Ein überstürzter Schritt, eine Fehlkalkulation könnte eine Katastrophe starten, die weit über die Grenzen des Libanon – und offen gesagt, auch weit über unsere Vorstellungskraft – hinausgeht.“ Warnungen vor einem Krieg zwischen Libanon und Israel wie die des UN-Generalsekretärs Antonio Guterres ertönen landauf und landab. Konsequenzen, um einem drohenden Krieg Einhalt zu gebieten – Fehlanzeige.
Besonders zynisch ist dabei die Haltung der US-Regierung. Die USA haben kein Interesse an einer Ausweitung des Krieges. So betonte Außenminister Antony Blinken gegenüber israelischen Offiziellen die Notwendigkeit, eine weitere Eskalation zu vermeiden. Zur gleichen Zeit jedoch drohte sein Kollege Amos Hochstein, der US-Sondergesandte für den Nahen Osten, in Gesprächen mit libanesischen Regierungsvertretern, Israel bereite eine „begrenzte Offensive“ gegen die Hisbollah vor. In einer solchen Offensive würde Israel die Unterstützung der USA erhalten.
Das hielt den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nicht davon ab, in einer auf Englisch vorgetragenen Tirade die angeblich fehlende Unterstützung durch die USA zu beklagen. Israel brauche nur die Waffen und Munition der USA, dann würde es die Aufgaben zu 100 Prozent erledigen.
Die US-Regierung zeigte sich brüskiert. Wie schon einmal bei ähnlicher Gelegenheit wurde ein Treffen zwischen US- und israelischen Sicherheitsberatern zum Thema Iran verschoben. Für Joseph Biden kommt der Streit mit Netanjahu im Wahlkampf gerade recht. Er kann sich damit von Netanjahu und seiner Politik des Völkermords absetzen – ohne die militärische und finanzielle Unterstützung Israels wesentlich zu reduzieren.
Das Säbelrasseln nimmt weiter zu. Der israelische Außenminister Katz erklärte in einem Post auf X, Israel nähere sich immer mehr dem Punkt, wo eine Entscheidung gefällt werden müsse, wie es im Norden Israels weitergehe.
Es war seine Antwort auf eine sehr offensive Rede des Generalsekretärs der Hisbollah, Hassan Nasrallah. Nasrallah sprach von einer Sicherheitszone, die mit der Evakuierung der Einwohner des Nordens zum ersten Mal seit 1948 innerhalb Israels geformt worden sei, und erwähnte Präzisionswaffen und Zielinformationen der Hisbollah. Zum Beleg veröffentlichte Hisbollah Videos von Drohnenflügen über Haifa, in denen unzählige militärische und zivile Einrichtungen gekennzeichnet waren.
Mit den gegenseitigen Drohungen ist an eine Rückkehr der Einwohner von Israels Norden vor dem Beginn des neuen Schuljahrs im September, wie sie zum Beispiel der Oppositionspolitiker Benjamin Gantz gefordert hatte, nicht zu denken. Ihre Unterbringung in Hotels wurde bereits über den September hinaus verlängert.
Vertreter der Armee sprechen mittlerweile vom Abschluss der operativen Planungen für einen Krieg gegen Hisbollah. Die iranische Vertretung bei den Vereinten Nationen erklärte, Hisbollah habe die Möglichkeiten, sich selbst und den Libanon gegen einen israelischen Angriff zu verteidigen. Das weiß auch die israelische Armee, die mittlerweile Netanjahu widerspricht und erklärt, der totale Sieg in Gaza sei nicht möglich. Und Libanon? Außenminister Israel Katz spricht in seinem Post von einem „hohen Preis“, den Israel im Kriegsfalle zahlen müsse.
Die Abschreckung, das Wissen um die sichere gegenseitige Zerstörung in einem voll entbrannten Krieg, ist die Brandmauer, die mehr als Drohungen und Rote Linien seit Monaten den Ausbruch eines offenen Krieges gegen Libanon noch verhindert.
Mit jedem Tag des Säbelrasselns, mit jedem Tag, an dem selbst Diplomaten zum Krieg blasen, wird die Gefahr realer, dass diese Brandmauer bricht.