Jeder kennt die Kriegsfilme über das Schicksal US-amerikanischer Soldaten, die von ihrer Regierung in einem aussichtslosen Krieg gegen die vietnamesische Befreiungsbewegung traumatisiert, gebrochen und als Kanonenfutter verheizt wurden. Die andere Seite der Geschichte bleibt dabei oft unterbelichtet: Das Schicksal des vietnamesischen Volkes, dem die imperialistische Großmacht mit Kugeln, Bomben und chemischen Kriegswaffen begegnete. Der Fokus liegt auf den politischen Entscheidungsträgern, über die Beteiligung von Chemieriesen wie Monsanto & Co. an der Durchführung dieses Krieges wird wenig gesprochen. Das als Agent Orange bekannt gewordene dioxinhaltige Herbizid erlangte in diesem Zuge traurige, aber isolierte Berühmtheit.
Kampf um Gerechtigkeit
Jahrzehntelang blieben die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die der US-Imperialismus im Schulterschluss mit den Großkonzernen in Vietnam beging, ungesühnt. Das soll sich nun ändern. Tran To Nga ist Kopf einer Kampagne zur Erstreitung von Gerechtigkeit für die Opfer des Agent-Orange-Einsatzes. Die Vietnamesin kämpfte bereits im Vietnamkrieg an der Seite der Befreiungskräfte gegen den Völkermord der USA. Heute kämpft sie auf juristischem Wege für Entschädigungen der Opfer, zu denen auch sie selbst und ihre Familie zählen.
Jaeggi zitiert sie in seinem Buch „Krieg ohne Ende“ wie folgt: „Während des Prozesses sollte ich plötzlich den Vertrag vorweisen mit der Presseagentur, für die ich damals im Krieg arbeitete. Das ist absurd. (…) Es wurde gesagt, wenn ich diesen Vertrag nicht vorweisen könne, müsse ich jede der angeklagten Firmen mit 200 Euro pro Tag entschädigen.“ Derlei Verschleppungsstrategien von den Anwälten der Unternehmerseite prägen die Prozesse gegen die Profiteure der Kriegswaffen bis heute. Unter Verweis auf ihre Krankheiten, die meisten davon wohl Folge des Kontaktes mit Agent Orange, kritisiert die französisch-vietnamesische Aktivistin: „Sie wissen, dass ich diese Krankheiten habe, und hoffen, dass ich verschwinde, bevor der Prozess zu Ende ist.“
Schon 2009 wurde durch die Vereinigung vietnamesischer Agent-Orange-Opfer (VAVA) gegen die Produzenten der Chemiewaffe geklagt, doch wurde dieser Prozess schnell vom Obersten Gerichtshof der USA abgewürgt. Tran To Nga reichte daraufhin 2014 Klage in Frankreich ein. Die richtet sich gegen 14 US-amerikanische Konzerne, darunter die heutige Bayer-Tochter Monsanto.
Der Prozess
Am 7. Mai begann das Berufungsverfahren im Agent-Orange-Prozess. In den kommenden Wochen wird eine Entscheidung erwartet. Es bleibt offen, ob die vietnamesischen Opfer endlich Gerechtigkeit erstreiten können, oder ob dieses Menschheitsverbrechen, wie so viele andere, ungesühnt bleibt. Klar ist: Allein durch juristische Instanzen kann dies ohnehin nicht geschehen. Es braucht die breite, solidarische Bewegung, es braucht die Öffentlichkeit für die Opfer, es braucht die politische Aktion gegen die Monopole, die für den Profit, wie es Marx ausdrückte, „alle menschlichen Gesetze unter (ihren) Fuß“ stampfen.
