Unbefristeter, „politischer“ Streik an Europas größter Uni-Klinik – Arbeitsbedingungen gefährden Gesundheit

Charité macht Patienten zu Geiseln

Von Karin Mack

Das Bündnis Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus lud drei Tage vor Streikbeginn an den Standorten der Charité zu einer Solidaritätsveranstaltung ein. Fast 200 Menschen kamen in den Saal der ver.di-Geschäftsstelle. Unter ihnen Kolleginnen und Kollegen aus anderen Betrieben, u. a. von Vivantes, der Post, GdL-Vertreter, Amazon, Betriebsräte von Daimler, der BVG und der Telekom. Viele von ihnen überbrachten nicht nur solidarische Grüße, sondern berichteten auch über ihre eigenen aktuellen Tarif- und Streikauseinandersetzung und betonten immer wieder, wie wichtig es ist, sich gegenseitig zu vernetzen, Erfahrungen auszutauschen. Für alle hat der Streik der Charité einen besonderen Stellenwert. Hier geht es erstmalig um einen Tarifvertrag für mehr Personal, Gesundheitsschutz und Ausbildung.

Die Reaktion der Geschäftsleitung der Charité offenbart den Widerspruch zwischen der fortschreitenden Privatisierung des Gesundheitswesens und der Sicherung eines demokratischen und solidarischen Gesundheitswesens, von dem alle betroffen sind. Noch einen Tag zuvor hatte der Arbeitgeber versucht, per Arbeitsgericht den Streik zu verhindern. Er erlitt eine Niederlage: Das Gericht sprach sich eindeutig für die Rechtmäßigkeit des Streiks aus. Carsten Becker, Mitglied der Streikleitung, berichtete auf der Solidaritätsveranstaltung, mit welch abenteuerlicher Argumentationskette die „Arbeitgeber“seite gegen diesen Streik zu Felde zieht und was hier alles noch zu erwarten sei. Vor allem wollen sie einen Keil zwischen Patienten und Pflegepersonal treiben. Dies fällt aber zunehmend schwerer, weil es inzwischen nicht mehr zu vertuschen ist, dass die Pflegesituation in unserem Lande buchstäblich am Boden liegt.

Das Gesundheitswesen selbst ist zum Krankheitsfall geworden. Nicht die Streikenden gefährden die Gesundheit der Patienten, sondern die aktuellen Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in den Krankenhäusern. Deshalb ist es wichtig, diesen Streik in die Öffentlichkeit zu tragen. Alle Podiumsteilnehmer, neben Carsten Becker u. a. Kathy Ziemer, Betriebsrätin bei der CFM (Charité Facility Management) – der vor fast 10 Jahren ausgegliederten nicht-pflegerischen Bereiche, einer Tochtergesellschaft der Charité –, berichteten, dass bis heute die Beschäftigten keinen Tarifvertrag haben, dass hier Kosteneinsparung zu Lasten des Personals mit Zustimmung des Berliner Senats erfolgt. Sie kündigten noch für dieses Jahr Tarifauseinandersetzungen an. Der ver.di-Gewerkschaftssekretär Kalle Kunkel zeigte in seinem Beitrag die Bedeutung des aktuellen Streiks für die gesamte Republik auf. Es handele sich um einen politischen Streik, in dem es letztlich auch um die Verteidigung des Streikrechts gehen wird sowie um die Unterbrechung des Absenkungskreislaufes, der im gesamten Gesundheitswesen seit Einführung der Fallpauschalen 1996 zu beobachten ist.

Für den Streik, der am Montag, den 22. Juni begann, sind über 1000 Betten zum Streik angemeldet worden, mehr als 20 Stationen und Teilbereiche sind komplett geschlossen, laut Charité fallen pro Tag 200 Operationen streikbedingt aus. Zwischen Streikleitung und Charité Geschäftsleitung gibt es eine Notdienstvereinbarung/Clearingstelle, zweimal täglich kommen beide Parteien zusammen, um Notfälle zu klären. Allerdings spielt der „Arbeitgeber“ auch hier auf Risiko: Carsten Becker, Mitglied der ver.di-Betriebsgruppe, erklärte laut Tageszeitung „junge Welt“ vom Dienstag, der habe nicht alle der 1 000 zum Streik angemeldeten Betten geräumt. Die Patienten würden somit „als Geisel“ genommen, denn wenn die Leistungen während des Streiks nicht entsprechend zurückgefahren werden, gefährde dies die Patienten.

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"Charité macht Patienten zu Geiseln", UZ vom 26. Juni 2015



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