Auf der Ratssitzung am 30. März erklärte die schwarz-grüne Essener Ratsmehrheit das Essener Bürgerbegehren „KrankenhausEntscheid“ aus formalen Gründen für unzulässig. 2020 waren im Essener Norden gleich zwei Krankenhäuser geschlossen worden. Daraufhin gründete sich in der Stadt eine Initiative für ein Bürgerbegehren zur Sicherstellung der klinischen Versorgung und der rettungsdienstlichen notärztlichen Versorgung des nördlichen Stadtgebietes, weil nach Auffassung der Organisatorinnen und Organisatoren durch die Schließungen der Krankenhäuser Marienhospital und St. Vincenz inklusive der Notärztlichen Praxis am Marienhospital eine gefährliche Versorgungslücke in der Gesundheitsversorgung der Menschen im Essener Norden entstanden ist.
Diese Versorgungslücke, so argumentierte die Initiative, führt zu einer Überbelastung der Krankenhäuser im Rest der Stadt, zum Nachteil der Versorgungsqualität aller Essener Bürgerinnen und Bürger, beispielsweise durch knapper werdende Betten-, Ambulanz- und Notfallkapazitäten und Verlängerung der Fahrwege der Rettungsfahrzeuge.
Die Argumentation der Initiative fand breite Zustimmung bei den Essener Bürgern. Mit spektakulären Aktionen, Veranstaltungen und Infoständen sammelte sie fast 20.000 Unterschriften für den Bürgerentscheid, weit über 17.000 davon wurden anerkannt und damit das erforderliche Quorum weit übertroffen. Die Stadtverwaltung, die bereits im Vorfeld das Begehren torpedierte, zog unmittelbar vor der Ratssitzung die formale Karte und positionierte sich für eine Unzulässigerklärung des Bürgerentscheids. Begeistert folgte dem die schwarz-grüne Ratsmehrheit und wischte Bürgerwillen und Bürgerbeteiligung vom Tisch.
Zynisch führte Dirk Kalweit, stellvertretender Vorsitzender und gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, aus: „Bevor eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Bürgerbegehren stattfinden kann, muss der Rat der Stadt Essen zunächst prüfen, ob das Bürgerbegehren überhaupt zulässig ist. Das ist eine rein formalrechtliche und eben keine politische Entscheidung“ und erhielt Schützenhilfe von Sandra Schumacher, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und sozialpolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen: „Der Stadtrat muss die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens nach streng festgelegten rechtlichen Kriterien prüfen. Die Kriterien sind sinnvoll und wichtig, denn sie garantieren eine transparente und ehrliche Aufklärung der Menschen, die unterschreiben, und stellen sicher, dass Forderungen überhaupt umsetzbar sind, etwa in finanzieller Hinsicht. Die Prüfung des Rechtsamtes sowie das Rechtsgutachten besagen in drei wesentlichen Punkten, dass das Bürgerbegehren ‚KrankenhausEntscheid‘ unzulässig ist: weil die Kostenschätzung verkürzt sowie der Sachverhalt nicht hinreichend konkret dargestellt wurden und sich der Entscheid mit dem hoch verschuldeten Haushalt der Stadt Essen nicht vereinbaren lässt.“
Jutta Markowski, eine der Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens, erinnerte in ihrer Stellungnahme auf der Sitzung die Ratsmitglieder an ihre Verantwortung: „Was entscheiden Sie heute, meine Damen und Herren? Und was bedeutet das, dass Sie die Unzulässigkeit für dieses Bürgerbegehren vorschlagen? 18.000 Essenerinnen und Essener haben sich klar für einen Entscheid ausgesprochen, eine GmbH zu gründen, die die Neugründung beziehungsweise Reaktivierung von Krankenhausstandorten in öffentlicher Hand vorantreibt. Ein deutliches Signal an Sie. Wir haben immer erklärt, dass wir einen Entscheid in ganz Essen mit allen Bürgerinnen und Bürgern haben wollen, dass diese über diese Fragestellung entscheiden sollen und es nicht hier mit einer Unzulässigkeitserklärung enden soll. Wie geht die schwarz-grüne Ratsmehrheit, der OB Kufen, mit diesem BürgerInnenwillen um? Ich meine, skandalös an dieser Stelle. Hier soll mit fadenscheinigen, rechtsbeugenden Argumenten unser Bürgerbegehren kaltgestellt werden. Hier ein Gruß an die Studierenden, sicherlich in Sachen Bürgerbeteiligung eine Lehrstunde für sie.“
Jutta Markowski erläuterte, dass mittels eines sicherlich teuren Gutachtens moniert wurde, dass auf den Unterschriftenlisten neben der eigentlichen Kostenschätzung die vier Seiten kleingeschriebenen Erläuterungen und Herleitungen nicht veröffentlicht wurden. „Sollte demnächst einfach ein Bürgerbegehren für unzulässig erklärt werden können, weil Sie dann 36 Seiten hintendran schreiben? Was ist das für ein Schwachsinn! Wie soll so eine Unterschriftenliste aussehen?“ fragte sie empört. „Und als ob die dort von Ihnen aufgeführten horrenden Zahlen, die wir ja noch einklagen mussten, als ob die nicht für alle Kritiker schon als Abschreckung genug gewesen wären. Und hat man bei dem politisch gewollten Klima- und Radentscheid ähnlich scharf prüfend hingeguckt?“
Bei einer Verweigerung der Kostenschätzung hatte sich die Verwaltung dahinter versteckt, man sei noch eine Stärkungskommune und von der Genehmigung der Aufsichtsbehörde abhängig. Empört fragte Jutta Markowski die Ratsmitglieder: „Da wird weiter von Ihnen angeführt, die Bürgerinnen und Bürger, die zu dem Entscheid aufgerufen werden, könnten die Kosten nicht übersehen. Ein Totschlagargument. Heute morgen hörte ich im WDR 2, dass der Stadtrat heute über die weitere Planung der A-40-Deckelung abstimmen will. Ja, wollen Sie mir erzählen, Sie könnten die Kosten dazu alle übersehen? Im Leben nicht. Was muten Sie den Bürgerinnen und Bürgern noch zu?“
Wie es um die Situation des Gesundheitswesens in Essen aussieht, die die Ratsmehrheit nunmehr verfestigt, beschrieb sie anschaulich: „Wir können nur von unzähligen Gesprächen bei unseren Sammlungen berichten – nennen wir es mal Experteninterviews –, die wir mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Krankenhäuser, die noch verblieben sind, geführt haben, und mit den Patienten, die dort sind. Sie berichten einhellig, dass es in den verbleibenden Krankenhäusern krank machende Arbeitsbedingungen gibt, weil permanente Arbeitsüberlastung herrscht, dass es teils unhaltbare Zustände von langen Wartezeiten gibt, dass es nächtliche Verlegungen über die Stadtgrenzen hinaus gibt, verschobene OPs, dass es Betten auf den Krankenhausfluren und bemitleidenswürdiges Personal von der Reinigung bis zum ärztlichen Dienst gibt. Dies habe sich subjektiv nach den Schließungen der beiden Krankenhäuser verstärkt.“
Die Initiative will trotz der skandalösen Entscheidung der Ratsmehrheit weitermachen und erklärte nach der Ratssitzung: „Wir werden weiter den Protest organisieren, wir behalten uns rechtliche Schritte vor und geben nicht eher Ruhe, bis es ernsthafte Pläne für ein Krankenhaus im Essener Norden gibt.“