Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen hat in ihrem Beitrag auf dem Abschlusspodium des Friedensratschlags die Rolle Deutschlands im Stellvertreterkrieg in der Ukraine und den sozialen Krieg der Bundesregierung nach Innen in den Vordergrund gestellt:
1.
Wir müssen nüchtern feststellen, dass die USA und ihre Verbündeten zurzeit zwei große Stellvertreterkriege führen, zum einen in der Ukraine, zum anderen im Nahen Osten. Dazu wird in Ostasien gezündelt mit einem beispiellosen Aufmarsch von US-Truppen und der massiven Bewaffnung von Vasallenstaaten wie Japan und den Philippinen, flankiert jeweils von Wirtschaftskriegen und Sanktionspaketen.
Die westlichen Verbündeten in diesen Stellvertreterkriegen sind Regierungen, die sich öffentlich zu politischen Morden an Oppositionellen im Ausland bekennen, wie jetzt im Fall von Ilja Kywa, oder wie Israel, das durch die flächendeckenden Bombardierungen im Gazastreifen und eine Gewaltpolitik im besetzten Westjordanland gegen Palästinenserinnen und Palästinenser für mehr als 16.000 Tote und 42.000 Verletzte in Gaza verantwortlich zeichnet und laut UN-Hilfsorganisation OCHA für 241 Tote und 3.187 Verletzte bis zum 1. Dezember im Westjordanland.
Festzuhalten ist, dass der Pakt mit Reaktionären seitens der USA nicht neu ist. Das Bündnis der US-Administration mit rechtsgerichteten Regierungen und mit Regierungen, die Menschen- und Völkerrecht mit Füßen treten, zum eigenen globalen Machterhalt steht in direkter Traditionslinie mit der Förderung des faschistischen Putsches in Chile in den 1970er Jahren.
Jede moralisch übertünchte Außenpolitik des Westens blamiert sich an der eigenen Praxis einer schrankenlosen Politik der Gewalt und deren Unterstützung. Die Wahrheit ist: Die Gewaltpolitik der USA und ihrer Verbündeten ist auch eine Bedrohung für Freiheit und Sicherheit weltweit.
Bei meinen politischen Reisen im Globalen Süden in diesem Jahr war es mit Händen zu greifen: Die Menschen im Globalen Süden haben, salopp gesprochen, die Nase voll von der Doppelmoral des Westens. Sie können sehr genau einschätzen, was es heißt, wenn die USA und ihre Verbündeten sowohl in der Ukraine als auch in Gaza einen Waffenstillstand hintertreiben.
Aufgrund der dichten Medienpropaganda für Aufrüstung und Krieg ist dieses Bewusstsein bei den Menschen im Westen noch ausbaufähig. Es ist die Aufgabe einer entschiedenen Friedensbewegung, kritisches Bewusstsein zu fördern und eine demokratische Gegenwehr mit zu organisieren. Es braucht ein Bündnis von Arbeiterklasse und Globalem Süden gegen eine Politik der Gewalt, der Unterdrückung und des Neokolonialismus.
2.
Bemerkenswert ist, welchen Platz die Bundesregierung für Deutschland in dieser Weltordnung vorsieht, die geprägt ist vom Um-sich-Schlagen des absteigenden Hegemons. Lassen wir die Akteure dazu selbst sprechen. Verteidigungsminister Pistorius setzt sich für eine massive Aufrüstung Deutschlands ein. 2024 sollen es nach NATO-Kriterien 90 Milliarden Euro werden, damit die Bundesrepublik „Rückgrat der Abschreckung in Europa“ gegen Russland wird. Deutschland soll Russland in Europa herausfordern. Angestrebt wird ein Kordon westlich orientierter Staaten an den Grenzen Russland, zu dem auch die Ukraine gehört, der sich ohne Wenn und Aber dem westlichen Sicherheitskalkül und der Konfrontationspolitik gegenüber Russland unterordnet. In dem Maße, wie die USA im Vorfeld der Wahlen ihre Unterstützung für die Ukraine herunterfahren, in dem Maße erhöht Deutschland seine Unterstützung, ungeachtet der Haushaltsnotlage.
