Selbst junge Linke wissen oft mit dem Begriff „Berufsverbot “ oder der Vokabel „Radikalenerlass“ wenig oder gar nichts mehr anzufangen. Die 70er/80er Jahre mit den über dreieinhalb Millionen Überprüfungen und Anhörungen, der – laut wikipedia viel zu niedrig eingeschätzten – Zahl von 1 250 Nichteinstellungen und 260 Entlassungen von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und den vielen – auch internationalen – Protesten dagegen sind Teil einer Geschichte des Widerstands nach1945, den viele Menschen nicht mehr kennen.
Deshalb ist es umso wichtiger, dass es seit einigen Jahren (wieder) die rührige Initiativgruppe „40 Jahre Radikalenerlass“ gibt, die auf die anhaltenden Benachteiligung und Diskriminierung von Altfällen, aber auch über neue Fälle informiert. Insbesondere die niedersächsische Initiative konnte 2016 einen Erfolg erzielen. Der Landtag debattierte über die antidemokratische frühere Praxis der Berufsverbote. Eine Kommission zur Aufarbeitung und vielleicht sogar zur Rehabilitierung wurde eingerichtet. Es war auch die niedersächsische Initiative, die eine vielbeachtete Wanderausstellung erstellte, mit deren Hilfe bundesweit über die Berufsverbote-Praxis informiert wird. ver.di und vor allem GEW engagieren sich besonders stark. Die GEW veranstaltet einen Kongress am 28. Oktober in Kassel.
In Bremen-Vegesack gibt es eine aufsehenerregende neue Variante der Berufsverbote. Dem Kommunisten und Altenpfleger Gerd-Rolf Rosenberger, der nach seiner Pensionierung auf 450-Euro-Basis bis Dezember 2018 von der diakonischen Stiftung Friedehorst für die Einzelbetreuung eines autistischen Jungen eingestellt worden war, wurde vor wenigen Wochen gekündigt. Er konnte und wollte keine Mitgliedsbescheinigung einer Kirchengemeinde vorlegen. Wie denn auch? Er hatte als 21-jähriger Erwachsener vom Grundrecht auf Religionsfreiheit Gebrauch gemacht und war aus der Kirche ausgetreten. Er hat über 40 Jahre brav seine Steuern und Sozialabgaben bezahlt und sich in all diesen Jahrzehnten – jetzt auch als Pensionär – im Kollegen- und Betroffenenkreis einen Ruf als hervorragender Betreuer und Pädagoge erworben.
Pikant ist die Vorgeschichte: von 1977 bis Mai 1979 hatte Rosenberger eine Ausbildung in Friedehorst als staatlich examinierter Altenpfleger mit der Note „Gut“ absolviert. Damals spielte seine Nicht-Kirchenzugehörigkeit keine Rolle. Schließlich profitierte „Friedehorst“ ja damals doppelt davon. Das Arbeitsamt Bremen finanzierte die Ausbildung.
Rosenberger verbrachte sein aktives Berufsleben bei anderen „weltlichen“ Trägern und hat sich nicht denken können, dass er auf seine alten Tage Opfer einer besonderen Variante „christlicher“ Sozialpolitik werden könnte. Der Eklat mit seiner Entlassung schlägt hohe Wellen, nicht nur in den lokalen, sondern auch in den überregionalen Medien. Leserbriefe zuhauf solidarisieren sich mit dem Kommunisten. Eine gestandene SPD-Ortsbürgermeisterin erklärte wegen des Falls Rosenberger sogar ihren Kirchenaustritt. Wo gibt es sonst eine solche Art von Solidarität und praktizierter Aktionseinheit von Kommunisten und Sozialdemokraten? Da muss man schon sehr weit in die Geschichte des gemeinsamen Widerstands gegen alte und neue Nazis vor und kurz nach 1945 zurückgehen.
Dass in Bremen-Vegesack jetzt Christen, Kommunisten und Sozialdemokraten zusammen mit Rosenberger und mit dem Stellvertretenden Vorsitzenden der DKP anlässlich des 40. Todestags des marxistischen Philosophen Ernst Bloch auch noch über gemeinsame sozialistische „konkrete Utopien“ und übereinstimmende ethische Grundüberzeugungen von Christen und Marxisten-Leninisten diskutierten, ohne – bei erkennbaren Unterschieden in der Frage von Reform und Revolution – aneinander zu geraten, signalisiert, dass Geschichte auch lebendige Lehren des Widerstands gegen Willkür und Demokratieabbau parat hält.