WAPE, das 13. Forum der World Association of Political Economy, tagte in Berlin

China, die Weltwirtschaft und das „Kapital im 21. Jahrhundert“

Von Helmut Dunkhase

Unter dem Motto „Karl Marx und Rosa Luxemburg: Geistiges Erbe und heutige Geltung“ fand vom 16. – 18. Juli 2018 in Berlin das 13. Forum der World Association of Political Economy statt. Dieses weltweite Netzwerk wurde 2006 in Hongkong von – in weiterem Sinne zu verstehenden – marxistischen Ökonomen und ähnlichen Gruppen in der ganzen Welt gegründet. Es hat sich die Aufgabe gestellt, die moderne politische Ökonomie zu nutzen, „um die Weltwirtschaft zu analysieren und zu studieren, die Gesetzmäßigkeiten ihrer Entwicklung und ihre Mechanismen aufzuzeigen und geeignete politische Vorschläge zur Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Verbesserungen auf nationaler und globaler Ebene zum Wohl aller Menschen auf der Welt anzubieten“. (Art. 3 der Verfassung) Initiiert wurde die WAPE von Enfu Cheng, Direktor der Akademie für Marxismus in der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften. Der Zeitpunkt war kein Zufall. Die Gründung dieses Netzwerks ist im Zusammenhang mit den heftigen Auseinandersetzungen nach der durch Deng Xiaoping durchgesetzten Kursänderung zu sehen. 2005 beschloss die KP Maßnahmen zur Stärkung der marxistischen Theorie als Leitlinie der Politik. Dazu gehörte die Errichtung des Instituts für Marxistische Studien an der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, in der eben die Akademie für Marxismus entstand.

Die jährlich stattfindende Tagung fand zum zweiten Mal in Europa statt. Vor Ort wurde sie organisiert vom Institute for International Political Economy (IPE) an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (Berlin School of Economics and Law), unterstützt von Genossen der KAZ (Kommunistische Arbeiterzeitung). Mitveranstalter waren die Marx-Engels-Stiftung und die Rosa Luxemburg-Stiftung. Als Vertreter des Parteivorstands der DKP hielt ihr Stellvertretender Vorsitzender Hans-Peter Brenner ein Grußwort. In Anbetracht der deutlich über 100 Vorträge, teilweise in drei parallel laufenden Panels, kann nur der subjektive Eindruck eines kleinen Ausschnitts wiedergegeben werden.

Großen Raum nahm die Entwicklung Chinas und die Politik der KP ein. Dabei ging es um ökonomische Fragen wie die Erklärung des sinkenden Wachstums oder die Zurückweisung des Neoliberalismus im heutigen China über Rechtfertigungen eines Sozialismus chinesischer Prägung bis hin zum Stand des gegenwärtigen marxistischen Feminismus in China. Und auch dort gibt es offenbar Arbeiten im Elfenbeinturm, wenn z. B. naive Modellrechnungen vorgetragen werden (wonach China 2026 die USA im BIP überholen würde), ohne die ökologischen Begleiterscheinungen auch nur in Augenschein zu nehmen. Wie so oft, sind die anschließenden Diskussionen mindestens genau so interessant wie die Vorträge selbst. So wird um die Frage, in welchem Ausmaß der Anteil der staatlichen Unternehmen zurückgefahren werden sollte, auch unter den chinesischen Wissenschaftlern gestritten. Hier stehen sich das „Zentrum für Effizienz“ und das Zentrum für marxistische Studien als Kontrahenten gegenüber. Doch die grundsätzliche Linie der sozialistischen Marktwirtschaft stellt offenbar niemand in Frage. Befürchtungen, wonach die immer größere Ausweitung der Marktbeziehungen notwendigerweise im Kapitalismus enden werde, begegneten die chinesischen Wissenschaftler mit einem milden Lächeln. Erst recht wurde der Vorwurf eines chinesischen Imperialismus, der in einem anderen Panel auftauchte, zurückgewiesen.

Mehrere Beiträge befassten sich mit der Analyse der kapitalistischen Produktionsweise in ihren modernsten Ausprägungen. Henri Houben vom Institut für marxistische Studien (Belgien) und Mitglied der Partei der Arbeit legte in der Frage, was das neue Finanzkapital ausmacht, dar, wie das Netzwerk von Abhängigkeiten funktioniert, mit dem die Investmentgesellschaften wie Blackrock, Vanguard usw. den Transfer des Mehrwerts (der natürlich weiterhin nur in der „realen Produktion“ generiert wird) in die oberen Etagen sichern. Alexandr Buzgalin von der Moskauer Lomonossow-Universität meint, dass der klassische Marxismus, soweit der Industriekapitalismus mit Lohnarbeit und Kapital eine Rolle spielt, weiterhin relevant bleibt; in dem Maß, wie er sich technologisch und politökonomisch verändert, müsse das „Kapital“ des 21. Jahrhunderts jedoch neu geschrieben werden. Und an einer solchen politökonomischen Theorie des modernen Kapitalismus scheint er zu arbeiten. Neue Elemente sieht er in einem weltweiten Netzwerk, das von 400 bis 500 Global Players dominiert wird, durch die das Finanzkapital die Kontrolle über Information, Finanzen und Verteilung von Macht und Profit hat und mit Staat, Massenmedien und Thinktanks verwoben ist. Die Ausbeutung wird auf alle Bereiche des menschlichen Lebens ausgeweitet, bei einem wachsenden – wie er sagt – pervertierten Sektor, in dem unter dem Gesichtspunkt der Produktivkraftentwicklung oder des kulturellen Fortschritts nutzlose Dinge produziert werden, darunter vor allem Entsprechendes etwa in der Massenkultur, Maklerdienste, Public Relations usw. Ein Fortschreiten zum „Kapital des 21. Jahrhundert“ stellt gewiss seine Analyse des Ausbeutungsprozesses im „Kreativsektor“ (Wissenschaftler, Künstler, Lehrer, Sozialarbeiter, usw.) und das Aufzeigen der Widersprüche zwischen der universellen, technisch unbegrenzten, beliebig teilbaren Natur kultureller Ressourcen und Produkte und dem Zugriff des Privateigentums dar.

Für UZ-Leserinnen und Leser ist sicherlich auch interessant, dass Conny Renkl (KAZ) die Verdienste Kurt Gossweilers um eine präzise Analyse der Interessen der verschiedenen Kapitalfraktionen am Vorabend des Faschismus bekannt machte.

Xiaoqin (Allen) Ding, Generalsekretär der WAPE, konnte mit Recht eine positive Bilanz ziehen. Das Forum 2019 wird im kanadischen Winnipeg stattfinden.

Die Aktivitäten der WAPE sind bei uns noch wenig bekannt. Das hat sicherlich auch mit der Situation an den hiesigen Universitäten zu tun. Marxistisch orientierte Lehrstuhlinhaber der Volkswirtschaftslehre sind so gut wie vollständig verdrängt und UZ-Leser wissen, dass nach der Konterrevolution 1989 die Universitäten von marxistischen Ökonomen gründlich gesäubert wurden. So war es kein Zufall, dass von den deutschen Referenten kein einziger von einer Universität, sondern von anderen akademischen Einrichtungen wie der gastgebenden HWR kam oder eben als „Marxist Scholar“ auftrat.

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"China, die Weltwirtschaft und das „Kapital im 21. Jahrhundert“", UZ vom 3. August 2018



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