In Serbien halten Massenproteste das Land in Atem. Auslöser war der Einsturz des Bahnhofsvordachs von Novi Sad am 1. November. Bei dem Unglück starben 15 Menschen, zwei weitere wurden verletzt. Die Renovierungsarbeiten am Bahnhof waren erst drei Monate zuvor abgeschlossen worden.
Die Tragödie war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Demonstranten machen ein System aus Korruption und Vetternwirtschaft für den Vorfall verantwortlich, das von der Regierungspartei SNS überall im Land implementiert worden sei.
Die Proteste zeigen jedoch noch etwas anderes. Sie ebben nicht ab, obwohl die Regierung alle Forderungen der Demonstranten erfüllt. Gefordert wurde beispielsweise die Veröffentlichung der Projektunterlagen für den Bahnhof. Als die Behörden dem nachkamen, wurde behauptet, die Unterlagen seien gefälscht.
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Rücktritten und Amtsenthebungen. Zuletzt ist Ministerpräsident Miloš Vučević Ende Januar zurückgetreten. Bis zum 7. Februar soll entschieden werden, ob Neuwahlen stattfinden. Alles entwickelt sich im Sinne der Demonstranten und dennoch wachsen die Proteste an. Das zeigt, dass das eigentliche Ziel nicht die Behebung von Missständen und die Bestrafung der Verantwortlichen ist. Der russische Publizist Dmitri Bawyrin meint, Ziel sei die Absetzung von Präsident Aleksandar Vučić. Die Proteste werden aus Brüssel finanziert, glaubt man in Serbien im Regierungsumfeld und unter den politischen Kommentatoren in Russland. Die EU will Vučić eliminieren, der einen gegenüber Russland freundlichen Kurs fährt, die Sanktionen nicht mitträgt und weiter auf den Import von russischen Energieträgern setzt.
Die EU unterstützt eine große Zahl NGOs in Serbien. Wie in anderen Ländern dienen sie der Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Nach Georgien, Rumänien und der Slowakei zeigt die EU auch in Serbien, dass sie eine eigenständige, souveräne Politik von mit ihr assoziierten Staaten nicht hinnimmt. Die EU zwingt sie dazu, gegen ihre Interessen zu handeln. Ob die Proteste zum Regime-Change führen, wird sich zeigen. Zum letzten Mal geglückt ist es in der Ukraine 2014. Danach nie wieder. Vučić hat daher eine gute Chance, die Regime-Change-Bestrebungen der EU zu überstehen.