Der Numerus clausus gehört abgeschafft

Bund-Länder vor Gericht

Von Herbert Becker

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über zwei Richtervorlagen des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen zu der Frage, ob die Regelungen, die für die Studienplatzvergabe im Fach Humanmedizin gelten, mit dem Grundgesetz zu vereinbaren seien. Das Numerus-clausus-Verfahren, seit vielen Jahren nicht nur im Studienfach Medizin, sondern u. a. auch in vielen Lehramtsstudiengängen übliche Praxis, ist mit dem Artikel 12 des Grundgesetzes (Recht auf freie Berufswahl) nicht unbedingt in Einklang zu bringen. Eva Gruse, Vorstandsmitglied des „freien zusammenschlusses von studentInnenschaften“ (fzs), ist der Meinung, dass es „eines generellen Umdenkens in der Hochschulpolitik bedarf“. Eine nachhaltige Grundfinanzierung von Bund und Ländern seit notwendig, damit „die Kapazitäten der Hochschulen ausgebaut und den aktuellen Zahlen an Studienplatzbewerbern gerecht werden.“ Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat den Bund aufgefordert, für Öffnung und Ausbau der Hochschulen zu sorgen. „In vielen Studiengängen ist ein Studienplatz selbst mit überdurchschnittlichen Abiturnoten erst nach langen Wartezeiten zu bekommen. Die neue Bundesregierung muss daher schnellstmöglich die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen schaffen, um den Numerus clausus (NC) zu überwinden“, erklärte der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller. Er schlug zwei Maßnahmen vor, zum einen ein faires Zulassungsverfahren, das nicht nur auf der Abiturnote fußt, und zum anderen einen bedarfsgerechten Ausbau der Studienplätze.

Die unsägliche „Kapazitätsverordnung“, ein bürokratisches Monstrum, wird zwar in allen Bundesländern angewandt, aber mit z. T. sehr unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen und Berechnungsverfahren. Der Forderung, die KapVo abzuschaffen, wird von vielen Bildungsverantwortlichen und -politikern kaum noch widersprochen, den meisten ist klar geworden, dass die mit dem Kapazitätsrecht praktizierte Verteilung knapper Studienplätze den Anforderungen an moderne Hochschulsteuerung nicht mehr gerecht wird. Die Kritik an der KapVo beruht auf vielen Argumenten, die von zu hohem Bürokratieaufwand über Intransparenz bis hin zur Verhinderung von Qualitätswettbewerb reichen. Der gewichtigste Einwand ist aber, dass durch die KapVo die Betreuungsrelationen nivelliert werden. Je deutlicher man sieht, dass in vielen Fächern die Betreuung besser werden muss, umso klarer erkennt man, dass dieser Steuerungsmechanismus gerade das in den universitären Massenfächern verhindert.

Die Bildungspolitik, hier besonders an den Hochschulen, ist seit vielen Jahren an die Wand gefahren worden. Mit der sogenannten Exzellenzinitiative wurde seit mittlerweile zehn Jahren nur noch gefördert, was den drei Kriterien „Zukunftskonzepte“ (Entwicklung der Universität), „Exzellenzcluster“ (Förderung der Forschung eines Themenkomplexes) und „Graduiertenschule“ (Förderung von Doktoranden) gerecht wurde und zu Lasten der Situation an allen anderen Hochschulen oder Fachbereichen der jeweiligen Hochschule ging. Die Bildungspolitik hat auf die Entwicklungen, die durch diese reduzierte Sicht entstanden sind, nicht reagiert und die Studienbedingungen verschlechtern sich zunehmend. Hinter den geforderten Fähigkeiten der Bewerber steht eine rückwärtsgewandte Sehnsucht nach der kleinen, überschaubaren Universität, die die Hochschule als Elitenförderungsanstalt sieht. Der gesellschaftliche Bildungsdiskurs wird derzeit dominiert durch eine Leistungsideologie, die ein Scheitern im Studium auf die Person des Studierenden abschiebt und letztendlich als Legitimation zum Abbau von Studienplätzen dienen wird. Ob, wie und wann das Gericht entscheiden wird, ist noch nicht bekannt.

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"Bund-Länder vor Gericht", UZ vom 13. Oktober 2017



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