Bunte Weisheitsliebe

Von Lucas Zeise

Das bunte Heft mit dem Titel „Philosophie Magazin“ gibt es für 6,90 Euro. Das Heft 2/2017 ist einschließlich beider Deckblätter 100 Seiten stark im Format DIN A 4. Ein ganz klein bisschen Philosophie ist im Magazin zu finden. Das meiste aber ist Schrott. Ein heilloses Durcheinander.

bunte weisheitsliebe - Bunte Weisheitsliebe - Aus dem deutschen Blätterwald, Vermischtes - Vermischtes

In der Blattmitte eingeheftet sind einige Seiten, in denen drei Texte des Philosophen Epikur abgedruckt sind. Der alte Grieche lebte zwischen 341 und 270 vor unserer Zeitrechnung, erfahren wir im knappen Einleitungstext. Er war offensichtlich ein Materialist alter Schule. Hier ein Satz, der einen wirklich erheitern kann: „Das schauerlichste aller Übel, der Tod, hat also keine Bedeutung für uns: denn so lange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht da.“

Zu Epikur wird der Leser mit der Überschrift hingelenkt: „Epikur – ein Religionsstifter?“ Was für eine dämliche Frage. Wenigstens übernimmt niemand im Heft den Versuch, sie zu beantworten. Aber das ist harmlos im Vergleich mit dem, was dem Leser sonst an wirrem Zeug aufgetischt wird. Die Titelgeschichte, auch „Dossier“ genannt, lautet: „Sie ist wieder da. Die Frage nach der Identität.“ Mit dem Begriff Identität sind offensichtlich Eigenschaften von Individuen, Gesellschaften, Kulturen gemeint. Das Dossier beginnt mit dem Bekenntnis eines der Autoren, dass ihm der 9.11.2016 noch lange in Erinnerung bleiben werde. Warum? Weil ein gewisser D. Trump zum US-Präsidenten gewählt worden war und der Sohn des Autors, vermutlich verunsichert vom Geschwätz seines Vaters, fragte, ob Trump „böse“ sei. Dann geht es rasant weiter über Rechtspopulisten, nationale Feindbilder, die Schoah, Adornos Unmöglichkeit, im falschen Leben das richtige zu führen, den Poststrukturalismus zur „vor allem in den USA seit den 1980er Jahren“ angeblich entwickelten „liberalen Identitätspolitik“. „In den westlichen Gesellschaften hat das ungeahnte Freiheitsräume eröffnet“, erfahren wir. Und dennoch reiben wir uns die Äuglein. Denn „der Siegeszug des Kulturalismus war nach dem Ende des Kalten Krieges und seiner ideologischen Welterklärungssysteme nicht aufzuhalten.“

Im Dossier folgen ein sinnloses Gespräch in einer Berliner Altbauwohnung, in der, wie wir einleitend erfahren, Hitler schon einmal auf dem Klo gewesen sein soll, über die Frage „Was wäre deutsch?“. Davor die Beschreibung des Besuchs der israelisch-französischen Soziologin Eva Illouz in Sarcelles, einem nördlichen Vorort von Paris, wo sie in den 70er Jahren als Jugendliche gelebt hat. Die Geschichte dreht sich nur um das Verhältnis der Juden und Moslems in dieser Gemeinde. Illouz spricht mit einem Rabbi und einem Imam. Erwähnt wird der Aufstand von 2014 in Sarcelles, der sich anlässlich der Bombardierung des Gazastreifens auch gegen Geschäfte jüdischer Eigentümer richtete. Nicht erwähnt wird, wie die Bewohner der Gemeinde mehrere Jahrzehnte lang miserabel behandelt worden sind. Nicht erwähnt wird auch, dass der frühere Innenminister der Regierung Chirac, ein gewisser Nicolas Sarkozy, der Polizei anlässlich eines Aufstandes der Jugendlichen empfohlen hat, sie mit dem „Kärcher“ wegzuputzen. Eva Illouz ist eine kluge Soziologin. Sie kennt die sozialen Zusammenhänge. Ihr Buch „Warum Liebe weh tut“ erklärt sehr gut die materiellen Gründe für schlechte Ausgangslage der Frauen im Zusammenleben der Geschlechter. Aber nach materiellen, sozialen Bedingungen der Menschen in Sarcelles wird sie nicht gefragt.

Der Beitrag ist wie eine Reihe anderer aus dem Französischen übersetzt. Dort gibt es „Philosophie“ in Magazinform schon seit 2006. Die deutsche Version wurde 2011 gegründet. Gründer beider Heftchen ist ein gewisser Fabrice Gerschel. Der Herr war auf einer Business School, danach Investmentbanker und steckt anscheinend noch heute voller Geschäftsideen. Da gibt es die ISSUU, eine Organisation, die es der Kundschaft ermöglicht, „Millionen von Magazinen kostenlos zu lesen“. Auf der anderen Seite bietet sie den jungen Kreativen an, zu jedem beliebigen Thema ein fesches und nett gestaltetes Magazin zu produzieren. „Philosophie“ hat Pate gestanden.

So richtig gut läuft das deutsche Philosophiemagazin offensichtlich noch nicht. Neben Eigenanzeigen für das Heft sind es ein paar Verlage, die Bücher mit philosophischen Texten annoncieren. Dazu kommt eine Seite der „Bundeszentrale für Politische Bildung“, die ihr Heft zum Thema „Populismus“ mit dem unvermeidlichen Trump anpreist. Und auf der Rückseite wirbt die LMU (Ludwig-Maximilian-Universität) München für einen Studiengang „Master of Arts in Philosophie, Politik, Wirtschaft“ mit dem Slogan „Denken Sie sich weiter!“ Die LMU ist nicht umsonst Exzellenz-Uni geworden. Dort hat man wie die Magazinmacher verstanden, dass Windmachen für die Mittelbeschaffung weit wichtiger ist als jede Philosophie.

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"Bunte Weisheitsliebe", UZ vom 10. März 2017



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