Das neue Heft der Marxistischen Blätter hat das Schwerpunktthema „Wege des Sozialismus“. Eigentlich sind die verschiedenen „Wege“ auch verschiedene „Themen“. Der chinesische Weg zum Sozialismus ist zwar Gegenstand der meisten Beiträge des MB-Schwerpunkts. Ein China-Heft sollte es dann aber doch nicht werden, wie es im Editorial heißt.
Damit wir wissen, worüber wir reden, führt Beate Landefeld in ihrem Beitrag gleich zu Anfang die allgemeinen Merkmale des Sozialismus auf, also „gesellschaftliches Eigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln“, „politische Macht der Arbeiterklasse“ und „gesamtgesellschaftliche Planung“. Anschließend geht sie auf die „Neue Ökonomische Politik“ (NÖP) der Sowjetunion ein, die ein „Programm zur Schaffung der materiell-technischen Basis des Sozialismus in einem rückständigen Land“ gewesen sei. Es lägen zwar Welten zwischen der NÖP und der „sozialistischen Marktwirtschaft“ im heutigen China, Ähnlichkeiten gebe es jedoch im „Stellen und Lösen gewisser Probleme“. Dies gelte vor allem für die Frage, „wie einzelne am Sozialismus orientierte Länder im Umfeld einer kapitalistisch dominierten Weltwirtschaft sich Zugang zu den weltweit fortgeschrittensten Errungenschaften der Wissenschaft und Produktionstechnik verschaffen können“. Auch Teilrückzüge in den Eigentumsverhältnissen könnten nützlich sein, so Landefeld, um die Vergesellschaftung der Produktion schneller voranzubringen. In China habe die Umwandlung von Staatsbetrieben in Aktiengesellschaften, an denen der Staat die Mehrheit halte, ermöglicht, diese zu globalen Branchenführern zu machen.
Ist die VR China deshalb kapitalistisch? Nein, sagt Landefeld. Denn die Politik sei heute „noch weniger als früher der bloße, unmittelbare Ausfluss der Ökonomie“. Das gelte im staatsmonopolistischen Kapitalismus und erst recht im Sozialismus. Der „Charakter der Staatsmacht, die Staatsziele, das Programm der führenden Partei“ seien in die Beurteilung einzubeziehen. Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) verhindere, dass die Bourgeoisie sich zu einer zusammenhängenden und als solche auftretenden Klasse formiere.
Mit dem Sozialismus und dem Ende der Warenproduktion, wie sie von Marx und Engels vor allem im „Anti-Dühring“ dargelegt und später von Kautsky, Bebel, Hilferding und vor allem Lenin rezipiert wurden, befasst sich der italienische Ökonom Vladimiro Giacché. Lenin sei noch vor der Revolution der Überzeugung gewesen, dass der Sozialismus unter anderem die „Abschaffung des Warenaustauschs“ beinhalte. Auch ein Jahr nach der Oktoberrevolution habe Lenin noch von der Ersetzung des Handels durch eine „planmäßige, im gesamtstaatlichen Maßstab organisierte Verteilung der Produkte“ gesprochen. Dieser Versuch, im „Sturmangriff“ zu sozialistischen Grundlagen überzugehen und neue Formen der Verteilung zu finden, habe jedoch eine Niederlage erlitten, gestand Lenin 1921 ein. Mit der NÖP ziehe man sich „unvermeidlich in einer Reihe von wirtschaftlichen Fragen auf die Positionen des Staatskapitalismus“ zurück und gehe vom „Sturmangriff“ zur „Belagerung“ über.
In knappen Ansätzen geht Giacché darüber hinaus auf den Fortbestand der Warenproduktion in den sozialistischen Ländern auch nach Stalins Tod ein.
In einem weiteren grundlegenden Beitrag befasst sich der Sprachwissenschaftler Hannes A. Fellner mit der chinesischen Denktradition. Fellner beginnt mit der Einführung des Begriffs „Dao“ („Weg“), der ihm ein Beleg dafür ist, dass dialektisches Denken in China weit zurückreicht. Die Oktoberrevolution sei eine „Wegvorgabe“, ein Orientierungspunkt für die chinesische Revolution und für Mao Zedong gewesen. Mao habe mit der „neuen Demokratie“ allerdings nicht einfach den Weg der Sowjetunion nachgezeichnet, sondern darunter eine Republik unter der „gemeinsamen Diktatur mehrerer revolutionärer Klassen“ als Weg zur Revolution in kolonialen oder halbkolonialen Ländern verstanden. Daran habe sich die KPCh in der Anfangszeit der Volksrepublik ab 1949 und nach 1978 mit der Reform- und Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping orientiert.
„Chinas Weg“, so ist auch der Beitrag von Wolfram Adolphi betitelt, der sich den Konflikten und Vorwürfen widmet, die im Westen gegen die VR China erhoben werden. Der „westliche Mainstream“ erwecke zum Beispiel im Zusammenhang mit Hongkong den Eindruck, die ehemalige britische „Kronkolonie“ Hongkong sei ein Hort von Freiheit, Wohlstand und Menschlichkeit gewesen, bevor sie 1997 wieder mit China vereint wurde. Chinas Entwicklung werde zudem als Bedrohung aufgefasst, was allerdings nicht die Sicht der Linken sein sollte, so Adolphi: „Es gibt keinen Grund anzunehmen, es gebe in Bezug auf China – oder auch auf Russland – so etwas wie einen gemeinsamen ‚nationalen deutschen‘ oder auch ‚europäischen‘ Standpunkt.“ Der Umgang mit China sei vielmehr eine Klassenfrage, die DDR sei in den 1950er Jahren mit der VR China verbündet gewesen, die BRD habe an der Seite Taiwans gegen die Volksrepublik gestanden.
Weitere Beiträge befassen sich mit dem Weg zum Sozialismus in Vietnam (Dr. Nhi Le), der Entwicklung und den Perspektiven des sozialistischen Kuba (José Luis Rodriguez), dem „chilenischen Experiment“ (Winfried Roth) oder dem sozialistischen Aufbau in der DDR (Patrik Köbele).
Zu China schließen sich weitere Beiträge an, die „dokumentiert“ werden, darunter die sehr nützlichen von Domenico Losurdo und Helmut Peters aus früheren Publikationen. Weitere Beiträge zu China sind mit dem Hinweis „Diskussion“ versehen, obwohl es eher eigenständige Beiträge sind – wie der zum Unternehmen Lenovo (Olaf Matzerath) als Beispiel für die Privatisierung sozialistischer Errungenschaften durch chinesische Konzerne.
Jeder der in den aktuellen MB beschriebenen „Wege“ hätte auch einen eigenen Schwerpunkt gerechtfertigt, das zeigen die sehr informativen Artikel. Doch als Beiträge zu einzelnen Ländern, die den Weg zum Sozialismus eingeschlagen haben beziehungsweise hatten, stehen sie – China ausgenommen – weitgehend vereinzelt und unvermittelt. So ist es bei aller Vielfalt und Verschiedenheit doch eher ein „China-Heft“ geworden.