Zu den Koalitionsverhandlungen in Brandenburg und Thüringen

Brombeeren geerntet

Bei einem Spaziergang in der Spätsommersonne sind die Brombeeren vom Wegesrand ein beliebter Snack. Direkt vom Strauch gepflückt sind sie am besten. Man sollte aber nicht nur auf die Dornen aufpassen. Sind sie überreif, werden sie schnell bitter, wachsen sie zu tief, handelt man sich eventuell einen Fuchsbandwurm ein. Pflückt man die Brombeeren in größeren Mengen, stellt sich die Frage, was damit anfangen – Marmelade oder Likör?

Auch in Brandenburg und Thüringen stellt sich die Frage, was aus der Brombeere wird. In Brandenburg gären die Verhandlungen noch. Laut BSW-Chef Robert Crumbach könnten sie in dieser Woche abgeschlossen werden. Laut Medienberichten gibt es keine Ablehnung des Wirtschaftskriegs gegen Russland. Nur seine Folgen sollen abgemildert werden. Ob das für eine Zukunft des PCK in Schwedt reichen wird, ist fraglich. Vielleicht hat das BSW deshalb seinen Widerstand gegen die Ansiedlung von Rüstungsfirmen aufgegeben. Auch die von der scheidenden Landesregierung unter dem wohlklingenden Namen „Verfassungstreue-Check“ eingeführten Berufsverbote bleiben wohl.

Wie der alte und zukünftige Ministerpräsident Dietmar Woidke mit widerspenstigen Koalitionspartnern umgeht, hatte er am Freitag im Bundesrat vorexerziert. Er entließ sein grüne Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher kurz vor der Abstimmung über die Krankenhausreform. Damit sicherte er dem Lauterbachschen Kahlschlagprogramm die Mehrheit und ließ dafür seine geschäftsführende Regierung über die Klinge springen. Ein Vorgeschmack auf den in Brandenburg gebrauten Brombeerlikör? Nach dem zweiten drohen arge Kopfschmerzen.

Dann doch lieber Marmelade kochen? In Thüringen zumindest ist geschafft, was lange unmöglich schien. Es liegt ein Koalitionsvertrag vor. Er drohte an der Positionierung zum Ukraine-Krieg und der Stationierung von US-Raketen zu scheitern. CDU, SPD und BSW konnte sich auf Kompromissformeln einigen – in Fragen, in denen die Parteien einen komplett gegensätzlichen Kurs haben. In der lange öffentlich umstrittenen Präambel liest sich das so: „CDU und SPD sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik. Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs.“ Die Formulierung zeigt schon, wo es hingeht: Ein Koalitionsvertrag ist erstmal nicht mehr als die Synthese der Wahlversprechen der beteiligten Parteien. Manchmal reicht es auch nur zu einer widersprüchlichen Aneinanderreihung: „Wir stimmen überein, dass für Frieden und Sicherheit in Deutschland und Europa die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes von großer Bedeutung ist.“

Die Beteiligten erkennen an, dass „viele Menschen in Thüringen“ die Stationierung von US-Raketen ablehnen. Deshalb wolle die neue Regierung eine „breit angelegte Debatte“ dazu fördern. Auf Seite 107 von 126 wird konkretisiert: Eine Stationierung und Verwendung der neuen Raketen „ohne deutsche Mitsprache“ sehe man kritisch. Damit die Bürgerinnen und Bürger gehört würden, wolle man Bürgerräte schaffen.

Auf die Erwähnung der Sanktionen verzichtet man da in der Marmeladenküche lieber. Auch das Wörtchen Armut taucht nicht auf. Zur Sicherung von Arbeitsplätzen wird an genau einer Stelle über Wirtschaftsförderung schwadroniert.

Versprochen wird Bildung, Gesundheit, Ordnung, Digitalisierung und eine entfesselte Wirtschaft. Bis es ab Seite 117 um die Finanzierung geht: An der Schuldenbremse wird festgehalten, sie soll aber kreativ ausgelegt werden.

Genug Zucker ist in der Marmelade, dass sie nicht sofort schimmelt. Aber auch genug Kernchen, die sich unangenehm zwischen den Zähne verklemmen.

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"Brombeeren geerntet", UZ vom 29. November 2024



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