Gemeinschaftsunternehmen Thyssenkrupp Tata Steel steht auf tönernen Füßen

Chaostage bei Stahlkonzern

Von Willi Hendricks

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Stahlfusion zwischen Thyssenkrupp und Tata neu zur Verhandlung anstehen könnte. Setzen sich die Finanzinvestoren Elliot und Cevian nach Aufspaltung des Konzerns durch, könnte dies für die Stahlarbeiter schlimme Folgen haben. Es kriselt gewaltig im bedeutendsten Industriekonzern des Landes. Erzwungene Rücktritte und Sondersitzungen sorgen für Spekulationen über die Zukunft des Unternehmens. Die sorgen der Stahlarbeiter über den Bestand ihrer Arbeitsplätze sind mehr als berechtigt.

Hilferuf an falsche Adresse

Aktionäre kümmern sich naturgemäß eher um höheren Aktiengewinn als um das Wohlbefinden der Schaffenden. Zudem wurde bekannt, dass die Vorsitzende der Krupp-Stiftung Ursula Gather sich erst kürzlich mit Antti Herlin traf. Herlin ist Haupteigner des Thyssenkrupp- Konkurrenten Kone, zusammentraf – kein gutes Omen für die Betroffenen.

Wenn der Duisburger Oberbürgermeisters Sören Link (SPD) hofft, „dass die IG Metall und die Krupp-Stiftung bereit sind, im Sinne des Unternehmens und aller Beschäftigten Verantwortung zu übernehmen“, dann ist das eher Wunschdenken. Seiner Erwartung nach soll sich die NRW-Landesregierung in diesen Prozess aktiv und öffentlich einbringen. Besonders wünscht sich Link Engagement von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), der in der Stiftung mit Sitz vertreten ist. Dies wird ebenso wenig fruchten wie zu der Zeit, als Hannelore Kraft NRW-Ministerpräsidentin war – mit Sitz und Stimme im Aufsichtsrat.

Auch Berlin bekundet Anteilnahme. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ließ verlautbaren, die Bundesregierung setze darauf, „dass Thyssenkrupp als integrierter Industriekonzern erhalten bleibt“. Nachfolgend erklärte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD): „Wir beobachten die Situation von Thyssenkrupp intensiv und mit großer Sorge.“ Der ehemalige Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) gibt sich in einem Interview in der WAZ vom 20. Juli couragiert: „Investoren, die allein mit dem Ziel bei Unternehmen einsteigen, um ohne Rücksicht auf die Menschen Kasse zu machen, sind eine Gefahr für die Demokratie. Das ist Klassenkampf von oben.“ Und weiter: „Wenn wir nichts dagegen tun, ernten wir Klassenkampf von unten – und zwar von rechts, durch rücksichtslose und rüde Populisten.“ Klassenkampf von oben findet täglich statt, mit Rechtspopulismus im Schlepptau.

Chronologie eines Monats

Auf Weisung des Finanzhais Paul Singer vom US-Hedgefonds Elliot kam es in Essen am 27. Juni zu einem Treffen von Vertretern des Fonds mit dem Thyssenkrupp-Aufsichtratsvorsitzenden Ulrich Lehner. Offenbar sollte die kurz bevorstehende Besiegelung der Fusion mit Tata noch verhindert werden.

Am 29. Juni wurde das Abkommens von Thyssenkrupp mit dem indischen Großkonzern Tata Steel unterzeichnet. Bei ihrer Zusammenkunft am 3. Juli in Brüssel bekennen sich die Konzernchefs langfristig zu Thyssenkrupp Tata Steel. Zwei Tage darauf, am 5. Juli, nahm Hiesinger seinen Hut. Begründung: Er habe den Rückhalt der Krupp-Stiftung und anderer Großaktionäre vermisst. Tatsächlich sind die Finanzinvestoren Elliot und Cevian seit langem auf Zerschlagung des Konzerns aus und forderten wiederholt Hiesingers Ablösung.

Aufsichtratsvorsitzender Lehner – bezugnehmend auf den Schlagabtausch mit Elliot in Essen – bezichtigte die Investoren am 11. Juli öffentlich des „Psychoterrors“. Er fügte hinzu: „Einzelne aktivistische Investoren sind dafür bekannt, dass jene Manager, die sie loswerden wollen, später in psychiatrische Behandlung mussten.“ Ihr Vorgehen umfasse, „Unwahrheiten in der Öffentlichkeit zu platzieren, unberechtigte Rücktrittsforderungen bis hin zu Belästigen von Nachbarn und Familienmitgliedern“.

Wegen der Krise bei Thyssenkrupp versammelte sich am 13. Juli das Führungsgremium der Krupp-Stiftung als größter Einzelaktionär des Industriekonzerns zu einer Sondersitzung. Die Vorsitzende der Stiftung, Ursula Gather, erklärte im Namen der Stiftung, man sehe sich auch in Zukunft dem Ziel verpflichtet, „die Einheit des Unternehmens möglichst zu wahren und seine weitere Entwicklung zu fördern“. Derartige, vage Aussagen werden nicht nur vom Aufsichtratsvorsitzenden Ulrich Lehner beargwöhnt. Wie Hiesinger, so vermisste auch er mangelnde Unterstützung durch Gather. Ausdrücklich warnte er vor einer drohenden Zerschlagung des Konzerns mit seinen 160 000 Beschäftigten weltweit. Am Abend des 16. Juli verkündete Lehner seinen Rücktritt als Chef des Aufsichtsrates.

Neue Wege zu mehr Profit

Gegenwärtig sucht der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Markus Grolms (IG Metall) neben einem Schulterschluss mit dem Großaktionär Krupp-Stiftung auch die Nähe zu dem vormals von der IGM verteufelten schwedischen Finanzinvestors Cevin (18 Prozent Anteil). Markus Grolms wörtlich: „Eine Grundsatzvereinbarung mit den großen Aktionären Krupp-Stiftung und Cevian wäre im Interesse des Unternehmens sinnvoll.“ In der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 25. Juli warnt NRW-Regierungschef Laschet vor drohenden Jobverlusten im Falle der Zerschlagung des Konzerns, der alleine in NRW 39000 Beschäftigte führt. Auf eine klare Stellungnahme verzichtet er. Ob Stiftungsvorsitzende Ursula Gather sich hinter das Vorhaben von Grolms stellt, ist umstritten. Zwar spricht sie sich in der Ausgabe des Magazins „Der Spiegel“ vom 27. Juli erneut dafür aus, dass der Konzern als Ganzes erhalten bleibt. Auf der Internetseite der Krupp-Stiftung lesen wir von ihr jedoch folgendes Zitat: „Vorstellungen einer falsch verstandenen Tradition dürfen uns nicht hindern, zu neuen Wegen zu finden.“

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"Chaostage bei Stahlkonzern", UZ vom 3. August 2018



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