90 Milliarden für Rüstung und Militär. Dazu 50 Milliarden Euro für die Ukraine, rechnet man den deutschen Anteil an den EU-Mitteln für Kiew mit. Und obendrauf die immensen Folgekosten des Wirtschaftskrieges gegen Russland für die Bevölkerung und Wirtschaft in Deutschland.
Die Frage ist, wie lange Deutschland dies durchhalten kann, ohne massive Einschnitte bei Bildung, Sozialem und Infrastruktur aufzulegen. Die Antwort wird die Ampel schon bald geben. Bereits jetzt erhöht sie zum Nachteil der kleinen Leute die Abgaben- und Steuerlast im nächsten Jahr um 23 Milliarden Euro. Ein angestrebter EU-Beitritt der Ukraine wird mit 186 Milliarden Euro taxiert, zusätzlich zu den milliardenschweren Vorbeitrittshilfen.
Fakt ist, der Stellvertreterkrieg der USA und der NATO-Staaten in der Ukraine bekommt immer mehr ein deutsches Gepräge. Während sich die tonangebenden absoluten Hasardeure wie Norbert Röttgen, den wir hier als Teil für das Ganze der Militaristen nehmen, eine Führungsrolle der EU einfordern – sprich: Deutschlands, das deren Organe zu einem Viertel finanziert –, setzt jemand wie Pistorius auf eine mittelfristige Strategie. Innerhalb einer Generation will Pistorius Deutschland „kriegstüchtig“ machen.
Pistorius benutzt dabei bewusst einen Begriff der historischen Mobilmachung gegen Russland, ob aus dem Kaiserreich oder dem Vierjahresplan NS-Deutschlands von 1936. Dabei wird gezielt auf einen massiven Ausbau der deutschen Rüstungsindustrie gesetzt.
Pistorius betont die ungeheuren Rüstungsfortschritte Deutschlands. Im Interview mit der „Zeit“ am 7. Dezember 2023 sagte der Verteidigungsminister: „Allein in diesem Jahr haben wir bisher 40 Rüstungsprojekte dem Bundestag zur Genehmigung vorgelegt, die 25 Millionen Euro oder mehr kosten – wenn es gut läuft, kommen bis Jahresende noch 15 dazu. Im nächsten Jahr können wir vielleicht sogar dreistellig werden.“ Wenn es eine Aufgabe von Parteien, Zivilgesellschaft und Friedensbewegung gibt, dann die, diesen Kriegstreibern in den Arm zu fallen.
3.
Die Kriegsvorbereitung ist verbunden mit einem sozialen Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Mit dem toxischen Mix aus Aufrüstung, Wirtschaftskrieg und Ukraine-Hilfe trifft die Bundesregierung direkt die Menschen in Deutschland und läutet zugleich einen beispiellosen industriellen Niedergang dieses Landes ein. Keine Fraktion aus dem Deutschen Bundestag stellt sich bisher gegen diese soziale Giftbrühe. Während die Gewinne der DAX-Unternehmen explodieren, verzeichnen die Beschäftigten Reallohnverluste, 2022 die höchsten seit Gründung der Bundesrepublik. 2024 werden noch mehr Menschen nicht mehr angemessen heizen können oder sich ausreichend Lebensmittel kaufen können.
Unsere Aufgabe sehe ich darin, hier eine machtvolle Bewegung aufzubauen, die sich gegen eine Fortführung der Kriegsvorbereitung, der Ukraine-Hilfe und des Wirtschaftskrieges richtet. Wir brauchen preiswerte Energie aus Russland. Daran führt kein Weg vorbei, will man Deutschland als Industrieland erhalten. Wir brauchen eine angemessene Besteuerung der Supereichen. Die Verbrauchssteuern für Energie und Lebensmittel müssen runter.
Wer aber weiter dem Wirtschaftskrieg das Wort redet, auch verkleidet als Strafmaßnahmen gegen Oligarchen, die dann zufällig die Bevölkerung dort treffen und hier selbstzerstörerisch wirken, der sollte jedenfalls das Wort ‚soziale Gerechtigkeit‘ nicht mehr in den Mund nehmen.