Paul Magnette ist nicht zu beneiden. Der Ministerpräsident der wallonischen Region dürfte derzeit der bestgehasste Mann der europäischen Eliten sein. Zumindest derjenigen, die den als „Freihandelsabkommen“ propagierten CETA-Vertrag mit Kanada unbedingt durchsetzen wollen. „Der Möchtegern-Asterix“ (Spiegel), „Der wallonische Supermann“ (Frankfurter Rundschau) „Oberwallone“, „Asterix“ (Bild), waren nur einige der freundlichen Zuschreibungen, welche die Qualitäts-Presse für den überraschend standfesten Sozialisten bereit hatte. An die servile Willigkeit der europäischen Sozialdemokratie gewöhnt, glaubte man in Berlin und Brüssel seinen Ohren nicht zu trauen, als aus Namur ein klares „Non“ kam.
„Das ist der Ego-Trip eines Mannes“, zitierten die Zeitungen von Bild bis Zeit den CDU-Europapolitiker Elmar Brok. Der auch gleich sein christdemokratisches Demokratieverständnis darbot: „Wenn man sich die innerstaatlichen Entscheidungsstrukturen Belgiens anschaut, könnte man auf die Idee kommen, dass Belgien ein ‚failed state‘ (gescheiterter Staat) ist.“ Und der Spiegel vervollständigte: „egoistisch, anmaßend und schädlich für die Demokratie“. Im Klartext: Wer CETA ablehnt ist als Mensch, als Demokratie und als Staat gescheitert.
Bislang hatte die Zustimmung der SPD als größtes Hindernis für CETA gegolten. Wie man seit Schmidt und Schröder weiß, eine lösbare Aufgabe. Selbst für einen Sigmar Gabriel. Sicher, am 17. September hatten über 300 000 Menschen in Deutschland gegen CETA demonstriert. Die Wallonie steht mit ihrer Ablehnung keineswegs so allein, wie die Cheerleader-Medien nicht müde werden zu behaupten. Dass aber nun ein nicht zu ignorierender Widerstand gegen den schon sicher geglaubten Vertragsabschluss zustande kam, hatte niemand auf dem Schirm. Der Deal schien zu platzen. Die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland hatte CETA schon für gescheitert erklärt und wollte aus Brüssel abreisen, da drehte die deutsche Sozialdemokratie, die Stimmen ihrer Herren offenbar vernehmlich im Ohr, noch einmal richtig auf.
Martin Schulz hielt Frau Freeland zurück und setzte, zusammen mit Sigmar Gabriel, Paul Magnette unter Druck. Bis Montag sollte Wallonien zu Kreuze kriechen. „Schade, dass die EU nicht genauso viel Druck auf die ausübt, die den Kampf gegen die Steuerflucht blockieren“, bemerkte der Wallone, „wir erdulden manchmal sogar kaum verhüllte Drohungen.“ Und blieb standhaft.
Damit steht das weitere Prozedere in Frage. Auftritt von Premierminister Trudeau im Europaparlament und feierliche Unterzeichnung des 1600-Seiten-Vertrages. Die EU-Oberen glauben aber noch immer mit dem entsprechenden Powerplay, den Widerstand der Wallonen in letzter Minute brechen zu können. Bei Erscheinen dieser Zeitung weiß man genaueres.
Schon die brutale Massivität, mit der CETA jetzt unbedingt durchgedrückt werden soll, macht klar, dass es sich hier nicht um den Abbau einiger ohnehin unbedeutender Zölle handelt. Kanada hat mit einer Bevölkerung von 36 Mio. Menschen und einem BIP von 1,8 Billionen US-Dollar einen Anteil von 1,8 Prozent am EU-Außenhandel, also ein Handelsvolumen von rund 62 Mrd. Dollar. Das ist für eine EU mit 510 Millionen Menschen und einem BIP von 17,3 Billionen Dollar ganz nett, aber nicht sonderlich aufregend. Und es zeigt, ebenso wie das in den letzten 10 Jahren um mehr als 100 Prozent auf 16 Billionen Dollar (2015) explodierte Welthandelsvolumen ganz allgemein, dass Handel auch ohne „Freihandelsabkommen“ möglich ist. Ob diese Form der globalisierten Produktion und des entsprechenden Transportaufkommens dann ökologisch sinnvoll ist, ist eine ganz andere Frage.
„Wenn wir nicht einmal mit Kanada klar kämen, mit wem dann?“, fragt der SPD-Chef. „Das Nein der Wallonie entfacht einen Flächenbrand in Europa“, barmt die Welt als würde das Scheitern von CETA der Ausrufung des Kriegszustandes gleichkommen. Würde CETA tatsächlich scheitern – was alles andere als sicher ist – wäre dem strategischen Projekt des US-Imperialismus, seine Einflussphäre mit umfassenden politökonomischen Verträgen eng an sich zu binden und zugleich eine Art Profitgarantie für das dominierende Finanzkapital zu konstruieren, in der Tat ein schwerer Schlag versetzt. Dies dürfte in Zeiten des Brexit die eigentliche Ursache für die Alarmstimmung der Atlantiker in Berlin und Brüssel sein. Chapeau Paul Magnette! Die Wallonie kann alle Unterstützung brauchen.