zurück. In dieser Situation seien Impfungen der beste Weg, aus der Pandemie herauszufinden.
Erst 35,6 Prozent der erwachsenen Südafrikaner sind vollständig gegen Corona geimpft. 41 Prozent haben mindestens eine Impfdosis erhalten. Impfungen gegen Corona sind kostenlos. Die Regierung empfiehlt sie ab 12 Jahren und verweist auf die derzeit gute Verfügbarkeit von Impfstoffen.
Die Reisesperren treffen Südafrika schwer. Die Tourismusbranche des Landes erwirtschaftete vor Corona etwa 8 Prozent des Bruttosozialprodukts. Eineinhalb Millionen Jobs hängen daran. Die Weihnachtssaison 2020/2021 fiel nach der Entdeckung der Beta-Mutation weitgehend aus. Die Hoffnung auf eine bessere Saison 2021/2022 hat sich nach den westlichen Reisesperren zerschlagen.
Die südafrikanische Regierung denkt jetzt über eine Impfpflicht nach. Präsident Cyril Ramaphosa berief ein „Task Team“ ein, das einen entsprechenden Kabinettsbeschluss vorbereiten soll. Vertreter der Tourismusindustrie sprechen sich vehement für eine Impfpflicht aus.
Schon nach der Veröffentlichung der Erkenntnisse über die Beta-Mutation war Südafrika mit Reisesperren bestraft worden. Britannien hatte die erst im Oktober diesen Jahres gelockert. Da hatte sich die Delta-Mutation längst gegen Beta durchgesetzt.