Nigeria: Generalstreik für Versechzehnfachung des Mindestlohns

Bürgerpflicht

Die nigerianischen Gewerkschaftsverbände Nigeria Labour Congress (NLC) und Trade Union Congress (TUC) haben am Montag vergangener Woche einen unbefristeten Generalstreik begonnen. Zwei Tage lang legten die Mitglieder dieser und weiterer Gewerkschaften das bevölkerungsreichste Land Afrikas lahm: Öffentliche Einrichtungen blieben geschlossen, die Stromversorgung stoppte, Flughäfen und Häfen stellten den Betrieb ein. Beschäftigte des Gesundheitswesens und privater Unternehmen schlossen sich dem Streik an.

NLC und TUC fordern eine Versechzehnfachung des Mindestlohns von momentan umgerechnet knapp 19 Euro pro Monat auf 313 Euro. Die Regierung hatte ursprünglich eine Erhöhung um 10 Prozent zum 1. Januar 2025 angeboten, nach gewerkschaftlicher Gegenwehr dann eine Verdoppelung. Der aktuelle Mindestlohn reicht vorne und hinten nicht zum Leben: Etwa einen Laib Brot pro Tag bekommt man dafür. Er wurde seit 2019 nicht mehr erhöht. Der Generalstreik richtet sich auch gegen eine kürzlich erfolgte Anhebung des Strompreises um 300 Prozent.

Der aktuelle Generalstreik ist der vierte in Nigeria seit dem Amtsantritt von Präsident Bola Tinubu vor 13 Monaten. Das Land steckt in einer Wirtschaftskrise, für die Tinubu verantwortlich ist. Kurz nach seinem Amtsantritt strich er auf Geheiß des Internationalen Währungsfonds (IWF) Treibstoffsubventionen und wertete die Landeswährung Naira ab, um ausländische Investitionen anzulocken. Die Konsequenzen spüren viele Nigerianer deutlich in ihrem Alltag: Die Benzinpreise verdoppelten sich, die Kosten für Nahrungsmittel und die Fahrt zur Arbeit stiegen signifikant. Importierte Waren kosten wesentlich mehr. Fast die Hälfte der Menschen in Nigeria sind arm laut Weltbank-Definition. Tendenz steigend: Im April lag die Inflationsrate bei 33 Prozent. Nigerias Volkswirtschaft war einst die stärkste Afrikas, jetzt rangiert sie hinter Südafrika, Ägypten und Algerien auf Platz vier.

Nach zwei Streiktagen kündigten NLC und TUC am Abend des 4. Junis an, ihren unbefristeten Streik für eine Woche „lockern“ zu wollen. Zuvor hatte die Regierung Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Tayo Aboyeji, NLC-Sekretär im Bundesstaat Lagos, erklärte: „Wenn die Regierung sich nicht innerhalb einer Woche mit den Beschäftigten einigt, werden die organisierten Arbeiter den Streik ohne weitere Ankündigung wieder aufnehmen.“

Es sieht so aus, als werde das nötig. Bis Montag reduzierte NLC seine Mindestlohn-Forderung in den Verhandlungen auf umgerechnet etwa 156 Euro pro Monat. Die Regierung bietet bislang eine Erhöhung auf lediglich knapp 39 Euro an. Das Ultimatum der Gewerkschaften läuft in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch aus (nach Redaktionsschluss von UZ). Finanzminister Wale Edun bezeichnet die Forderungen der Gewerkschaften als „unbezahlbar“. George Akume, Sekretär der Föderalregierung Nigerias, diffamierte den Streik als „Wirtschaftssabotage“ und „hochverräterische Straftat“. NLC erwiderte in einer Pressemitteilung, Akume wisse ganz genau, wer verräterisch handele und die Wirtschaft sabotiere: „Diejenigen, die unsere Staatskasse plündern, diejenigen, die öffentliche Mittel für Krankenhäuser und Schulen in ihre Taschen leiten.“ Streiks seien nicht nur legal, sondern Bürgerpflicht.

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"Bürgerpflicht", UZ vom 14. Juni 2024



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