Donald Trumps Wahlsieg ist kein Zeichen des Untergangs der westlichen Demokratie, sondern dessen Symptom

Bürgerkrieg bleibt vorerst aus

Marlon Grohn

Der Sieg Donald Trumps zeigt, dass Wahlen im Parlamentarismus nicht manipuliert werden müssen, um einem vorbestraften Ex-Präsidenten eine weitere Amtszeit zu ermöglichen. Das spricht in erster Linie gegen die US-amerikanische Form des Parlamentarismus als solchen. Trumps Sieg zeigt zudem, dass die Amerikaner nicht so wählen, wie es den Deutschen lieb ist. Deutsche sind ja dafür bekannt, den Faschismus immer schon vor allen anderen zu erspähen, und finden ihn daher bevorzugt im Ausland.

Wo aber liegt das wirkliche Problem, von dem der heutige Wahlausgang nur ein Indikator ist? Drei Äußerungen von sehr verschiedenen linken Denkern bringen etwas Licht ins Dunkel:

  1. Der Pop-Theoretiker Diedrich Diedrichsen bekundete in den 1980er Jahren über linke Demonstranten: „An einer Politik mitzuwirken, sei es als Demonstrant oder als Bundeskanzler, die von Nachrichtenagenturen und Massenmedien ihren Stoff beziehen, heißt auf den Mediengag Demokratie reinzufallen.“
  2. Der französische Philosoph Alain Badiou, der gegen den Satz seines Kollegen Richard Rorty („Die Demokratie ist wichtiger als die Philosophie“) ins Feld führte, dieser wolle „der Philosophie verbieten, die Frage nach dem Kern dessen zu stellen, was man Demokratie nennt.“ Badiou weiter:
    „Man findet heute überall in der politischen Literatur eine radikale Kritik der wirtschaftlichen Ordnung und eine nicht weniger radikale Zustimmung. (…) Heute sind sehr viele Menschen entschiedene Anti-Kapitalisten. (…) Aber dieselben Menschen sind große Verteidiger der Demokratie, der Demokratie, wie sie in unseren Gesellschaften existiert. (…) Indes, man muss feststellen, dass diese politische Form die angemessene Form für das Wirtschaftssystem ist, das man so radikal kritisiert. (…) Mir geht es darum, die traditionelle Kritik auf den Kopf zu stellen. Entscheidend ist jetzt nicht die Kritik des Kapitalismus, über die sich sowieso die ganze Welt einig ist (…) – vorankommen wird man damit um keinen Zoll.“
  3. „(R)omantischer Antikapitalismus ist eine Weise, sich über den Kapitalismus vermöge von Anschuldigungen zu beschweren, die ihm nicht schaden.“ (Peter Hacks)

Während auf diesen Satz so ziemlich jede Wahl in westlichen Demokratien das Exempel bietet, ist es genau der von Badiou benannte Widerspruch zwischen zahmer Kritik am Kapitalismus und dem gleichzeitigen grundsätzlichen Abfeiern der von diesem ins Werk gesetzten bürgerlichen Demokratie, der vor allem die linken Positionen zu den immer öfter zu erwartenden Wahldebakeln kennzeichnet. Auch in den letzten Wochen vor der Wahl wurde dieser Widerspruch performt, vor allem durch die deutschen Trump-Kritiker von links bis rechts.

Die beiden leeren Bezeichnungen „Demokratie“ und „das eigene Land“ wurden zuletzt von beiden Parteien reklamiert: Demokratische US-Wähler sagten bei Umfragen, Trump wolle das Land zerstören (als hätte er dafür nicht schon einmal vier Jahre Zeit gehabt), Trump selber wiederum bekundete, Kamala Harris würde die Demokratie abschaffen, was diese ihm dann praktischerweise ebenfalls vorwarf. Und vor kurzem erst bezeichnete die Vizepräsidentin ihren Konkurrenten als „Faschist“. Demokratie ist, wenn wir alle mal ordentlich miteinander gestritten haben und uns dann wieder lieb haben.

Ob die Amerikaner (und bald vielleicht wir?) noch in der Demokratie, schon im Faschismus oder in einer Mischform aus beidem leben, werden uns am späten Abend sicherlich noch Markus Lanz und seine Gäste erklären. Für dessen Sendung eignen sich solche und andere Unbegriffe wie „Trumpismus“ und „Autoritarismus“ ganz besonders.

Was sagt der Wahlausgang und vor allem die mediale Berichterstattung dazu über den aktuellen Stand der parlamentarischen Demokratien aus, die über den Bevölkerungen ja stets ein wenig wie ein Damoklesschwert schweben? Jede Wahl könnte die letzte sein, geht noch an die Urne, bevor ihr’s nicht mehr dürft, ist der Tenor der in den TV-Sendungen herumgereichten Experten. Denn vielleicht kommen demnächst Milizen oder direkt ein Bürgerkrieg, wie ihn Alex Garland in seinem Film „Civil War“ dieses Jahr für die nahe Zukunft in den USA schon vorgezeichnet hat.

Die bürgerlich-parlamentarische Demokratie erweist sich als die Ironie über ihre Bevölkerung – die nun auch linke Enttäuschung über die bürgerliche Demokratie und ihren Wahlzirkus könnte hilfreich sein, diese Ironie einmal zu erkennen.

Was lässt sich sonst noch aus der Wahl lernen? Zum Beispiel, dass der Kapitalismus zumindest in den USA keine ausgetüftelten Charaktermasken mehr braucht. Es reicht, wenn das Kapital einfach seinen bekanntesten Vertreter persönlich ins Rennen schickt.

Wenn nicht noch eine Revolution oder ähnliches dazwischenkommt, wird der nächste und übernächste US-Präsident wohl Elon Musk heißen.

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