Laut Studien des Roten Kreuzes litten Stand 2002 noch rund eine Millionen Vietnamesen an den Spätfolgen von Agent Orange. Der Stoff setzt sich überall fest: Im Wasser, im Boden, im menschlichen Organismus, sogar in der Muttermilch und der Plazenta, sodass der Schaden von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Agent Orange
Worum handelt es sich bei Agent Orange? Ursprünglich wurde der Stoff als Herbizid entwickelt. Die offizielle Begründung für dessen Einsatz der US-Regierung zu Beginn des Vietnamkrieges war, man wolle den Stoff vor allem taktisch nutzen: Nämlich zur Entlaubung des Dschungels in Vietnam, um die Befreiungskräfte, die vor allem den Urwald als Rückzugsort im Kampf gegen die US-Armee nutzten, zu enttarnen und besser angreifen zu können. Mit dieser Begründung schüttete man zwischen 1963 und 1971 rund 46 Millionen Liter des Kampfstoffes über das unterdrückte Land. Doch Agent Orange war keineswegs so harmlos, wie die US-Regierung es glauben machen wollte, beispielsweise durch die medienwirksame Besprühung eigener Soldaten damit: Im chemischen Kriegsmittel war nämlich TCDD enthalten, das als Teil des „dreckigen Dutzends“, den zwölf giftigsten Umweltgiften, durch das Stockholmer Übereinkommen von 2001 weltweit verboten wurde.
TCDD ist nach Angaben des Schweizer Autoren Peter Jaeggi, dessen Buch „Krieg ohne Ende“ den Einsatz chemischer Waffen wie Agent Orange im Vietnamkrieg umfassend beleuchtet, 500-mal giftiger als Strychnin (Rattengift) und tausendfach toxischer als Nikotin. Nun ist TCDD nicht notwendig Bestandteil von Agent Orange, tritt jedoch als Verunreinigung dann auf, wenn in kurzer Zeit möglichst große Mengen davon produziert werden.
Das heißt aber nicht, dass es sich hier um einen tragischen Unfall handelte – vielmehr ist davon auszugehen, dass man sehr genau wusste, was man über das widerständige Vietnam auskippte. Schließlich, so Jan Pehrke von der Coordination gegen Bayer-Gefahren, waren unter anderem auch Chemiefachleute von Bayer in Vietnam dabei. Sie begleiteten die Feldversuche der US-Armee und arbeiteten, getarnt als medizinische Helfer, im US-Planungsbüro für B- und C-Waffen in Saigon mit. Deutsche Waffen und deutsches Geld haben auch in Vietnam mit gemordet.
Die Bayer-Mitarbeiter mussten Bescheid wissen, ebenso wie die 22 US-Wissenschaftler, die 1966 einen offenen Brief unterzeichneten, der an US-Präsident Lyndon B. Johnson gerichtet war. Besagtes Schreiben klärte über die Gefahren von Dioxinen auf und forderte einen sofortigen Stopp des Einsatzes chemischer Waffen. In der deutschen Chemieindustrie war man spätestens seit Mitte der 1950er Jahre und einigen Unfällen bestens informiert über die Toxizität von Dioxinen.
Deutsche Traditionspflege
Doch die deutsche Chemie hat andererseits auch immer großen Wert auf ihre Traditionspflege gelegt: Bayer war immerhin das größte Chemieunternehmen, das aus der Zerschlagung der IG Farben hervorgegangen war, die die Alliierten nach dem Sieg über den Hitler-Faschismus angeordnet hatten. Grund für diese Zerschlagung war die Rolle, die der Chemieriese als Rüstungslieferant, zentraler hitlerfaschistischer Monopolist und Hersteller chemischer Kampfstoffe gespielt hatte. Das hinderte die Bayer AG keineswegs daran, Otto Ambros – seines Zeichens Direktor der IG Farben und Chef der Abteilung für chemische Kriegsführung in Speers Rüstungsministerium – im Bayer-Werk in Wuppertal-Elberfeld weiter zu beschäftigen. Und auch Bayer war an der „Chemical Warfare“ in Vietnam beteiligt.